Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Bettina begleitete Kerkhoven bis Salzburg. Sie hatte noch vieles mit ihm zu besprechen. Nebstbei war es eine willkommene Gelegenheit, der Vernichtungsschlacht, die gegen sie und ihr Haus tobte, für einen halben Tag zu entrinnen. Ganna Herzog ging nunmehr daran, mit Hilfe dienstfertiger Advokaten den bürgerlichen Ruf Alexanders und damit auch den Bettinas zu untergraben. Sie drohte mit einer Bigamieklage, wobei sie sich auf einen Formfehler stützte, der bei der Trennung der Ehe geschehen war. Sie bezichtigte ihn ferner der Vermögensverschiebung, da er nicht mehr imstande war, ihren unaufhörlichen Geldforderungen zu genügen und sie wider alle Vernunft und trotz der nachweisbaren Tatsache, daß er sich für seine erste Familie bis zum Weißbluten geopfert, fest überzeugt war, er habe beizeiten ein beträchtliches Kapital in Sicherheit gebracht. »Und wir besitzen nichts!« rief Bettina aus, »nicht soviel Erspartes, um einen Monat davon leben zu können!« – »Aber das alles ist ja der helle Wahnsinn,« sagte Kerkhoven. – »Gewiß, der helle Wahnsinn, vor dem einen die finstern Gesetze nicht schützen,« entgegnete Bettina mit funkelnden Augen.

Eine Weile schwieg sie, von peinigenden Gedanken erfüllt. Denn sie überlegte, wie sie es anstellen sollte, mit Kerkhoven über die Verrechnung seiner Auslagen zu reden, und schließlich hatte er auch, wie jeder andere Arzt, Anspruch auf Entgelt für seine Hilfeleistung. Nach einigem Schlucken und Atemholen begann sie: »Es ist mir äußerst fatal, daß mir das mit unsern finanziellen Schwierigkeiten gerade jetzt herausgerutscht ist. Es sieht aus wie ein avis au lecteur. Ich wollte Sie nämlich bitten... nicht wahr, Sie werden mir nicht böse sein...« – »Ach, Sie meinen, ich soll Ihnen sagen, wieviel Sie mir schulden?« fragte Kerkhoven trocken. – »Ja.« – »Das kann ich tun. Hunderttausend Franken.« – Als er ihr bestürztes Gesicht sah, schmunzelte er. »Hunderttausend Franken, Frau Bettina, oder nichts. Weniger kann ich nicht annehmen. Und da wir um das bißchen weniger doch nicht feilschen wollen, bleibts beim Nichts. Die Kosten für die Fahrt teil ich Ihnen gelegentlich mit. Den Rest schreiben Sie mir im Buch Freundschaft gut. Einverstanden?« Sie brachte keine Silbe hervor.


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