Karl Simrock
Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter
Karl Simrock

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Lurlei

Der Lurlei-Felsen

90. Lorelei

Zu Bacharach am Rheine wohnt' eine Zauberin;
Sie war so schön und feine und riß viel Herzen hin

Und brachte viel zu Schanden der Männer rings umher;
Aus ihren Liebesbanden war keine Rettung mehr.

Der Bischof ließ sie laden vor geistliche Gewalt,
Und mußte sie begnaden, so schön war ihre Gestalt.

Er sprach zu ihr gerühret: »Du arme Lorelei,
Wer hat dich denn verführet zu böser Zauberei?« –

»Herr Bischof, laßt mich sterben, ich bin des Lebens müd',
Weil jeder muß verderben, der mir ins Auge sieht.

Meine Augen sind zwei Flammen, mein Arm ein Zauberstab:
O legt mich in die Flammen! O brechet mir den Stab!« –

»Ich kann dich nicht verdammen, bis du mir erst bekennt,
Warum in diesen Flammen mein eigen Herz schon brennt.

Den Stab kann ich nicht brechen, du schöne Lorelei,
Ich müßte denn zerbrechen mein eigen Herz entzwei.« –

»Herr Bischof, mit mir Armen treibt nicht so bösen Spott,
Und bittet um Erbarmen für mich den lieben Gott.

Ich darf nicht länger leben, ich liebe keinen mehr;
Den Tod sollt Ihr mir geben, drum kam ich zu Euch her.

Mein Schatz hat mich betrogen, hat sich von mir gewandt,
Ist fort von hier gezogen, fort in ein fremdes Land.

Die Augen sanft und wilde, die Wangen rot und weiß,
Die Worte still und milde, das ist mein Zauberkreis.

Ich selbst muß drin verderben, das Herz tut mir so weh,
Vor Schmerzen möcht' ich sterben, wenn ich mein Bildnis seh'.

Drum laßt mein Recht mich finden, mich sterben wie ein Christ,
Denn alles muß verschwinden, weil er nicht bei mir ist.« –

Drei Ritter läßt er holen: »Bringt sie ins Kloster hin!
Geh Lore! Gott befohlen sei dein betörter Sinn.

Du sollst ein Nönnchen werden, ein Nönnchen schwarz und weiß,
Bereite dich auf Erden zu deiner Todesreis'.« –

Zum Kloster sie nun ritten die Ritter alle drei
Und traurig in der Mitten die schöne Lorelei.

»O Ritter, laßt mich gehen auf diesen Felsen groß,
Ich will noch einmal sehen nach meines Liebsten Schloß.

Ich will noch einmal sehen wohl in den tiefen Rhein
Und dann ins Kloster gehen und Gottes Jungfrau sein.«

Der Felsen ist so jähe, so steil ist seine Wand,
Doch klimmt sie in die Höhe, bis daß sie oben stand.

Die Jungfrau sprach: »Da gehet ein Schifflein auf dem Rhein,
Der in dem Schifflein stehet, der soll mein Liebster sein!

Mein Herz wird mir so munter, es muß mein Liebster sein!«
Da lehnt sie sich hinunter und stürzet in den Rhein.

            Clemens Brentano.

 

91. Die Lorelei

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin?
Ein Märchen aus alten Zeiten
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein;

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar,
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldnes Haar.

Sie kämmt es mit goldnem Kamme,
Und singt ein Lied dabei,
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh'.

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lorelei getan.

            H. Heine.

 

92. Von der Lorelei

»Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Was reitst du einsam durch den Wald?
Der Wald ist lang, du bist allein,
Du schöne Braut, ich führ' dich heim.« –

»Groß ist der Männer Trug und List,
Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,
Wohl irrt das Waldhorn her und hin,
O flieh! du weißt nicht, wer ich bin.« –

»So reich geschmückt ist Roß und Weib,
So wunderschön der junge Leib;
Jetzt kenn' ich dich – Gott steh mir bei!
Du bist die Hexe Lorelei!« –

»Du kennst mich wohl – vom hohen Stein
Schaut still mein Schloß tief in den Rhein.
Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Kommst nimmermehr aus diesem Wald!«

            v. Eichendorff.

 

93. Ballade von der Lorelei

Wer singet dort so holde Melodei?
Das Schifflein säumt und gleitet sacht vorbei. –
Mein Nachbar sprach: Es ist die Lorelei.

