Karl Simrock
Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter
Karl Simrock

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Wyl im Kanton St. Gallen

222. Graf Rudolf und der Abt von St. Gallen

»Herr Rudolf, trau du nicht dem Schlaf, der Abend bricht herein,
Der Abt, der Bischof und der Graf, drei Feinde harren dein!« –

»Von Basel der Bischof ist ein Wicht, der hat mehr Haß als Mut,
Den Grafen von Montfort fürcht' ich nicht, weil er mir unrecht tut.

Des Abtes wär' ich gerne los, dem rüstet' ich den Fall:
Kein Wunder, wenn mir einen Stoß versetzt der heil'ge Gall!

Drum, Burgvogt, wahr' mir wohl das Tor, stell Wachen um das Haus,
Wirf mir den grauen Mantel ums Ohr, ich muß in die Nacht hinaus!«

Der treue Diener schwer erschrickt, gehorchet doch dem Wort:
Dem Herrn er nach mit Sorgen blickt: der reitet im Nebel fort,

Im kühlen Abend durch Berg und Tal bis vor das Tor zu Wyl:
Dort sitzt der Abt beim Abendmahl und um ihn der Ritter viel.

Er selber unter der Kutte trägt den Panzer und das Schwert:
Die Harf' er süß und künstlich schlägt im Sang der Minne gelehrt.

Ein Ritter ist's, ein Sänger fein, ein geistlicher Herr zugleich,
So achtet er die Erde für sein und auch das Himmelreich.

Und bei dem Becher wechselt jetzt der Kriegsrat mit Gesang,
Und bald ein Lied das Ohr ergeht, bald rasselt Schwerterklang.

Und hinten in dem Saale fern flehn fromme Mönche zu Gott,
Erbitten Beistand ihrem Herrn vom Herren Zebaoth.

Der Abt den Becher hebt mit Lust: »Ihr Ritter, auf guten Krieg!
Mir sagt die Stimm' in meiner Brust, uns wird ein leichter Sieg!«

Und lustig klingen die Pokal', und alle stimmen ein,
Da tritt der Torwart in den Saal: was mag die Botschaft sein?

»Herr, der von Habsburg steht am Tor!« Da springen bei dem Wort
Die Ritter von dem Mahl empor und stürmen zum Kampfe fort.

Der Abt hält sie zurück und spricht: »Wie viele mögen's denn sein?« –
»Herr, einen andern seh' ich nicht, der Graf ist ganz allein.

Er hat kein' Waffen als sein Schwert, keinen Panzer, keinen Helm,
Zu reden er mit Euch begehrt, er sieht nicht aus wie ein Schelm!«

Die Ritter murren unter sich: »Mag ihm der Teufel traun!«
Der Abt sprach: »Fürchtet er nicht mich, so kann auch ich ihn schaun!«

Das Tor, das tat der Wächter auf, der Graf trat in den Saal,
Er drängt sich durch den Ritterhauf' und durch der Knappen Zahl.

Und freundlich trat er vor den Abt: »Herr, hört mich mit Geduld,
Wir haben einen Stoß gehabt, ich weiß, mein war die Schuld.

Drum, was durchs Recht Ihr haben sollt, das will ich Euch lassen gern;
Und solches ich Euch sagen wollt': was dünket euch, ihr Herrn?« –

»Uns dünkt, Ihr seid ein edler Feind, Herr Rudolf,« rief der Abt,
»Nehmt meine Hand, wir sind vereint, auch meinen Arm Ihr habt!«

Und Rudolf aus dem Mantel zieht die feste Reitershand.
Sie schlagen ein, der Becher glüht, Gesang tönt durch die Wand.

Und morgen mit dem frühen Licht ziehn sie den Rhein hinan!
Das denkt der Graf von Montfort nicht, wenn er den Abt sieht nahn.

Und erst wie auf die zwei, gepaart, die Morgensonne scheint,
Merkt er, wie Feind zum Freunde ward, ihm aber Freund zu Feind.

            G. Schwab.

 


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