Karl Simrock
Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter
Karl Simrock

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Nürburg

74. Der Schild von Nürburg

Graf Ulrich lag am Tod auf hohem Schloß;
An seinem Schmerzenslager stand kein Sproß,
Der Untersaß und Lehnsmann nah und fern
Beweinten ihn, den vielgeliebten Herrn.

Ein Reicher stirbt, nah wird der Erbe sein!
Sein Bruder Konrad tritt zur Tür herein:
Der trug in Köln die geistliche Gewalt;
Er grüßt den Sterbenden so herrisch kalt.

Von Buße redet er, von ew'ger Qual –
Doch Ulring spricht: »Mein ist der Himmelssaal;
Ich brauche nicht von dir der Seelen Trost!«
Da fährt der Priester auf und spricht erbost:

»Mein Bruder Ulring, du als Kriegesheld
Hast viel zu sehr geliebt die Lust der Welt!
Entbehrung nur und tiefster Andacht Brunst
Im Priesterkleid schafft uns der Heil'gen Gunst.« –

»So helfe Gott mir, Bruder, wie du lügst
Und dich und mich mit Heuchelschein betrügst!
Wohl leichter geht ein Ritter im Geschmeid'
Zum Himmel ein als du im heil'gen Kleid.

In mancher Fehde führt' ich diesen Schild;
Nicht gib mir mit ins Grab sein Wappenbild;
Schlag einen Nagel in die feste Wand:
Dran hänge den getreuen Schildesrand.

Und wenn ich einging zu der ew'gen Rast,
Drei Tage, bitt' ich, bleib im Schlosse Gast;
Ein Zeichen send' ich, dran ein jeder spürt,
Daß Engel mich ins Paradies geführt.«

Der stolze Bischof schlug den Nagel ein;
Der Sterbende ward bleich, die Lampe klein.
Und als aufs Bette fiel das Morgenrot,
Da reckte sich der milde Held zum Tod.

Scheu schleicht der Diener Schar durch das Gemach;
Still hing der Schild bis an den dritten Tag.
Der Priester schaut zu ihm wohl früh und spät
Und spricht zu Ulring zweifelnd sein Gebet.

Schau, dort erglimmt der dritte Morgenschein
Und wirft den ersten Strahl durchs Fenster ein:
Aufglüht der Adler in dem Wappenbild,
Und rasselnd auf die Fliesen fällt der Schild!

Der Bischof bebt, doch zwingt er sich zum Mut –
Sein ist ja Nürburg, sein das reiche Gut!
Schon sinnt sein dunkles Herz so kalt und still,
Wen mit der neuen Macht er stürzen will.

Da naht gebückt der Schloßvogt, grau von Haar,
Die Schlüssel reicht er ihm in Demut dar:
»Nimm hin, wir huld'gen dir als unserm Herrn –
Frag nicht, tun wir es ungern oder gern.

Und weil du denn zu Dienern uns gewannst,
Regier uns so, daß du es wagen kannst,
Wenn du einst stirbst, auch deinen Krummstab dort
Zu hängen an des Ritterschildes Ort.«

            Gottfried Kinkel.

 


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