Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Alarm in jederlei Form

Da waren zuvörderst die Briefe. Sechs, acht, zehn Seiten lange Briefe. Ich kann nur sagen, ein Regen feuriger Lava wäre eine Erfrischung dagegen gewesen. Gannas Arme streckten sich über dreihundert Kilometer und wollten den Mann zurückhaben. Ihre Worte schallten über dreihundert Kilometer und verlangten Hilfe, Rat, Trost, im Namen der Kinder, im Namen des Rechts, im Namen unvergänglicher Liebe. Was nicht auf dem Papier stand, das raste, schrie, jammerte und schluchzte hinter den Zeilen, hinter den spitzen, störrischen, süchtigen Buchstaben. Klagen, wie traurig sichs in einem Hause lebte, dem der Herr fehlte. Mußte es denn sein, Alexander? mußte ich so mit Füßen getreten werden? Daß sich Doris bitterlich um den Vater grämte. Daß sie mit Ferry und Elisabeth ihre harte Mühe habe; unmöglich für sie, zwei erwachsene Menschen in Gehorsam zu halten; ob ich es vor meinem Gewissen verantworten könne, sie in den kritischen Jahren und in einer unheilvollen Zeit sich selbst zu überlassen? Träume, Ahnungen, Schreckgesichte. Kleine Nadelstiche: wie verwundert sich der oder die So-und-so über die Handlungsweise eines Mannes geäußert, den er (oder sie) bis dahin schrankenlos verehrt; wie nett sich die Schwestern gegen sie benähmen, wie man sie bedaure, wie viel Freundschaft sie von allen Seiten erfahre...

Dann begann das Haus, das geliebte Haus, seine verheerenden Stückchen zu spielen. Das Wasserleitungsrohr ist geplatzt, es hat eine Überschwemmung in der Halle gegeben. Die Sickergrube muß verlegt werden, die Gemeinde verweigert den Anschluß an das Kanalsystem, die Miasmen bilden eine hygienische Gefahr für die Kinder. Während eines Sturms ist einer der Kamine eingestürzt. In Doris Zimmer mußte ein Ofen gesetzt werden, die Heizanlage ist schlecht, außerdem ist nicht genügend Koks zu beschaffen. Der Zimmermeister hat eine Rechnung präsentiert, sie kann sie von ihrem Monatsgeld nicht bezahlen. Sie kann auch die Lieferanten nicht regelmäßig auszahlen, sie treiben sie mit ihrem Drängen zur Verzweiflung, was soll sie den Leuten sagen? Mein Mann ist verreist, sagt sie, er kommt bald zurück, aber die Leute glauben ihr nicht und werden unverschämt.

Und damit bin ich zu Gannas Geldwirtschaft gelangt, ihrer ganzen Beziehung zum Gelde, denn dies war weitaus das Unheimlichste in ihrem Leben und Charakter. Da wir damals gerade mitten in der Inflation lebten, trat das gespenstische Wesen gleich mit voller Macht hervor.

Unbeschreiblich ihr starres Entsetzen vorzustellen, wenn in ihrem Haushaltungsbuch die gigantischen Ziffern auftauchten: zweihundert Kronen für ein Kilo Butter, fünfzig Kronen für ein Dutzend Eier; fünfhundert Kronen für ein Paar Schuhe; zweitausend Kronen an Gehalt für Lehrer und Dienstpersonal. Ganna im Kampf mit dem Geld, das aufhörte, wirkliches Geld zu sein, das ihr unter den Fingern zerrann, während es scheinbar mehr und immer mehr wurde, das sie äffte mit einer Zahl und in Bestürzung versetzte durch den Unwert der Zahl, dies brachte eine namenlose Verwirrung in ihrem Geist hervor, eine gänzliche Verschiebung der Begriffe und eine wachsende Panik der Berechnungen. Eine Woche später, und die Hunderte sind zu Tausenden, die Tausende zu Hunderttausenden, die Hunderttausende zu Millionen geworden. Als ein Huhn achtzigtausend Kronen kostete, ein Telegramm an mich zehntausend, die Monatsrechnung für den Metzger sich auf mehr als anderthalb Millionen belief, brach sie unter dem Zahlengebirge tatsächlich zusammen. Es war für sie das Widersinnige schlechthin. Ihr, der Geld und Geldeswert heilige Stabilitäten waren, erzene Sicherheiten, war dies ein Erlebnis wie für den Gläubigen der unwiderlegliche Beweis (falls es ihn gäbe) von der Nichtexistenz Gottes. Sie hing im leeren Raum. Die Naturgesetze waren aufgehoben. Zweifellos entstand hieraus ein Furcht- und Schrecktrauma, das die verhängnisvolle Entwicklung in der Folgezeit zum Teil erklärt. Vorerst setzte sich in ihr die Meinung fest, daß sich ein solcher Umsturz aller Werte nie hätte ereignen können, wenn ich nicht von ihr fortgegangen wäre. Es verschaffte ihr eine wahnhafte Befriedigung, daß meine Treulosigkeit, mein angeblicher Verrat an ihr mit dem Unglück der Nation, mit der Katastrophe des Kapitalismus zusammenfiel.

Sie ließ es in jedem ihrer Briefe durchblicken. Jedem waren Statistiken und genaue Spezifikationen beigelegt. Keine Geldsumme konnte genügen. Andere sahen sich vor, sorgten für Reserven, trafen ihre Einteilung; Ganna wurde stets vom Augenblick überrumpelt und niedergestoßen. Es gab kein Zeitgefühl in ihr als das des Augenblicks. Und es war sehr geheimnisvoll, daß sie zwischen Augenblick und Augenblick nicht lebte, also gewissermaßen in einer fortgesetzten Kette von kleinsten Zeitteilchen ohne Seele und Besinnung war, weshalb sich hinter ihrer atemlosen Betriebsamkeit und Geschäftigkeit ein immerwährendes tragisches Hineinsterben ins Nichts vollzog.

Unter dem Druck ihrer vielfachen Not erwachte der alte Glaube an Zauberei in ihr. Sie kannte einige Bankdirektoren; zu denen ging sie. Bankdirektoren waren Zauberer in ihren Augen; sie zauberten Geld. Sie mußten auch wissen, was es mit dem Hexensabbat für eine Bewandtnis hatte. Sie ließ sich Tips geben. Sie schickte mir hieroglyphische Depeschen mit den Namen von Papieren, die ich kaufen sollte. Sie hatte dann die Illusion, mir entscheidend geholfen zu haben und war überzeugt, ich erntete Reichtümer. Daran knüpfte sich alsbald die weitere und zwar unausrottbare Überzeugung, ich lebte mit Bettina in »Saus und Braus«, indes sie, die verstoßene Ganna-Genoveva, zu einem Bettlerinnendasein verdammt war.

