Karl Simrock
Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter
Karl Simrock

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Aachen

36. Der Schwanenring

Wie ist dem Kaiser Karl geschehen?
Soll der in Liebesleid vergehen,
Vor dessen Wink die Erde bebt?
Es hieß der Tod dies Weib erblassen;
Er aber kann nicht von ihr lassen
Und will nicht, daß man sie begräbt.
Er küßt die Leiche liebestrunken
So manchen Tag, so manche Nacht,
Als hätte neue Lebensfunken
Sein Kuß, sein Hauch ihr angefacht.

Da tritt der Bischof vor den Kaiser,
Turpin, ein Heiliger und Weiser,
Und wenn der Glaube ruft, ein Held.
»Laßt diesen Leichnam, Herr, begraben,
Es will der Tod ein Opfer haben;
Doch Eures Arms bedarf die Welt.«
Der Kaiser spricht: »Wie irrt Ihr wieder:
Sie schlummert nur, Euch täuscht der Schein.«
Dann senkt er selbst die Augenlider
Und schläft zu ihren Füßen ein.

Da spricht Turpin: »Mit Zauberlisten
Muß sich Swanhild die Schönheit fristen,
Den Liebesreiz, der ewig währt.«
Er forscht und späht bis er's gefunden
Was ihre Glieder hält gebunden,
Daß nicht Verwesung sie versehrt:
Auf goldnem Ringe glänzt, umzogen
Von rätselhafter Runenschrift,
Ein Silberschwan, der durch die Wogen
Mit vollem Busen treibt und schifft.

In ihrer bittern Todesstunde
Barg sie den Schwanenring im Munde,
Daß Karl nicht von ihr scheiden kann:
Sie sorgte, daß er sie vergäße,
Wenn ihn ein anderer besäße,
Und übte strengen Liebesbann,
Doch nun der Bischof ihn erkundet
Und seinem Finger angefügt,
Vertraut er fest, sein Herr gesundet
Vom Zauberwahne, der ihn trügt.

Da fährt der Kaiser aus dem Traume,
Blickt um sich her im weiten Raume
Und kehrt sich schaudernd von Swanhild:
»Laßt diesen Leichnam doch begraben!
Turpin, dein Anblick soll mich laben:
Du bist so gut, so lieb, so mild.
Ich will mich nimmer von dir trennen,
Du meine Wonne, meine Pein;
Dich soll dies Reich Gebieter nennen,
Sollst meines Throns Genosse sein.«

Der Bischof denkt: »Von Schwanenringen
Hört' ich viel fremde Wunder singen,
Daß sie verwandeln, wer sie trägt:
Dies sah ich heut' an dieser Toten;
Und hab' ich selbst den Liebesknoten
Nun um des Kaisers Herz gelegt?«
Er wirft den Goldring in die Wogen,
Doch sieh, was hebt sich aus der Flut?
Es kommt ein Silberschwan gezogen
Und brüstet sich mit stolzem Mut.

Da fühlt der Bischof sich bezwungen,
Wie von geheimem Band umschlungen,
Ihm wird so wohl, ihm wird so weh;
Der Kaiser kommt dahergegangen
Und Sehnsucht hält auch ihn befangen,
Er kann nicht scheiden von dem See.
Er läßt ein Schloß sich bald erheben,
Ein Münster, hoch und schlank und spitz,
Und endet spät sein Heldenleben
In Aachen, seinem Kaisersitz.

Noch immer soll der Zauber wirken,
Und nach der Kaiserstadt Bezirken
Zieht uns geheime Macht noch heut':
Die in des Wassers Wogen baden,
Sind alles Ungemachs entladen,
Sind wie verwandelt und erneut.
Und von dem Schwane hört' ich sagen,
Er sei es, der dies Wunder tut;
Doch niemand konnt' ihn noch erjagen,
So viele gleiten auf der Flut.