Da droben thront sie auf des Felsen Spitze,
Strählt in den Rhein ihr goldnes Lockenhaar,
Und Geisterchöre tönen wunderbar
Im Rebenlaub an ihrem Herrschersitze;
Doch wie der Strahl durch trüber Wolken Ritze,
So dringt hindurch der Wunderton der Fei.

Ihr Singen regt beglückten Erdensöhnen
Die höchste Lust und alle süße Pein;
Wer sie vernimmt, muß ihr ergeben sein
Und kann sein Herz des Wohllauts nicht entwöhnen:
Gefesselt huldigt er der Macht des Schönen
Und lebt und stirbt im Dienst der Lorelei.

Noch hat sie nie sich einem Mann ergeben,
Ob sie auch vielen gnädiger geblickt.
Ein Ritter einst, von Sangeslust bestrickt,
Sann mit Gewalt zu fahn ihr holdes Leben:
Das Hifthorn tönt, die frechen Knechte streben
Schon berghinan zur Jagd der Lorelei:

Sie klimmt empor die höchsten Felsenstellen,
Der Frevler folgt, schon faßt er ihr Gewand:
Da schwingt sie sich hinab vom Bergesrand,
Und unten hört man sein Gebein zerschellen.
Sie aber singt lustwandelnd auf den Wellen:
»Mich zwingst du nicht, denn meine Gunst ist frei.

Den nach der Hand der Lorelei gelüstet,
Umschwebe Wohllaut schon im Mutterschoß:
Früh ringt das Lied sich seinem Busen los
Frei von der Lüge, die sich Wahrheit brüstet:
Er naht dereinst mit Sängerkraft gerüstet
Und Bräutigam begrüßt ihn Lorelei.«

Und als er kam auf stolzem Schiff gezogen
Den Strom hinab vom goldbeglänzten Main,
Schon wandelt sie zum bräutlichen Verein
Dem Freund entgegen auf des Rheines Wogen;
Da kommt ein Wind von Osten hergeflogen,
Entführt das Schiff und trauernd steht die Fei.

»Er war mein wert und könnt' er mich verschmähen?
So welke, Kranz, der höchsten Ehren Lohn.
Nein, grüne fort, denn einem treuern Sohn
Hat dich zum Schmuck der Himmel ausersehen:
Zwar werden noch Jahrzehente vergehen,
Doch treu des Lieblings harrt die Lorelei.«

Ballade, sag den Unberufnen frei,
Daß Musengunst nicht zu erzwingen sei:
Komm Liebling bald der schönen Lorelei!

            K. S. [Karl Simrock]

 

94. Der Teufel und die Lorelei

Das ist des Teufels größter Spaß,
Die schöne Schöpfung zu verderben:
Sie läge, wäre sie von Glas,
Von ihm zerschlagen, längst in Scherben:
Zum Glück gebricht ihm die Gewalt,
Wenn Bosheit ihm die Fäuste ballt.

Er machte, wie der Mylords mehr,
Einst Rhein hinauf die große Reise.
Da hob ein Fels sich hoch und hehr
Und warf den Strom aus seinem Gleise:
Das Prachtgestein zerstört' er gern,
Denn wer es sah, lobpries den Herrn.

Er greift mit beiden Händen zu
Und will es von der Stelle rücken;
Doch weil es ihm nicht weicht im Nu,
So stemmt er an den mächt'gen Rücken:
Da singt die Lurlei hoch vom Rand
Und Zauber hält ihn festgebannt.

Sie singt von Weh, die schöne Fee,
Und möcht' um Leben Liebe tauschen:
Sie wirbt so hold um Minnesold,
Die Wellen rauschen leis und lauschen:
Dem Teufel ist es scharfe Qual
Als führ' durchs Mark ihm kalter Stahl.

Sie singt von Lust, in fremder Brust,
Wie froh der Mensch da unten lebe,
Wie mit dem Rauch der Hütten auch
Sein Dankgefühl zum Himmel schwebe;
Der Teufel weiß nicht, ob er's glaubt,
Doch ist ihm alle Macht geraubt.

Sie schweigt, da reißt sich Satan los
Und flüchtet zu der Hölle Feuer;
Doch abgedrückt im Felsenschoß
Ist ein geschwänztes Ungeheuer;
Der Schiffer sieht's und sagt im Spott:
Der ist noch lang' kein Herre-Gott!

            K. S. [Karl Simrock]

 


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