Der Zifferntumult in Gannas Briefen umschwirrte mich wie eine Wolke von Stechfliegen. Ich hätte Ganna überschüttet mit Geld, hätte ich es nur in ausreichender Menge gehabt. Was lag mir denn am Gelde; was lag Bettina am Gelde; erst recht nichts. Ich half nach und half nach. Ich paßte die Ziffern dem Bedürfnis an. Mittlerweile hatte der deutsche Währungsverfall auch aus meinen Einnahmen lächerliche Riesensummen gemacht, hinter denen nur ein geringer Realwert steckte. In den Abrechnungen konnte man die Nullen kaum mehr zählen, aber das Gesamt des Einkommens sank tief unter den Durchschnitt der letzten Jahre. Ohne ein paar Zahlungen aus dem Ausland hätte ich den Verbrauch nicht decken können. Doch überwies ich von dem Schattengeld so viel ich irgend entbehren konnte an Ganna. Aber, was gestern noch zulänglich gewesen, war heute zu wenig. Als die Entwertung endlich stillstand, waren so tiefe Schuldenlöcher aufgerissen, daß Ganna sie nicht mehr stopfen konnte. Ihre schrillen Hilfeschreie drangen in die Stille meines Arbeitszimmers. Ich kratzte zusammen, was ich irgend entbehren konnte. Ich rechnete nicht mehr, dachte nicht mehr an meinen zweiten, eigentlichen Haushalt. Aber mit keiner Summe fand sich Ganna zurecht. Gegen jede Grenze lehnte sie sich auf. Jede Vorschrift erschien ihr als ein Akt der Bosheit. Sie schwor, ich sammelte Schätze, die ich ihr vorenthielt, um sie mit Bettina zu verprassen. Wenn sie einen größeren Betrag in die Hand bekam, bemächtigte sich ihrer sofort ein stupider Optimismus als könne das Geld nie alle werden; war es dann alle, weit früher als sie gedacht, so wußte sie nicht mehr ein noch aus, saß bekümmert vor dem rotlinierten Folianten, prüfte die Quittungen nach, durchwühlte alle Taschen und Laden, behauptete, man habe sie bestohlen, und das Ende war ein Brandbrief an mich.

Die Beschäftigung mit den Mammuthziffern, als sie sich einmal daran gewöhnt hatte, bereitete ihr ein eigentümliches aufregendes Puzzle-Vergnügen. Die Millionen und Billionen gewährten ihrem krankhaft spekulierenden Geist die Befriedigung im Unmäßigen, nach der er lechzte. Es gemahnte an Magie und Astrologie. Was kam es auf den Wert an, der Schein war ja da, als nennbare Zahl süß behexend. Indes die Preise ins Unerschwingliche, die Ziffern ins Unaussprechliche hinaufkletterten, entzündete sich in ihr die Hoffnung, ich würde, trotzdem ich doch in einer andern Hemisphäre ihrer Traumwelt ein heimlicher Krösus war, fernerhin die Mittel nicht aufbringen können, um für zwei Frauen und zwei Haushalte zu sorgen und daher gezwungen sein, in den Schoß der Familie zurückzukehren. Das war nicht ein Wunsch oder ein gelegentlich auftauchendes Phantasiespiel, sondern eine unerschütterliche Zuversicht; sie sprach von dieser Rückkehr wie von einem feststehenden Ereignis und als wäre dann die Zeit der Prüfungen, der Schande und der Verlassenheit für immer vorbei.

Geistiger Sumpf

Sie anerkannte das Schicksal nicht. Ihre innerste Natur war die Rebellion. Mir wurde berichtet, daß sie kurz vor ihrer Mutter Tod, der in diese Zeit fiel, eine Auseinandersetzung mit der achtzigjährigen Frau gehabt habe, wobei Ganna außerordentlich heftig geworden sei, weil ihr die Mutter ihren Mangel an Demut vorgeworfen habe. »Demut« soll sie aufbegehrt haben, »wie weit kommt man schon mit der Demut? wie weit hast dus mit deiner Demut gebracht, Mutter?« Als die Mutter starb, brach Ganna mit den letzten Erinnerungen an Zucht. Sie war nun vierundvierzig Jahre alt.

Eines Tages sagte sie sich: ich will von diesem herzlosen Mann (nämlich mir) nicht länger finanziell abhängig sein. Da sich alle Welt in Unternehmungen stürzte und das Wahngeld auf der Straße zu liegen schien, tat sie sich eifrig um, besprach sich mit allerlei vermeintlichen Freunden und erfahrenen Persönlichkeiten und beschloß, eine Filmzeitschrift zu gründen. Das Kino war Mittelpunkt des Interesses, und was seine Geistigkeit anlangte, so bestand eine offenbare Verwandtschaft zwischen Gannas Wesen und der Flimmertechnik auf der Leinwand. Blendwerk in jedem Sinn. Zu allem Blendwerk fühlte sich Ganna unwiderstehlich hingezogen, zu allem Hokuspokus, Sterndeuterei, Mazdasnan, Handlesekunst. Sie boten ihr reiche Möglichkeiten der Selbstdarbietung und Selbstauslöschung; die ganze Schöpfung wurde sozusagen ein gottgefälliger Betrug.

Ein Geldgeber war auch diesmal bald gefunden. Es war ein Mann mit einer Druckerei. Die Leute wollten das falsche Geld loswerden, um es später einmal mit Wucherzinsen gegen wirkliches einzutauschen und jedem war jede Gelegenheit hiezu willkommen. Daß Ganna auch von ihrem, will sagen von meinem Gelde, etwas Beträchtliches beisteuern mußte, blieb mir verborgen. Die Ausbeuter und Projektenmacher in ihrem Umkreis konnten sie jederzeit in aller Behaglichkeit rupfen. So lange sie ihnen nicht auf die Schliche kam, hielt sie sie für selbstlose Wohltäter. Mehr und mehr neigte sie zu der Ansicht, um in der Literatur Erfolg zu haben, müsse man nur seine guten Beziehungen ausnützen, und so rannte sie verschiedenen Männern von Ruf, darunter auch Leuten, die mir nahestanden, die Türen ein und war äußerst ungehalten, wenn sie mit höflichen Redensarten abgespeist wurde. Extremer Für- und Widermensch, der sie war, kehrte sich dann ihre Bewunderung sofort in Geringschätzung; der eben noch Hochgeehrte, im Handumdrehn war er ein Wicht. Sie war Herausgeber, Lektor, Kassier, Vertriebsleiter, alles in einem. Sie schrieb sich die Finger wund und lief sich die Beine lahm. An dem Morgen, da das illustrierte Heft frisch erschien, eilte sie von Buchhandlung zu Buchhandlung, von Kiosk zu Kiosk, erkundigte sich nach dem Absatz, feuerte die Verkäufer an und gab ihnen Ratschläge, wie das Publikum anzureizen sei. Daß manchmal ein erstaunter oder bedauernder Blick sie traf, der sie erinnerte, wer sie war, bedeckte sie eilig mit Bewußtseinsnacht.

Gut, Filmzeitschrift: das war ja nichts Unanständiges oder Verächtliches. Betätige dich, dachte ich mir, tob dich aus, mach deine Erfahrungen. Aber da waren erstens die undurchsichtigen Geldmanipulationen und Finanzoperationen, die mich höchlichst beunruhigten und von denen ein Odium von Schiebung und von »eine Hand wäscht die andere« ausging. Mir schwante etwas von Wechselgeschäften und wucherischen Verschreibungen, von Gutsagen auf meinem Rücken, lichtscheuen Abmachungen und unlauteren Beziehungen; bisweilen erhob sich ein Gerücht und verstummte wieder; bisweilen kam mir eine Andeutung einer Warnung zu; kurz, es war wie wenn sich widerwärtige Dinge hinter einer spanischen Wand begeben; man lauscht gespannt und erregt, weiß aber nicht genau, was los ist.