            K. S. [Karl Simrock]

 

37. Die Beichte

Eine schwere Sünde begangen
Hatte Karl der Große.
Man sah ihn zittern und bangen,
Er sorgte, daß Gott ihn verstoße.

Er wollte sie niemand beichten,
Er wollte darin ersterben.
Die Gnadenmittel reichten
Nicht hin, ihm Heil zu erwerben.

Da kam der Einsiedel
St. Egidius nach Aachen,
Von dem die Blinden zur Fiedel
Sangen in allen Sprachen.

Da kniete vertrauend nieder
Der Kaiser vor dem Heiligen:
Er hoffte beichtend sich wieder
An Gottes Reich zu beteiligen.

Zuerst bekannt' er die leichtern;
Doch als er jetzt von der schweren
Gedachte das Herz zu erleichtern,
Da wehrten es Ströme von Zähren.

Die Zähren begannen so häufig
Ihm aus den Augen zu brechen,
Sonst war ihm Reden geläufig,
Jetzt konnt' er nicht reden noch sprechen.

Er wollte Gott zu versöhnen
So gern die Sünde bekennen,
Doch Schluchzen ließ ihn und Stöhnen
So große Untat nicht nennen.

Der Heil'ge sprach: »Was seh' ich?
Du weinst gleich einem Weibe;
Bist du der Worte nicht fähig,
So nimm die Feder und schreibe.« –

»St. Egidius, laß dir klagen,
Ich kann nicht schreiben, nicht lesen!
O wär' ich in jungen Tagen
Zu lernen fleiß'ger gewesen!

Da wollt' ich mit Jägern und Schalken
Das Wild zu Tode nur hetzen,
Da hatt' ich an Hunden und Falken
Und Rossen mein einzig Ergetzen.

Da wollt' ich nur kriegen und raufen:
Das nimmt ein Ende mit Schrecken!
Nun mögen die Hunde verschnaufen,
Im Stall sich ruhen die Schecken.«

Egidius sprach: »Es sei ferne
Das edle Weidwerk zu tadeln;
Was Hänschen nicht lernte, das lerne
Noch Hans, es kann ihn nur adeln.

Sonst war die Mühe geringer,
Mit größerer geht es noch heute,
So beichten deine drei Finger,
Was der Mund zu beichten sich scheute.

Zum Schreiben dienen drei Finger,
Drei Finger dienen zum Schwören,
Nicht schreiben sollten drei Finger,
Was drei Finger nicht mögen beschwören.

Es steht geschrieben, beileibe
Sollst du nicht unnütz schwören;
Viel unnützes Geschreibe,
Das will sich auch nicht gehören.

Das sollte wissen ein jeder,
Der Kaiser wiss' es vor allen;
So nimm zur Hand die Feder
Und laß sie heute nicht fallen.«

Er lehrt' ihn die Feder halten,
Er lehrt' ihn die Striche führen,
Er lehrt' ihn die Zeichen gestalten
Und die Namen, die jedem gebühren.

Er lehrt' ihn, Laute verbinden,
Silben, Wörter und Sätze,
Wie wir durch Zeilen uns winden
Zu bergen die geistigen Schätze.

Erst zeigte die Hand sich schwierig,
Nur kundig des Schwerts und der Lanze,
Doch hatte sie lernbegierig
Zuletzt begriffen das Ganze.

»Nun kannst du schreiben, o Kaiser,
Die Kunst erlerntest du gründlich;
Doch erst versuch, es ist weiser,
Noch einmal zu beichten mündlich.«

Da kniete vertrauend nieder
Der Kaiser vor dem Heiligen,
Er hoffte beichtend sich wieder
An Gottes Reich zu beteiligen.

Zuerst bekannt' er die leichtern;
Doch als er jetzt von der schweren
Gedachte das Herz zu erleichtern,
Da wehrten ihm Ströme von Zähren.

