Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Auch jetzt verschmäht Marie alles, was nach Sündenbekenntnis aussieht.

Hat er nicht bemerkt, wie sie in ihrer Ehe vereinsamt ist? wie ihr das Gefühl abhanden kam, einen Gefährten zu haben? Wie sie neben ihm gegangen ist, hinter ihm, um ihn herum, immer in der Hoffnung, er werde sich ihr wieder zuwenden? wie sie sich von einem Monat auf den andern vertröstet hat, von einem Jahr aufs andere, und wie das ungestillte Bedürfnis nach und nach ihr Gemüt in Aufruhr gebracht hat? Hat er es wirklich nicht geahnt? wo ist er denn um Gotteswillen gewesen? Tausendmal hat sie sich gefragt, wo er denn sei, hat sich Unbescheidenheit und Selbstsucht vorgeworfen, hat sich seiner großen Aufgaben erinnert, des Helferberufs, der ihn aufgefressen, sodaß nichts mehr von ihm übrig war als ein Name und eine Funktion, ein Logiergast im Hause, für dessen Mahlzeiten und gemachtes Bett man sorgen muß und der allem Leben Einlaß in sein Inneres gewährt, dem unwertesten noch, nur dem einen nicht, das dicht neben ihm verkümmert. Wie war das möglich?

Kerkhoven kann nicht leugnen, daß es so gewesen ist. Er war ihrer zu sicher. Die Sicherheit hat bewirkt, daß ihm Marie zu einem lebendigen Hausrat geworden war, der unverrückbar an seinem Platz verbleibt und keiner besonderen Mühewaltung mehr bedarf. Die Anklage besteht zu Recht. Es wird ihm klar, daß es in jedem wahrhaften menschlichen Bund die Todsünde ist, sich sicher zu fühlen und mit der Sicherheit zu beruhigen. Immerhin glaubt er Anspruch auf Milderungsgründe zu haben. Seinen Pflichten und Erfüllungen war eine Grenze gesetzt. Ein strenges Leben. Die Gewalt der Tatsachen hat den Gatten wie auch den Vater daraus verdrängt. Unseliger Irrtum, daß er sich eingebildet hat, von Marie gebilligt und gestützt zu sein. Daß er sie willens geglaubt, auf Privatleben und Privatglück zu verzichten.


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