Das weitaus Schlimmere war aber der Inhalt des Blättchens selbst. Da waren erstlich die Beiträge Gannas, hingeschluderte Novellchen und Geschichtchen von einer haarsträubenden Plattheit und Gewöhnlichkeit; unter anderm auch das boshaft verzerrte Porträt einer wegen ihrer segensreichen Tätigkeit weithin bekannten Frau, in der Ganna, ich weiß nicht warum, ihre unversöhnliche Feindin erblickte. Sodann trübselige, zum Teil sogar anrüchige Erzeugnisse einiger sudelnder Damen und Herren, die Ganna protegierte und denen sie auf diese Weise einen literarischen Tummelplatz verschaffte und Honorar zuschanzte; und zuletzt die Inserate, durch die sich das ganze Unternehmen vermutlich bezahlt machen sollte, jene Ankündigungen und Anpreisungen, wie sie in dergleichen Druckschriften üblich sind. Und das alles unter dem Namen Herzog, den Ganna ja nun einmal trug, meinen Namen. Und überall im Hause waren die unverkauften Exemplare zu Stößen aufgeschichtet, und wenn die kleine Doris gerade nichts Besseres zu tun hatte, blätterte sie die Hefte durch wie ein Bilderbuch. Ich kam eines Tages dazu. Ich riß ihr das Zeug aus der Hand. Ein bleierner Ring legte sich mir um den Kopf; der Morast spritzte mir bis an die Kniee.

Ganna und das Wort

Schon im ersten Winter war Doris bei mir gewesen, unverändert anschmiegend, voll vertrauender Liebe, die tief in der Natur des Kindes wurzelte. Es hatte umständlicher Verhandlungen bedurft, ehe Ganna dieses Zugeständnis machte, und als ich auch späterhin, in den folgenden Sommern und Wintern, Doris während der Ferien bei mir haben wollte, setzte Ganna meinem Wunsch jedesmal die größten Schwierigkeiten entgegen. Sie erklärte es für ein Wagnis. Sie verlangte Garantien und stellte Bedingungen. Sie versuchte, mir und sich einzureden, daß das Kind nur bei ihr gedeihen und gesund bleiben, daß niemand Gannas Pflege, Gannas Umsicht, Gannas Liebe ersetzen könne. Mir billigte sie höchstens die Wohlmeinung zu, die moralische Fähigkeit sprach sie mir ab. Denn ich stand ja unter dem Einfluß einer Frau, der zu mißtrauen Ganna die triftigste Ursache von der Welt zu haben glaubte. Sie versicherte jedem, der es hören wollte, sie könne doch nicht ihr Liebstes, ihr Herzblatt, einer Person überlassen, die mit mir in einem unsittlichen Verhältnis lebte. Daß dieses »unsittliche« Verhältnis durch ihre eigene Schuld bestand, vergaß sie mit Vergnügen. Was daraus erwuchs, war ein Schacher um das Kind, ein Handelsgeschäft um sein Beimirsein, begreift ihr meine Scham?

Wenn Doris mit einer harmlosen Erkältung im Bett lag, meldete Ganna eine schwere Halsentzündung mit Fiebergraden, die mir in der Dreihundertkilometerferne, Entsetzen einjagen sollten. Die Absicht war, mich aufzustören, mir das Gewissen wachzuhämmern, damit ich ihrer nicht vergäße im Zusammenleben mit der Verhaßten. Es sei nicht zum Verwundern, daß die Kinder beständig krank seien, schrieb sie mir, da ich der Mutter die Mittel vorenthalte, sie vor Krankheit zu bewahren. Ich setzte mich hin und bewies ihr schwarz auf weiß, daß sie selbst in den schlimmsten Monaten der Geldentwertung ein stattliches bürgerliches Einkommen bezogen habe; ich rechnete es ihr in Schweizer Währung um. Ihre Antwort war das Aufbrausen einer Betrogenen, da sie ja nach ihrem Dafürhalten um alles das betrogen worden war, was mich das Leben an Bettinas Seite kostete. Sie erklärte, es läge kein Grund vor, daß man ihre Bezüge rationierte, sie sei sich keiner Verschuldung bewußt, ihre Ansprüche bestünden vor Gott und Menschen zu Recht.

Sie hatte keine Gewalt über das Wort. Es entstand in ihr durch eine seltsame Alchymie und entzündete sich abseits vom Denken. Die Assoziationen geschahen auf dem Weg hemmungsloser Willkür. Ich sah Ganna in all den Jahren emporwachsen, und mit ihr wuchs und schwoll das Wort, das hemmungslos willkürliche Wort. Zwischen dem guten und bösen unterschied sie nicht, ob es Brücke oder Abgrund war, merkte sie nicht. Lyrischer Erguß und Giftsud, Flehen und Drohung, Wahres und Erkrampftes, Anhänglichkeit und Erbitterung, Gefühl und Geschäft, alles heillos verfilzt. Überhitzter Stil, eiskalte Erklügelungen. Von vier nebeneinanderstehenden Sätzen enthielt der erste eine Selbstbejammerung, der zweite eine Anklage, der dritte eine Geldforderung, der vierte eine Liebeserklärung. Während sie sich als die Vertreterin der sittlichen Weltordnung aufspielte, feilschte sie um die Erhöhung ihrer Monatsrente. Während sie schwärmerische Zeilen über eine meiner Arbeiten niederschrieb, benutzte sie die Kinder als Pfandobjekte und forderte, verhüllt und unverhüllt, greifbare Gegenleistungen für ihre Bereitwilligkeit, ihnen den Aufenthalt in meinem Haus zu erlauben; vor allem öfteres Beisammensein mit mir zum Zweck »friedlicher Aussprache«, und das stets zu erneuernde Gelöbnis, daß ich nicht auf der Scheidung bestehen würde. Diesem Ansturm mußte ich die Brust darbieten. Ganna und das Gannawort hielten mich in Atem wie ein Trunkenheitsexzeß nächtlicher Einbrecher.

Dazwischengeschobene Miniaturen

Wir treten hinaus in die Sternennacht, Bettina und ich. Unten glitzert der See, der Himmel gleicht einem von Nadeln durchstochenen Vorhang, hinter dem blau und gelbes Feuer brennt. Die Milchstraße ein verblüffender Bogen aus gekörntem Silber. Auf den Höhen liegt hauchzarter Nebel. Die Stille ist so herzerschütternd, daß man sie wie eine selige Art von Tod spürt. Das Gannawort, der Gannalärm sind verstummt als ob ein stählernes Tor wäre zugeschlagen worden. Wir stehen Arm in Arm, wie im Gebet versunken...

Es gibt Morgen, da wir über den Neuschnee die Abhänge hinunterrodeln wie über einen weißen Geisterteppich, ringsum der schwarze Wald, die krystallklare Luft erfüllt vom Lachen und Schwatzen der beiden Töchter Bettinas, die nun bald zu ihrem Vater in die Stadt müssen, um das Gymnasium zu besuchen. Dann wandern wir über den gefrorenen See, der so beängstigend dröhnt in den Nächten; es klingt wie das Seufzen eines verendenden Vorweltsauriers. Holzschlitten fahren lautlos über die glatte Fläche, mit Ochsen bespannt, klirrend wie wenn Papier zerreißt, sausen die gestielten Scheiben der eisschießenden Bauern über die geglättete Fläche.

In den ersten Frühlingstagen ist es wie wenn sich die Natur zornig ein Kleid vom Leibe risse, das ihr zu eng geworden ist. Die Wässer stürzen in den von Jahrtausenden gehöhlten Felsrinnen zu Tal, oben donnern die Lawinen, Erika und Leberblümchen drängen schüchtern aus Moos und Gras, alles ist ein unzähmbares Werden und Wachsen, der März riecht anders als der Februar, der April anders als der März, wir ziehen in die Wälder, wandern in die Nachbartäler als machten wir eine Inspektionsreise durch unser Königreich, und manchmal packt Bettina stürmisch meine Hand und fragt, indem sie ihr Gesicht von unten her dem meinen nähert: »Bist du zufrieden? sag, ob du zufrieden bist in deinem Sinn?« Ich sehe sie an und nicke ihr dankbar zu. Wäre sonst das andere zu ertragen gewesen? Das Leben wäre zerborsten wie ein rostiges Stück Eisen...

