Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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16

Die Ordnung seiner Angelegenheiten nahm ihn zwei Wochen in Anspruch. Er hatte mit den Behörden zu tun, mit der Ärztekammer, hatte lange Besprechungen mit seinen Assistenten, die Forderungen mußten beglichen, die Außenstände eingetrieben werden. Die Auflösung beider Haushalte besorgte Marie. Für den Verkauf von Lindow wurde ein Sachwalter bestellt. Sie hatte das Gut in den letzten Jahren ausgezeichnet bewirtschaftet, es meldeten sich auch alsbald mehrere Interessenten. Nach Kerkhovens Abreise wollte sie mit den Kindern eine kleine Wohnung in Berlin beziehen, aber nur für ein halbes Jahr, später gedachte sie an den Bodensee zu übersiedeln, wo sie für Johann, ihren älteren Knaben, eine passende Lehranstalt ausfindig machen wollte. Das war auch der Wunsch Kerkhovens, der nicht nach Berlin zurückkehren wollte.

Nicht ein einziges Mal, weder mit Mienen noch mit Andeutungen, versuchte sie seinen Entschluß zu erschüttern. Sie fragte ihn nicht aus, sie verriet keine Schwäche, sie ließ den Kopf nicht hängen, und das stille Einverständnis, das sie ihm zeigte, täuschte ihn über die nagende Sorge hinweg, gegen die sie nur wehrlos wurde, wenn sie allein war.

Ein Handkoffer und eine Ledertasche waren sein ganzes Gepäck. An jedes Stück, das er einpackte, knüpfte er die Überlegung, ob er es wirklich brauche oder ob er sich nur einbilde, es zu brauchen. »Der viele Plunder, den man durchs Leben schleppt, nimmt einem innerlich Platz weg,« sagte er; »besitzen heißt besetzt sein.« »Ich will mirs merken,« sagte Marie und verkaufte ein paar Tage später den größten Teil ihres Schmucks.

Über den Abschied wollen wir nicht viel Worte verlieren. Marie, im Vorsatz, es ihm leicht zu machen, zwang sich sogar zur Heiterkeit. Bis fünf Minuten vor der Trennung. Da mußte sie sich Gewalt antun, um nicht laut herauszuweinen. Plötzlich erschien ihr sein Unternehmen als frevelhafte Herausforderung des Schicksals. Ist es denn wirklich nötig? wollte sie aufschreien, aber er ließ es nicht zu; in seinem Blick lag eine so ruhige Bejahung, daß sie die Zähne aufeinanderbiß und sich mit zitternder Kinnlade zu den Kindern wandte, die den Vater traurig und neugierig anschauten. »Gib acht auf sie, gib acht auf dich,« war sein letztes Wort.


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