Karl Simrock
Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter
Karl Simrock

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Lüttich

51. St. Jörg am Himmelstor

Einst machten die Franzosen,
Kindsköpfe wie sie sind,
Mit ihren roten Hosen
Im Himmel großen Wind.

Im Zuge stand St. Peter,
Es saust' ihm gleich im Ohr;
Doch schrie er drum nicht Zeter
Sogleich am Himmelstor.

Er stand am andern Morgen
Doch auf mit einem Fuß
Und durfte nicht besorgen
Vorerst den Torbeschluß.

Da ward St. Jörg der Ritter
An seiner Statt ernannt:
Im Himmel schien kein dritter
In Sprachen so gewandt.

»Dem sei das Amt befohlen:
Der alte Kriegsmann wird
Sich keinen Schnupfen holen,«
So sprach der Himmelswirt.

»Kein Schnupfen soll mich kränken,«
Sprach Jörg, »und stünd' ich bloß!
Doch hab' ich ein Bedenken,
Das ist sehr schwer und groß:

Es ist schon recht, die Sprachen
In aller Völker Mund
Von Babylon bis Aachen
Versteh' ich aus dem Grund.

Doch die dahinter wohnen
Auf langem Bergeszug,
Das Rotwelsch der Wallonen,
Daraus werd' ich nicht klug.« –

»O, das hat nichts zu sagen,«
Rief Petrus lachend aus,
Man wird dich hier nicht plagen
Mit solcher Töne Graus:

Den Völkern jeder Zone
Hab' ich schon aufgeklinkt;
Doch kam noch kein Wallone
Vors Himmelstor gehinkt.

Nimm nur getrost den Schlüssel,
Schließ auf und wieder zu,
Von Malmedy bis Brüssel
Läßt dich das Volk in Ruh'.«

Da wahrt' am Himmelssaale
St. Jörg die Türe lang,
Und nie ein Lückerwale,
Tat seinen Ohren Zwang.

            K. S. [Karl Simrock]

 


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