Im verhexten Kreis

Jahrelang stand die Scheidung als der von mir stumm gewünschte Abschluß hinter dem Geschehen, nach und nach wurde sie klares Erfordernis. Es gibt einen Ruf zur Ordnung, der aus dem Sozialen kommt, unabhängig von den persönlichen Freiheiten. Da war keine Heuchelei verstattet, kein zurechtgemachtes hochmütiges Drüberstehen, so verkettete sich in mir ein Verlangen, das mit meinem Ehrgefühl als Mann und mit meinem Verantwortungsbewußtsein gegen die Gemeinschaft zusammenhing, mit jenem andern, noch dringlicheren, das die unabgetragene Schuld an Bettina in sich schloß, die ich in bangen Stunden der Selbsteinkehr den aufgesammelten Zehnten der Freude nannte oder auch die inneren Reparationen.

Darum ging es in dem Kampf mit Ganna zunächst. Wenn die Lastaufladerin zu bewegen war, dem keuchenden Tier das Halfter abzunehmen und die Bürden abzuschnüren, konnte es wieder atmen, wieder schreiten. Sie war nicht dazu zu bewegen. Gannas erster Einwand war, sie könne sich nur scheiden lassen, wenn sie meiner Freundschaft sicher sei. Schön, sage ich, zugestanden, eigentlich versteht es sich von selbst. Es hat allerdings eine Schwierigkeit: wodurch sichert man sich Freundschaft nach Gannas Meinung? Durch Unterschrift. Durch Brief und Siegel. Ich soll es verbriefen. Ich soll mich für alle Zeiten bindend verpflichten. Ich bin dumm genug, ihr dies auszureden. Anstatt Ja und Amen zu sagen und die verlangte Klausel zu unterschreiben und zu verbriefen, was automatisch bewirken würde, daß sie die Forderung fallen ließe, um eine andere, schwerer erfüllbare zu erheben, bemühe ich mich ehrlicherweise, sie von dem Unsinn einer urkundlich stipulierten Freundschaft zu überzeugen, ihr die Einsicht beizubringen, daß Freundschaft erworben und verdient werden müsse und daß man sie nicht bescheinigen könne wie einen Mietsvertrag. Sie sieht es nicht ein. Sie hört nur die Weigerung und hält damit den Beweis meiner schlechten Gesinnung für erbracht. Man wolle sie mürbe machen; man habe eine bestimmte Taktik des Mürbemachens erfunden. »Ihr werdet mich noch zum Äußersten treiben mit eurer Taktik,« verkündet sie zornbebend. – Sie beruft sich auf mein feierliches Versprechen, den Brief vom Oktober 1919. Ich muß zugeben, den unverständigen Brief geschrieben zu haben. Da kocht die Erbitterung in ihr empor, und sie schreit, nie und nimmer würde ich ihr das Messer an die Brust setzen, wenn ich nicht hypnotisch unter dem Gebot meiner Geliebten handle. Ich muß lächeln, wenn ich an Bettina und ihre »Gebote« denke. Ganna mißversteht mein Lächeln, sie hält es für ein Schuldgeständnis und beharrt dabei, ich hätte Bettina die Scheidung zuschwören müssen, was Bettina als Gegenleistung biete, das natürlich könne niemand wissen, aber sie werde der Dame Merck zeigen, daß sie sich verrechnet habe, daß sie auf Granit beiße.

Aber auch diesmal lag es nicht in Gannas Plan, mich mit einem endgiltigen Nein abzufertigen. Sie wollte verhandeln. Sie wollte alles in der Schwebe halten. Damit erzwang sie ja meine Gegenwart. Freilich, um ganz gerecht zu sein, ganz tief gerecht, wie es nur einem Gott möglich wäre, müßte man sich fragen, ob es nicht auch die Liebe war, die sie dazu trieb, eine schreckensvolle Liebe zwar, eine in Finsternis getauchte, aber dennoch Liebe, wie immer man das Wort wendet, wie zerstört es auch in einem solchen Herzen sein mag. Ich spürte natürlich nur den Schrecken und die Finsternis, sie aber litt genau so wie ich, wenigstens glaubte ich es damals noch und war nachsichtig und geduldig, denn das Leiden entwaffnet. Sie unterlag immer der Täuschung, daß ich mich um ihretwillen aufrieb, wenn ich mich aufrieb; und wenn ich sie von mir stieß, war es eine Gegenwirkung, die von ihr ausging; sie war also noch im Spiel, war noch Partnerin. Aus diesem Grund narrte sie mich mit Verheißungen, leugnete heute die Abmachungen von gestern ab und zerredete das tausendmal Gesagte zum tausendundzehnten Mal. Telegraphierte sie mir: Komm, alles wird gut werden, und ich kam dann voller Hoffnung, und die Verhandlungen führten wieder zu keinem Ergebnis, so hatte nicht sie Sabotage geübt, sondern ich hatte es an gutem Willen fehlen lassen. »Ich bin noch nicht so weit,« sagte sie im August, »laß mir noch drei Monate Zeit.« Gut, ich ließ ihr drei Monate Zeit. Im November hieß es: »Ich kann mich nicht festlegen. Niemand kann sich heutzutage festlegen. Die Verhältnisse sind zu unsicher. Im März erfüll ich dir deinen Wunsch; mein Ehrenwort.« Und im März: »Ich will deine Vorschläge ernstlich prüfen. Aber das eine kann ich dir jetzt schon sagen: du bist nicht in der Lage, zwei Frauen zu erhalten. Es ist meine Pflicht, dich vor dem Zusammenbruch zu bewahren.« – »Ausflüchte, Ganna. Wir können, wir müssen uns auf irgendeiner Basis einigen.« – »Ich bin viel zu oft getäuscht worden. Wollt ihr mich zwingen, daß ich an meinen Kindern zur Verbrecherin werde?« – »Ich bin nicht der Mann, der seine Kinder im Stich läßt. Das solltest du wissen.« – »Du nicht, aber deine Geliebte. Da müßte ich ganz andere Bürgschaften haben als du sie mir bieten kannst.« – »Welche denn, Ganna? was kann ich denn anderes tun als dir Leib und Leben verpfänden?«

Vergeblich. Mit zäher Wut klammert sich Ganna an die ihr verschriebenen siebzig Kilo Lebendfleisch. Was immer sie vorbringt, ist halluziniert. Hinter Traum und Halluzination fuchtelt und zetert ein nüchterner, gerissener Winkeladvokat. Von dem will ich, von dem darf ich nicht wissen. Ich sehe nur die lallende Schlafwandlerin, die unselig Verstrickte, die gequälte Quälerin, das grenzenlos vereinsamte Weib, eine Ganna, der ich abzubitten habe, die ich für das beleidigte Sittengesetz entschädigen muß. Ganna, die verängstigte Mutter, die enttäuschte Gefährtin, die mißhandelte Gattin, die hilflos vor der Wirklichkeit versagende Frau verbirgt mir Ganna, die Rasende, Ganna, den Winkeladvokaten. Auch ich träume. Auch ich halluziniere. Ich bewege mich im verhexten Kreis.