Die Zähren begannen so häufig
Ihm aus den Augen zu brechen,
Erst war ihm Reden geläufig,
Jetzt konnt' er nicht reden noch sprechen.

Er wollte Gott zu versöhnen
So gern die Sünde bekennen,
Doch Schluchzen ließ ihn und Stöhnen
So große Untat nicht nennen.

Der Heilige sprach: »Aufs neue
Weinst du gleich einem Weibe,
Zu reden wehrt dir die Reue:
So nimm die Feder und schreibe.«

Karl sprach: »Ich tu' es gerne,«
Und schrieb, was er begangen;
Der Heilige sah von ferne
Das Blatt die Zeichen empfangen.

Er schrieb's mit wenigen Worten,
Bat Gott, ihm Gnade zu senden.
Nun stand Egidius dorten
Und hielt das Blatt in den Händen.

Er mocht' es wenden und drehen,
Er fand da nichts geschrieben:
»Ist hier ein Wunder geschehen,
Oder hast du Spott getrieben?«

»Nicht hab' ich Spott getrieben,
Es ist ein Wunder geschehen!
Ich hatt' es deutlich geschrieben
Und nun ist nichts mehr zu sehen.« –

»Du schriebst, ich kann es bewähren,
Und sieh, die Schrift ist verschwunden:
Dir haben die reuigen Zähren
Im Himmel Gnade gefunden.

Sie haben dein Herz von Sünde,
Dies Blatt von Sünde gereinigt.
Indem ich's ahnend verkünde,
Hat neue Schrift es bescheinigt.«

Der Kaiser sah erfreuet,
Da stand's mit himmlischen Zügen:
»Du hast die Sünde bereuet,
Gott läßt sich der Reue genügen.«

            K. S. [Karl Simrock]

 

38. Eginhard und Emma

Die Fackeln sind erloschen in Kaiser Karls Palast,
Die Müden alle schlafen nach Tageslust und Last.
Die Stunden gehn so stille und leise fällt der Schnee,
Doch leiser geht die Liebe auf leichtgehobnem Zeh.

Eginhard und Emma, liebeselig Paar!
Habt ihr nun einander? nehmt der Stunden wahr!
Sie lehnten Wang' an Wange und flüsterten so sacht
Und küßten sich unterweilen wohl in der stillen Nacht.

Da sprang sie aus den Armen des Geliebten auf,
An das Fenster trat sie mit behendem Lauf:
Ach, sie sah mit Schrecken dämmern schon den Tag,
Und daß in dem Hofe Schnee gefallen lag.

Ihre schönen Augen wurden tränennaß:
»Kaiser Karls Tochter, die sich so vergaß!
Bin ich nicht unselig und ein Unglückskind?
Geh, Guter, laß uns scheiden, eh' die Zeit verrinnt.«

»Warum also weinen? Morgen in der Nacht,
Wenn sie alle schlafen, komm' ich ja wieder sacht.« –
»Nein, geh, und nimmer wieder! Soll ich weinen nicht?
Erbarme dich des Mägdleins, der das Herze bricht.«

»Ja, gerne will ich gehen, aber schau doch nur,
Der Schnee im Hof verriete meiner Füße Spur.« –
»O so laß mich Arme sterben, lieber Gott:
Kaiser Karls Tochter wird aller Welt zum Spott.«

Helle Tränen flossen nieder in ihren Schoß,
In der Dämmerstunde ward ihr Schluchzen groß.
Da sprang sie auf und Freude sprüht' aus den Tränen hervor.
Sie sprach: »Ich trage dich selber durch den Hof an das Tor.«

Auf den schlanken Rücken nahm sie Herrn Eginhard,
Auf ihren schönen Hüften saß er nach Reiterart:
So lief sie mit zarten Zehen durch den dünnen Schnee,
Trug ihn stark und sprang dann zurück so leicht wie ein Reh.

