Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Am andern Tag hatte er mit Mabel ein Gespräch, dessen Leitmotiv war: wir müssen von einander lassen, auch nicht das lockerste Band kann bestehen bleiben. Was sich zwischen ihm und Marie ereignet hatte, verschwieg er. Sie bedurfte der Erklärung nicht. Sie erriet. Sie verstand. Sie senkte den Kopf, ihre Lippen zitterten, sie legte ihre Hände in seine. »Du weißt, ich habe nichts gewollt,« flüsterte sie, »ich halte mich für genau so gebunden wie du. Es war mir genug, zu wissen, daß du auf der Welt bist und wird mir auch weiterhin genug sein.« – Er antwortete: »Meine Existenz ist dort verankert... bei ihr. Mit ihr steh und falle ich. Du, Mabel, du warst, du bist... womit soll ichs vergleichen? Es gibt Begegnungen, die einen andern Menschen aus einem machen. Aber jedes Wort ist zuviel, sonst vergeh ich mich an ihr... begreifst du es, Mabel? es ist so schwer, man müßte eine Geistersprache dafür haben...« – »Ja, eine Geistersprache,« hauchte Mabel, »das ist es. Und lieben als ob man keine Gegenwart und keinen Körper brauchte. Und leben als ob es keinen Tod gäbe... Sie beugte sich rasch nieder und küßte seine Hand. Sie war ein phantastisches großes Kind, ohne Heimat in der Wirklichkeit. Kerkhoven wußte es längst, so wie er wußte, daß sie sofort zerbräche, wenn er mit dem Anspruch seiner Wirklichkeit zu ihr käme. Von ihr träumen und um sie trauern, mehr blieb nicht; und auf seinem und ihrem Mund der stumme Dank, mit dem sie auseinandergingen. Am nächsten Morgen fragte Marie: »Ist sie fort?« – »Ja, sie ist fort. Ganz und gar fort.« Einige Sekunden sahen sie sich fest in die Augen. Dann trat Marie auf ihn zu, und es geschah weiter nichts als daß sie langsam das Haupt niederbog.


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