Die Advokaten greifen ein

Meine Freunde rieten mir, mich an einen Anwalt zu wenden. Sie hatten Angst um mich. Eine schlimme Reizbarkeit machte sich an mir bemerkbar. Ich hatte mein fünfzigstes Jahr überschritten; konnte sein, daß ich den Anstrengungen nicht mehr gewachsen war, die ich mir zumutete. Man empfahl mir den Doktor Chmelius. Ich kannte ihn von gesellschaftlichen Begegnungen her und erinnerte mich seiner als einer sympathischen Erscheinung. Es stellte sich heraus, daß es derselbe Anwalt war, der Bettinas rasche Scheidung durchgeführt hatte. Aber Bettina hatte nie von ihm gesprochen, hatte mir gegenüber nicht einmal seinen Namen genannt. Sie hatte nichts für Advokaten übrig. Sie glaubte nicht, daß sie etwas Segensreiches zuwege bringen konnten. Und ich hatte in meinem ganzen Leben mit keinem Advokaten zu tun gehabt. Jetzt wurde das gründlich anders.

Dr. Chmelius sollte zunächst Gannas Finanzbeirat sein, der Beaufsichtiger ihrer Geldgebarung, da ihre Forderungen und ihr Verbrauch nachgerade ins Ungemessene wuchsen und ich dem nicht mehr steuern konnte. Ganna weigerte sich jedoch, den Dr. Chmelius als Berater anzuerkennen; sie hatte erfahren, daß Bettina vier Jahre zuvor seine Clientin gewesen und konstruierte eine verschwörerische Beziehung. Sie behauptete, er habe sich in den Dienst Bettinas gestellt und handle unter ihrem psychologischen Druck. Dr. Chmelius war ein gewiegter Jurist und ein vornehmer, deshalb vielleicht etwas zu zögernder Mann. Trotzdem trieb jeder seiner höflichen und rücksichtsvollen Briefe Ganna in die Siedehitze der Entrüstung. Wessen unterfing sich der Mensch? machte ihr, Ganna, Vorschriften; erteilte ihr, Ganna, Ratschläge; wagte sogar, von Scheidung zu sprechen und zu schreiben; unerhört!

Unverzüglich stellte sie in der Person des Dr. Pauli einen Gegenanwalt auf. Dieser wollte ihr zwar wohl, war auch nicht abgeneigt, ihre Rechte zu vertreten, doch war er mit Geschäften überlastet, und bei aller Bewunderung, die er für ihre Tatkraft, ihre Findigkeit, ihren Unternehmungsgeist hegte, waren ihm die Konferenzen mit ihr zu anstrengend. Er konnte sie nicht zweimal des Tags empfangen und anhören wie sie forderte, und er wurde ärgerlich, wenn sie von einer Besprechung zur andern ihre Entschließungen gänzlich veränderte. Deshalb übergab er den Akt einem Freund und Kollegen, einem gewissen Dr. Grieshacker. Dieser sah sich aber auch alsbald von Ganna zu stürmisch belagert und schob die Sache seinem Sozius zu, einem Dr. Schönlein, was gleichwohl zur Folge hatte, daß die causa Ganna Herzog manchmal von allen dreien begutachtet, bearbeitet und in Schriftsätzen hin- und hergewälzt wurde.

Nur in Schriftsätzen, sonst kam nichts dabei heraus. Niemand wußte, was Ganna eigentlich wollte. Sie selbst am wenigsten. Wollte sie geschieden werden? Nein. Wollte sie nicht geschieden werden? Alles sprach dafür, doch hütete sie sich, es zuzugeben. Wozu machen wir uns also die Mühe? fragten die Advokaten. Ganna handelte ungefähr wie der Besitzer eines Gehöfts, dem man mit einem nächtlichen Überfall gedroht hat und der zur Sicherheit rings um sein Anwesen Gendarmen postiert. Dem Dr. Pauli lag daran, daß sie von den üblichen Expensennoten verschont blieb; er kannte ihre Bedrängnisse und bestimmte auch seine Kollegen in diesem Punkt zur Nachsicht. Eine noble Geste; er sah nicht voraus, daß es auch eine verhängnisvolle war. Dadurch gewöhnte sich Ganna, ihre Anwälte zu überlaufen und sie zu wechseln wie man Strümpfe wechselt. Da sie keinen Begriff von menschlicher Arbeitskraft hatte noch Respekt vor ihr, mutete sie jedem, den sie in ihre Angelegenheiten eingespannt hatte, ausschließliche Beschäftigung mit ihnen zu und behandelte ihn wie einen pflichtvergessenen Lehrling, wenn ihr diese Ausschließlichkeit nicht zugestanden wurde. Und so zufrieden sie einerseits war, daß man ihre Geldnöte berücksichtigte, konnte sie doch andererseits des heimlichen Argwohns nicht Herr werden, daß, wer umsonst oder billig für sie arbeitete, auch schlecht arbeitete. In diesem Zwiespalt wurde sie immer ungenügsamer, immer aufgeregter, immer streitgieriger, immer verworrener, immer ratloser. Die Menschheit zerteilte sich ihr von nun ab in zwei Lager: die Anhänger ihrer Sache und die Gegner ihrer Sache. In der Mitte standen, als lichte Führer zu Glück und Sieg, die Advokaten, natürlich die von ihr gedungenen Advokaten; die gegnerischen waren der Abschaum der menschlichen Gesellschaft.

Sie hing am Telephon und sprach unter hundertmaligem dumpfen Hallo-oh! mit den verschiedenen Kanzleien, auch der des Dr. Chmelius. Dieser konnte sich ihrer dringlichen Bitten um Geld nicht mehr erwehren. Der Dialog war feststehend. »Um Himmelswillen, gnädige Frau, ich habe Ihnen doch erst vor einer Woche eine beträchtliche Summe überwiesen.« Darauf Ganna, mit atemberaubender Suada: sie habe »Imprévus« gehabt, ein Ausdruck, den sie besonders bevorzugte, stand doch ihr ganzes Leben unter dem Zeichen des Unvorhergesehenen, und verbat sich die unbefugte Einmischung in ihre Geldgebarung. Wenn sie sich aber dann nicht zu helfen wußte, nahm sie ihr Haushaltungsbuch unter den Arm und fuhr zu Chmelius in die Stadt, um ihm Ziffer für Ziffer darzulegen, wie sparsam und überlegt sie wirtschafte. Alles Aufgeschriebene war sakrosankt für sie. Dies war in ihrem Fetischglauben an Wort und Zahl begründet. Die Verrechnungen in ihrem Buch hielt sie für ebenso unangreifbar wie den Ausweis der Reichsbank.

Ebenso behandelte sie jedes ihrer Sendschreiben wie ein päpstliches Breve. »Hast du meinen Versöhnungsbrief vom sechzehnten nicht bekommen?« schrieb sie etwa, »ich vermisse deinen Bescheid auf meine sehr gemäßigten Vorschläge. Es scheint, meine Briefe werden dir nicht ausgefolgt. Bestätige mir ausdrücklich und telegraphisch, daß du den genannten erhalten und gelesen hast.« Damit setzte die Fiktion der von Bettina unterschlagenen Briefe ein. Es gab keinen Schutz gegen die Bezichtigung. Dr. Chmelius galt ihr als Anstifter. Nie könne sie es mir verzeihen, daß ich diesen Mann zu ihrem Büttel gemacht habe, ließ sie sich vernehmen, die Augen seien ihr dadurch gründlich geöffnet worden. Auf die Scheidung dürfe ich nicht mehr rechnen; sie sei praktisch undurchführbar, ideell eine Unmenschlichkeit. Nur wenn ich den Dr. Chmelius verabschiede, könnten die Verhandlungen vielleicht wieder aufgenommen werden. Fügte ich mich weiterhin dem Terror meiner Umgebung, so hätte ich bei ihr verspielt. Meine Hoffnung war ohnedies auf den Nullpunkt gesunken. Wäre Jesus Christus in Person gekommen, als mein und Bettinas Anwalt hätte er bei Ganna verspielt.