Und warf alsbald sich nieder vor der Himmelsmagd,
Ach, mit pochendem Herzen hat sie Gebete gesagt,
Alle, die sie wußte, und aus dem Herzen noch mehr,
Daß die heilige Jungfrau ihr geschenket Kraft und Ehr'.

Kaiser Karl nun aber lag wach in selber Nacht,
Er dachte seines Reiches und dacht' an Krieg und Schlacht;
Doch wie er dann sah fallen draußen den lichten Schnee,
Dacht' er: Nun, das ist Spurschnee, zu jagen Hirsch und Reh!

Er trat ans Fenster: was sah er? er sah ein Mägdelein;
Drauf saß als wie zu Rosse rittlings ein Reiter fein;
Das Mägdlein war sein Töchterlein, der Ritter war Eginhard:
Da faßte Kaiser Karl sich gar seltsam in den Bart.

In der Morgenstunde zu Aachen vor dem Schloß
Ließ der Jägermeister zäumen Zelter und Roß
Und die Hunde koppeln, denn er dachte sich,
Kaiser Karl heut' würde jagen lustiglich.

Im lockern Schnee scharrten die Rosse sonder Ruh',
An den Koppeln zerrten die Hunde und bellten dazu;
Doch im Schloß die Fräulein suchten die Pelz' im Schrank,
Und die Ritter nahmen Armbrust und Bolzen blank.

Nur Kaiser Karl gedachte nicht der Jägerlust,
Hohen Rat zu halten gedacht' er in der Brust.
Allen seinen Helden er alsogleich befahl
Zu Gericht zu sitzen im hohen Kaisersaal.

Und wie sie sitzen im Kreise zum hochernsten Gericht,
Und auf dem Thron der Kaiser, siehe, der Kaiser spricht:
»Ihr meines Reiches Räte, ratet mir ohne Hehl:
Eine Königstochter beging einen schweren Fehl.

In ihre Kammer nahm sie zu Nacht einen Schreiber ein,
Wer weiß, was sie gebriefet? Das aber sah man fein,
Daß, als der Morgen tagte und Schnee gefallen lag,
Das Königskind den Schreiber trug rücklings, Huckepack!«

Da scholl ein helles Lachen den Saal wohl auf und ab;
Nur Kaiser Karl saß ernst da, bis man sich des begab.
Er sprach: »Ihr meine Räte, wir sitzen zu Gericht;
Was nun verwirkt die beiden, das sagt und hehlt mir's nicht.«

Und ferner sprach der Kaiser: »Gebt mir zum ersten Rat,
Was wohl die Königstochter verdient um solche Tat.«
Sie rieten wohl verschieden, doch alle stimmten ein,
Daß in Sachen der Minne am besten wäre: verzeihn!

Da schüttelte der Kaiser sein würdig Lockenhaupt:
»Erwägt, es ist die Sache wohl ernster als ihr glaubt.
Nun aber gebet alle mir zum andern Rat,
Was wiederum der Schreiber verdient um solche Tat.«

Sie rieten wohl verschieden, doch alle stimmten ein,
Daß in Sachen der Minne am besten wär': verzeihn!
Nur der Räte jüngster, der ward wohl bleich und rot:
Nun kam an ihn die Reihe, er sprach: »Er verdient den Tod!«

»Den Tod nicht,« sprach der Kaiser, »das wäre wohl zu hart,
Den Tod nicht, weil die Liebe ihn zwang, Herr Eginhard!
Nein nimmermehr, es falle die Schuld auf beide gleich,
So dünkt es mich; nun redet ihr Herrn, wie dünkt es euch?«

Da priesen alle Räte Kaiser Karls Gerechtigkeit
Und seine große Milde jetzt und allezeit.
Dann aber fragten manche Kaiser Karl, ihren Herrn,
Wer die Königstochter wäre; sie meinten, er sag' es gern.

