Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Einen Augenblick wurde seine Stirn ziegelrot, dann nahm sie eine kalkige Färbung an. Er tastete nach der Lehne eines Stuhls und setzte sich. Es sollte den Eindruck einer willkürlichen Bewegung machen, war aber keine. Er hustete. Er zog das Taschentuch und wischte den Mund ab. Dann erhob er sich wieder als wolle er beweisen, daß er sehr wohl imstande sei zu gehen, schritt langsam zur Tür und sah nach, ob sie eingeklinkt war. Hier war des Mechanische der Handlung schon offenkundig. Sie wurde ausgeführt, um Zeit zu gewinnen. Aber er sagte noch immer nichts. An der Tür stehend strich er sich über die Wangen. Er war den ganzen Tag über am Krankenbett gesessen und hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich zu rasieren. Die grauen Bartstoppeln knisterten leise unter der Berührung der Hand. »Sie sind ja vollkommen fertig, lieber Freund,« kam es endlich von seinen Lippen. »Ich will veranlassen, daß man in Seeblick erfährt, daß Sie da sind. Aber Sie müssen ruhen. Und morgen... man wird sehen, was zu tun ist...« Was irgend getan werden konnte, sei getan worden, sagte Alexander mit erloschener Stimme. Er zählte alles auf, von der tollen Fahrt nach Buchs angefangen bis zu der Plakatierung und der Ausschickung besoldeter Sucher. Kerkhoven ging schwer fällig zwischen Klavier und Fenster hin und her. Als ein eigentümlich verträumtes, ganz undefinierbares Lächeln auf seinen Lippen erschien, sah ihn Alexander angstvoll-gespannt an. »Ist es sicher, daß Sie keine Abschrift besitzen?« stotterte er. – »Das wollen wir vorerst nicht erörtern,« fiel ihm Kerkhoven fast schroff ins Wort; »es führt zu nichts. Man muß auf den Sinn kommen. Es muß einen Sinn haben. So daß man sagen könnte: Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Ungefähr. In meiner Weise. In der mir angemessenen Weise.« Er zupfte an seinem Kinnbart. Dann fragte er: »Fühlen Sie sich imstande, mit mir nachhause zu fahren? Ja? Ich glaube, es ist am besten so. Einen Zug haben wir nicht mehr, aber man stellt mir hier ein Auto zur Verfügung. Ich warte nur noch ab, bis man den Patienten geholt hat. Er soll in die Klinik. In einer Stunde bin ich bereit. Legen Sie sich so lange auf das Sofa. Nehmen Sie das da,« (er zog eine Glasröhre aus der Tasche und reichte Alexander zwei weiße Tabletten); »es riegelt die Gedanken ab. Sie müssen sich nicht weiter grämen. Im übrigen bin ich überzeugt, das Paket kommt wieder zum Vorschein; fest überzeugt. Ein kleiner Schabernack, den uns das Schicksal spielt. Also Kopf hoch. Und Ruhe...« Er nickte Alexander zu und ging hinaus. Draußen verschwand das freundliche Lächeln von seinem Gesicht. Er war nicht nur nicht überzeugt, daß das Manuskript wieder in seinen Besitz gelangen würde, sondern wußte mit Bestimmtheit, daß es für immer verloren war. Und damit galt es sich einzurichten.


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