An keinem Ort fand sie Ruhe, in keinem Haus, in keinem Zimmer, bei keinem Menschen, bei keinem Buch, in keinem Bett. Sie litt an Gallenbeschwerden, Herzbeschwerden, Atembeschwerden, konsultierte Spezialisten und Kurpfuscher, gebrauchte Salben und Kräutertees, sauste nach Karlsbad, an die Adria, zu Schwester Traude nach Berlin, war den einen Tag unermüdlich auf den Beinen, erklärte sich den andern für todkrank, aber auch diese Krankheit war eine Fiktion, Flucht vor der schauerlichen Unrast.

Undeutlich zeichnete sich in der Verwirrung ihrer Geschäfte der Zusammenbruch der Filmzeitschrift ab. Der Drucker hatte sie auf Kostenersatz geklagt. Vermutlich hatte sie sich, um ihn teilweise auszuzahlen, in neue Schulden gestürzt. Dr. Chmelius gegenüber leugnete sie es. Aber wo sollte sonst all das Geld hingekommen sein? Schwarze Unerklärlichkeit. Hatte sie heimliche Freunde, an die sie es verschleuderte, Blutsauger, die es ihr ablisteten? War es lediglich der düstere Vernichtungswille, in den Motive von schwer erkennbarer Beschaffenheit verwoben waren: Liebes-, Hasses-, Eifersuchts-, Selbstbehauptungs-, Selbstzerstörungs-, Wunscherfüllungstriebe? Dr. Chmelius berichtete mir, er habe ihr Posten vorgerechnet, daß ihr im abgelaufenen Jahr über die Hälfte meines Einkommens zugeflossen sei; darauf habe sie ihn gröblich angefaucht und von Betrug und Schwindel gesprochen, sie wisse aus verläßlicher Quelle, daß ich mehr als das Fünffache verdient hätte. Ich sagte: »Diese Reden kenne ich, wie soll ich ihr beweisen, daß dem nicht so ist? wie soll man überhaupt jemand beweisen, daß man etwas nicht besitzt, wovon er glaubt, daß man es besitzt?« – Dr. Chmelius entgegnete verdrießlich: »Sie können der gnädigen Frau unter keinen Umständen etwas beweisen. Außer im wiederaufgeschlagenen Ehebett. Sonst nicht.«

Und so erwiesen sich die Verhandlungen, auf die sich Ganna mit scheinbarer Bereitwilligkeit einließ, samt und sonders als Spiegelfechtereien. In ihrem nächtelangen Bohren und Grübeln hatte sie sich drei Vertragsklauseln ausgedacht, über deren Unverwirklichbarkeit sie keinen Augenblick im Zweifel sein konnte, deren sie aber bedurfte, um nachher, wenn die Konferenzen gescheitert waren, die Unschuldige spielen und sagen zu können: ich habe meinen guten Willen dargetan, die Hintertreiber, die Durchkreuzer seid ihr.

Da diese Punkte in gewisser Weise einzigartige »Sanktionen« darstellten, will ich sie anführen. Erstens sollte ich auf die väterliche Gewalt über die minorenne Tochter verzichten. Ein juristisches Eigengewächs Gannas; kein Gericht der Welt hätte einen solchen Verzicht anerkannt. Zweitens hatte ich für jede Tochter eine Mitgiftsumme in ansehnlicher Höhe zu deponieren. Wo ich eine solche Summe hernehmen sollte, wurde nicht gefragt. Der Kral verfügte es. Der Kral gebot: versorge deine Brut, Mann; zuerst und vor allem die Brut, was mit dir selber geschieht, ist uns verdammt gleichgiltig; daß er sich schinde, der Abspenstige; daß er nicht zur Besinnung komme; daß er und seine Kebse die Zwangsfesseln nicht abstreifen können. Darum Versorgung; Versorgung bis in die graue Ewigkeit. Als drittes dann: Bettina habe eine eidesstattliche Zusicherung zu unterfertigen, daß sie mich niemals verhindern werde, eine angemessene Zeit des Jahres mit Ganna zu verbringen. Ganna hielt eine solche Verbindlichkeit nicht nur für rechtskräftig, nicht nur für durchführbar, sondern sie erblickte in ihr auch ein Mittel, die Nebenbuhlerin jederzeit und beim geringsten Verdacht eines Gegeneinflußes vor den Kadi zu schleppen. Als dem Dr. Chmelius diese drei Musterbeispiele von Gannas Drosselungskunst unterbreitet wurden, rief er aus: »So etwas habe ich in meiner Praxis noch nicht erlebt, und ich habe doch schon manches erlebt.«

Ate

Im Verlauf des Prozesses, den der Drucker der Filmzeitschrift gegen Ganna angestrengt hatte, kam es zum Zerwürfnis mit dem Dr. Schönlein. Den eigentlichen Anlaß habe ich nicht erfahren, mir wurde nur mitgeteilt, daß in der Kanzlei Schönleins heftige Auftritte stattfanden und ihr der Anwalt eines Tages die Vollmacht hinwarf. Sie führte bittere Klage bei Dr. Pauli, der sie zu besänftigen trachtete und, da Dr. Grieshacker die Vertretung längst vorher niedergelegt hatte, sie und ihre Sache dem Dr. Stanger-Goldenthal empfahl, einem bekannten Löwen des Barreaus, Fachmann für Ehescheidungen. Dieser war genau der richtige Mann für Ganna. Bis jetzt hatte sie, wenn ich mich so ausdrücken darf, den Advokaten ihrer Sehnsucht noch nicht gefunden. Dr. Stanger-Goldenthal füllte diese Lücke aus. Er wußte auf den ersten Blick, was Ganna von ihm wollte. Er witterte einen großen Coup. Es ist das Wesen der Juristerei, daß sie diejenigen, die ihre Zuflucht bei ihr suchen, so lange foppt und in Atem hält, bis sie ihr Vermögen, ihren Lebensmut und ihren Glauben an Recht und Gerechtigkeit eingebüßt haben. Das traf freilich mehr auf mich zu als auf Ganna. Sie war bereits unempfindlich gegen das Übel; was jemals an Geist, an Würde, an Stolz, an Herzenskraft in ihr gewesen, war in diesem Dunstkreis schon ersäuft. »Lassen Sie mich nur machen, verehrte Frau,« sagte Dr. Stanger-Goldenthal, nachdem er den Akt studiert hatte, »die Geschichte werden wir zum Klappen bringen.« Aus seinen Mienen erkannte Ganna, daß sie nichts zu fürchten hatte. Sie fühlte die artverwandte Seele. Ein Stein fiel ihr von der Brust. Die Verehrung, mit der sie in der ersten Zeit von dem Manne sprach, hatte etwas Hektisches.

