Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Wenn er, gewöhnlich zu einer frühen Nachmittagsstunde, bei Imst eintrat, um ein wenig mit ihm zu plaudern, saß dieser vor einem Schachbrett, in die Lösung einer Aufgabe vertieft. Die Aufgaben schnitt er aus den Sonntagsbeilagen alter Zeitungen heraus, von denen ein Stoß unordentlich unter dem Bett lag. Er hatte eine kurze englische Pfeife im Mundwinkel, die er meistens kalt rauchte. Kerkhoven legte es darauf an, sich ungefähr wie ein Hotelbesitzer zu benehmen, der seine Gäste zwar möglichst wenig stören will, andererseits aber Sorge trägt, daß sie sich nicht langweilen. Wenn er eine Frage stellte, antwortete Imst nie direkt, sondern stieß zuerst ein hastiges »wie bitte?« oder »wie meinen?« hervor als wolle er Zeit zum Überlegen gewinnen, eine Finte, deren sich viele mißtrauische und verängstigte Menschen bedienen.

Ins Freie ging er selten. Die Neugier nach der Welt war offenbar in ihm erstorben. Sein Aufenthalt im Hause war in der Gegend bekannt geworden, und trotzdem er von niemand belästigt wurde, bildete er sich ein, Schaulustige und Sensationsgierige belagerten Tag und Nacht das Tor. Es war ein schwacher Versuch, das ertötete Selbstgefühl in Form einer Abwehr wiederherzustellen.

Einmal forderte ihn Kerkhoven zu einer Partie Schach auf. Er lehnte ab, seltsam erschrocken. Kerkhoven wollte wissen, weshalb er sich weigere. Er sagte, er spiele nicht gut genug. »Aber ich bin auch nur ein blutiger Dilettant,« entgegnete Kerkhoven lachend. Imst war nicht dazu zu bewegen. Endlich glaubte Kerkhoven die wahre Ursache zu erkennen: es war die Furcht zu verlieren; Imst konnte den Gedanken nicht ertragen, im Spiel zu verlieren. Denn er verlor damit nicht nur die Partie, er verlor auch das Fünkchen Selbstachtung, das noch in ihm glomm.


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