Dr. Chmelius war bestürzt über die Wahl. Er verhehlte mir seine Besorgnisse nicht; er hatte einige Erfahrungen mit Herrn Stanger-Goldenthal gemacht. Er wagte sogar gegen Ganna eine warnende Bemerkung. Aber Ganna lächelte schlau, so wie jemand, der den Stein der Weisen besitzt und dem man einzureden sucht, der Besitz werde ihm verderblich werden. Er denkt natürlich, man wolle ihm die Kostbarkeit abluchsen. Dr. Chmelius tat das Äußerste, er ging zu Dr. Pauli, um sich mit ihm über den Fall auszusprechen. Da er das Gespräch nachher schriftlich zu den Akten gelegt hat, kann ich es ungefähr wiedergeben. »Es wird Ihrem anwaltlichen Scharfblick nicht entgangen sein,« fing er an, »daß Frau Ganna meinen Klienten durch ihr undurchsichtiges Verhalten maßlos quält, ihn in seiner Arbeitsleistung schädigt und damit, wie man zu sagen pflegt die Henne abwürgt, die ihr die goldenen Eier legen soll.« – »Trotzdem ist der einzige Mensch, der von Ganna Herzog die Scheidung erlangen kann, Alexander Herzog,« erwiderte Dr. Pauli. – »In zwei bis drei Jahrzehnten... möglicherweise,« sagte Dr. Chmelius sarkastisch. – »Der Fehler ist,« gab Dr. Pauli zurück, »daß von der Gegenseite behauptet wird, die Ehe sei unglücklich gewesen. Dadurch wird die Frau schwer verletzt und gereizt.« – »Warum sollte Herr Herzog den Wunsch haben, eine glückliche Ehe aufzulösen?« – »Einflüsse. Ganz klar.« – »Bester Kollege; ich hoffe doch nicht, daß Sie sich von einer Schwärmerin haben betören lassen.« – »Und wenn dem so wäre? Ist nicht eine Schwärmerin die geeignete Ergänzung für einen Dichter? Frau Ganna hat mir zahllose Briefe von ihm vorgelegt. Liebesbriefe. Echte Liebesbriefe. Sie zeigte mir handschriftliche und gedruckte Widmungen seiner Bücher, die ihr als Gefährtin und Mitarbeiterin das ehrendste Zeugnis ausstellen. Ich begreife nicht, was Sie wollen.« – »Haben wir denn über die moralische Haltung unserer Mandanten zu richten, Herr Dr. Pauli? Sie wissen so gut wie ich, daß die Vergangenheit im Bedarfsfall verführerisch geschminkt wird. – »Es kann aber nicht bezweifelt werden, daß die Herzogsche Ehe ohne die Dazwischenkunft der Frau Merck nicht in die Brüche gegangen wäre.« – »Natürlich nicht. So spielen sich eben die Dinge ab. Es ist das Schicksal. Wir stehen vor Tatsachen.« – »Auch Frau Gannas Schmerz und Treue sind Tatsachen, Kollege. Man hat sie zu respektieren, wenn man Alexander Herzog ist.« – »Schön. Was soll er nach Ihrer Meinung tun?« – »Zurückkehren.« – »In die Gefangenschaft? Ins Strafhaus?« – »Ach was! wir alle sind Gefangene und Sträflinge. Sie etwa nicht?« – »Und die Frau, die er liebt?« – »In seinem Alter setzt man nicht wegen einer Liebschaft den Namen, die Ehre und die Zukunft von drei Kindern aufs Spiel.« – »Ich verstehe nicht, was die Ehre damit zu schaffen hat.« – »Ein Mann wie Alexander Herzog hat außer der bürgerlichen noch eine andere Ehre blank zu erhalten. Weiß er nicht, was entbehren heißt? Will er die gesellschaftliche Ordnung sprengen, dem Weltgeist auf die Hühneraugen treten?« Dr. Pauli ging erregt auf und ab und lachte etwas schmerzhaft. Dr. Chmelius gestand mir, es habe ihm plötzlich die Rede verschlagen. Er hatte sich zu einer Verständigung mit einem Mann des Rechts eingefunden und ging fassungslos weg von einem, der sich einer Partei verdungen hatte, rätselhaft warum. Aber dann fiel dem im Beruf ergrauten Skeptiker ein, und er schmunzelte ein wenig, als er es mir verriet, daß Dr. Pauli in einer höchst unglücklichen Ehe gelebt hatte, und daß die Frau, die er noch immer liebte, mit einem andern davongelaufen war. Seine Haltung gegen mich war sonach, bei aller persönlichen Ehrenhaftigkeit, eine perfide kleine Geschlechtsrache.

Eine Woche später starb Dr. Pauli jähling an einem Gehirnschlag. Er wurde von vielen Menschen aufrichtig betrauert. Ganna war durch den Tod ihres Freundes wie betäubt. Sie legte sich drei Tage lang ins Bett. Diese Tage der Betrübnis gaben ihr die Musse, ein umfangreiches Memorial abzufassen, Bündelung aller schwebenden Fragen. Sie schickte das Konzept an Dr. Stanger-Goldenthal, damit er es in die Juristensprache übersetze, in der Ganna damals noch keine solche Meisterschaft erlangt hatte wie später. Es war immerhin ein Schriftstück von hoher advokatischer Vollendung. Der Anwalt beglückwünschte sie dazu. Als er dem Rohbau den letzten terminologischen Schliff verliehen und den erforderlichen Hauch von Vieldeutigkeit und Schwerverständlichkeit darüber gebreitet hatte, konnten Dr. Chmelius und ich uns die Zähne daran ausbeißen.

Kein Lichtblick. Hoffnungsloser Knäuel von Vorschlägen, Maßnahmen, Erörterungen, Verschleierungen, Anwürfen, Verdächtigungen, arglistigen Vorspiegelungen, Gewaltsamkeiten und Spitzfindigkeiten. Die Anwälte überschütten einander mit Briefen, überschütten die Klienten mit Briefen, diese antworten mit Briefen und überschütten einander ebenfalls mit Briefen. Schreibmaschinen klappern, Morseapparate ticken. Telephone ratschen, Eilboten rennen, jeder der Beteiligten kommt auf seine Rechnung außer dem einen, der den Massenaufwand, die Material- und Nervenverschwendung mit seinem sauer erworbenen Geld, seinem Frieden, seinem Blut und Leben zu bezahlen hat und nichts dafür bekommt als – Papier.

Und hinter alledem steht als Urheberin Ganna, ungerührt, unrührbar, erzstirnig, das täuschende Vielleicht auf den Lippen, das starre Nein im Herzen, Göttin der Zwietracht, der finstern Ate ähnlich, der mißratenen Tochter des Zeus. Unermüdlich und unverdrossen, Stein bei Stein, Weg für Weg, baut sie sich ihre Wahnwelt auf, die so überraschend viele Berührungspunkte mit der wirklichen hat und gleicherweise das Stigma des Untergangs an sich trägt.

Caspar Hauserchen

Ich gelange jetzt zu einem Abschnitt meines Lebens, der äußerlich alle Merkmale des Erfolgs und der Glückserfüllung aufwies, doch im Innern umsomehr den Keim des Unheils barg. Ich balancierte nur lange Zeit verblendet darüber hinweg. Im Jahre 1923 fiel mir das Bucheggergut in Ebenweiler in den Schoß, im wahrsten Sinne in den Schoß, denn ich hatte an die Erwerbung eines solchen Herrensitzes nicht im Traum gedacht. Oder doch, geträumt hatte ich davon. So oft ich, vor einem Vierteljahrhundert schon, vorübergegangen war, hatte ich eine sehnsüchtige Regung verspürt wie vor einem Märchenschloß; hier wäre gut sein, wäre gut schaffen. Das Anwesen lag (ich muß wohl sagen liegt) am Seeufer, das geräumige Landhaus inmitten eines weitläufigen Parks. Der letzte Graf Buchegger hatte es nach dem Umsturz an einen niederländischen Herrn verkauft, dieser hatte die Freude daran verloren, da er in der Gegend nicht heimisch werden konnte, und als er vernahm, daß ich seit Jahren nach einer dauernden Wohnstätte Umschau hielt, ließ er es mir in einer mäzenatischen Laune für die Hälfte des Preises anbieten, den er selbst dafür gezahlt hatte.

Das beständige Umziehen mit Sack und Pack von der Wrabetzvilla in ein benachbartes Bauernhaus, von diesem wieder in das Winterhaus, war beschwerlich geworden. Es machte unser Leben vagabundisch. Doch wie sollte ich selbst die großmütig ermäßigte Summe aufbringen, die der Niederländer verlangte? Zudem war ein Arbeitsheim, das den strengen Wintern Trotz bot, ohne beträchtliche Umbaukosten nicht herzustellen. Freilich war ein Überfluß von Mobiliar, Silber, Wäsche und allen möglichen Gebrauchsgegenständen vorhanden, der allein schon die Hälfte des Kaufwertes ausmachte ; doch obwohl der holländische Herr sich mit einer geringen Anzahlung begnügen wollte, den Rest hätte ich, niedrig verzinst, in Jahresraten zu entrichten gehabt, ergab der Voranschlag für die Instandsetzung des Hauses einen unerschwinglichen Betrag. Ich besaß keine Ersparnisse. Ich lebte wie eh und je von der Hand in den Mund. Der Verbrauch war groß, um ihn zu bestreiten, mußte ich große Einnahmen erzielen. Hierin hatte mich allerdings bis jetzt das Glück begünstigt. Wie es weiter gehen sollte, lag eigentlich Monat für Monat im Ungewissen. Es war eine ziemlich abenteuerliche Existenz, keinesfalls eine, die auf reeller Basis stand.

Offenbar gibt es eine Kategorie von Ereignissen, die sich in ein und demselben Leben gleichartig wiederholen. Während ich zwischen Lust und Absage schwankte, bot mir ein kürzlich reichgewordener Freund seine Hilfe an. Als ich ihm, voller Zweifel, die Sache darlegte und das Haus zeigte, war er Feuer und Flamme für die Erwerbung und stellte mir mit einer großen Geste das Kapital für Anzahlung und Umbau zur Verfügung. Die Rückerstattungsbedingungen waren so wenig drückend und erstreckten sich auf so weite Fristen, daß ich keine Ursache zur Sorge sah, nur Anlaß zum Dank. Wieder, wie vor Jahren, verschafften mir Freundesgüte und -hochherzigkeit ein Asyl.

Alsbald erschien ein deutscher Bauleiter und sammelte Maurer, Zimmerleute, Dachdecker, Monteure, Glaser, Ofensetzer, Anstreicher um sich. Wagenladungen und Utensilien trafen ein, vier Monate lang wurden Wände niedergerissen, andere aufgerichtet, Fenster eingesetzt, Balkons gezimmert, Traversen und Röhren gelegt, wurde gehämmert, gegraben, gerodet, gepflastert, gebohnt, gestrichen, und als der Oktober kam, zogen wir, Bettina und ich, wie zwei Kinder, denen verstattet wird, auf die Bühne zu gehen, wo sich eine Feerie begibt, in das neue Heim hinüber. Bettina war im vierten Monat guter Hoffnung.

Ich darf nicht verschweigen, daß Bettina dem Wechsel der äußeren Umstände mit Bangen entgegengesehen hatte. Eine so breite Existenz in anspruchsvollem Rahmen flößte ihr die größten Besorgnisse ein. Sie warnte mich. Ihr Weltverstand ließ sich nicht vom schmeichelnden Schein betrügen. Immer wieder hielt sie mir die Schwierigkeiten vor: zu den bestehenden Lasten die Verschuldung für Jahrzehnte; die Hilfskräfte, die für ein solches Haus erforderlich waren, damit es nicht verwahrloste; die Erhaltungskosten; die Erhöhung des Standards. Sie sagte, ich würde auf die Dauer die Last nicht tragen können. Man müsse auf schlechte Zeiten gefaßt sein; fetten Jahren folgten magere. Ich dürfe mich nicht zum Fronknecht machen, mich nicht toter Habe versklaven.

Ich lachte sie aus. Ich war meiner natürlichen Hilfsquellen allzu sicher. Wenn ich eine Zeitlang außerhalb der Gannabrandung war, meinte ich, das Schicksal könne mir nichts anhaben. Bettina ließ sich einlullen von dem unerschütterlichen Glauben, den ich an mich und meinen Stern hatte, obgleich sie für die Zukunft zitterte. Sie hatte viel mehr trübe Stunden als früher, dann flüchtete sie zu mir wie ein Tier bei der Annäherung des Feindes seine Höhle aufsucht. »Ich werde es schon aufbringen,« sagte ich; »was kann uns denn passieren? Schlimmstenfalls schlägt man das Zeug wieder los.« Ich sagte auch, es sei mir ein tröstlicher Gedanke, sie und das Kind, das sie erwartete, hätten nach meinem Tod eine Zuflucht und ein Stück Eigentum. Bettina lächelte. »Wenn wir schon von deinem Tod sprechen sollen,« erwiderte sie, »meinst du wirklich... siehst du mich wirklich als Eigentümerin? Schau meine Finger an.« Verwundert schaute ich in ihre Hand, die sie mir entgegenhielt. »Diese Finger können keine Sachen halten,« sagte sie; »es ist mir einmal geweissagt worden, daß ich nie verschuldet sein, aber auch nie etwas besitzen werde.«

Dennoch war es ein beglückender Gedanke für sie, trotz aller Angst, daß das Kindchen ein Nest haben sollte, aus dem es nicht zweimal im Jahr vertrieben wurde. Eine feste Burg in einer angriffslüsternen Welt. Sie selber brauchte keine Burg. Sie konnte sich wehren. Aber das kleine Menschlein, das kommende (sie war vom ersten Tag an überzeugt, es würde ein Sohn sein), mußte wie ein Caspar Hauserchen frühzeitig in die Geborgenheit gebracht werden. Und sollte es nach Gannas Willen sein Los sein, daß es ohne Vatersnamen aufwuchs, war es doppelt geboten, schützenden Raum zu legen zwischen es und die von Legitimität starrende Gannawelt. Und plötzlich fürchtete sie sich nicht mehr. Zu Beginn der Schwangerschaft hatte sie manchmal, ganz gegen ihre Art, vor Furcht geweint. Sie schrieb damals das »Lied eines Ungeborenen«, eine ihrer schönsten Kompositionen; als sie es mir vorspielte, hatte ich noch keine Ahnung von ihrem Zustand.

Am selben Abend, sie lag im Bett, ich saß lesend bei der Lampe, rief sie mich und bat, ich möchte mich zu ihr setzen. Sie ergriff meine Hand und sagte es mir. Zögernd, mit halber Stimme; sie wußte ja nicht, wie ich ein so störendes Ereignis aufnehmen würde.

Ich erschrak. Sofort begriff ich, es war damit eine Zwangslage geschaffen, in der ich keine Schwäche mehr zeigen durfte. Das Caspar Hauserchen wollte seinen Platz auf der Erde haben. Unsere Augen ruhten ernst und lange ineinander. In dem Grau um die dunklen Pupillen Bettinas sah ich überdeutlich das Braungesprenkelte. Ich kniete vor dem Bett nieder und küßte ihre Hände, eine nach der andern, viele Male...


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