Er sprach: »Ja, wie ich sagte, sie ist eines Königs Kind,
Doch jetzt eines Kaisers Tochter – ich sah's, o wär' ich blind!
Doch wer der Mann gewesen, erkannt' ich nicht so recht,
Und weiß es euer einer, wohlan ihr Herrn, so sprecht.«

Da sahen wohl die Räte verwundert einander an;
Doch der da saß zu unterst im Rat der jüngste Mann,
Der sprach: »Mein Herr und Kaiser, Ihr wißt und ich leugne nicht,
Ich war's: nun lasset halten über mich Gericht.«

Da war ein großes Staunen wohl auf der Räte Bank;
Da ging ein Murmeln und Raunen wohl den Saal entlang.
Dann aber fragten manche Kaiser Karl, ihren Herrn,
Wer die Kaisers Tochter wäre; sie meinten, er sag' es gern.

Er sprach: »Ich bin der Kaiser: wer ist an Macht so reich?
Und Emma ist meine Tochter, wer ist an Schmerz mir gleich?«
Da deckt' er mit den Händen, ach, sein Angesicht,
Helle Tränen flossen, er bezwang sie nicht.

Da war im Saal ein Schrecken und ein tiefer Schmerz:
Alle Räte schwiegen, und einer schlug sich ans Herz;
Er warf sich auf die Erde, er weinte bitterlich:
Er dachte den Schmerz des Kaisers, er dachte nicht an sich:

Da sprach der Kaiser strenge: »Wo bliebe Zucht im Land,
Wenn an des Kaisers Tochter solches würd' erkannt!
Ich sage los von ihr mich, fort beide von Hof und Haus!
Sei euch der Himmel gnädig, ich aber stoß' euch aus!«

Da hob sich von der Erde und ging Herr Eginhard;
Doch als des Kaisers Tochter der Spruch gemeldet ward,
Da legte sie vor Schmerzen die Hand an ihre Brust:
»Genade Gott mir,« sprach sie, »ich hab' es wohl gewußt.«

Nun ging in ihre Kammer die kummervolle Maid,
Da zog sie aus wohl eilig ihr goldgewirktes Kleid,
Und löst' aus ihren Haaren den Kranz von Edelstein:
Das nahm sie und verschloß es jedes in seinem Schrein.

Ein graues Kleid der Trauer zog sie dafür an
Und auf den Tisch die Schlüssel legte sie sorgsam dann,
Und sprach zu sich besinnlich: Tat ich auch alles ab?
Vom Vaterhause geht es, ach, wie vom Leben ins Grab.

Noch einmal kam sie wieder: sie hatt' ein Täubchen zahm,
Das aus ihrem Munde seine Speise nahm.
Sie küßte die weiße Taube, Tränen brachen ihr aus:
Wir müssen beide nun scheiden, suche dir ein ander Haus!

Herr Eginhard nun aber, so wie er ging und stand,
Nahm er den Weg zum Tore und ins beschneite Land.
Er mußte die Spur sich treten, der Mann mit düsterm Sinn:
Er ging neben der Straße, doch wußt' er nicht wohin.

Oft stand er voll Gedanken; da kam die schöne Maid
Des Weges auch gegangen in ihrem grauen Kleid.
Sie gingen geschiedne Stege, der Weg dazwischen lag,
Sie sprachen nicht miteinander und sagten nicht Guten Tag.

So pilgerten sie beide den Tag und auch die Nacht,
Wohl übern Rhein und weiter. Wer hätte wohl gedacht,
Daß das die Füße vermöchten! Ohne Speis' und Trank
Pilgerten sie drei Tage und drei Mondnächte lang.

Und an dem vierten Abend, es ging der Wind so kalt,
Da sahen sie ein Feuer in einem schwarzen Wald.
Es saßen Waldleute in einer Felsenkluft,
Die brieten gutes Wildbret, das war zu spüren am Duft.

Nun kamen die Müden beide und baten um Verlaub
Sich ans Feuer zu setzen. Die Leute häuften Laub
Und machten ihnen Lager, warm, weich und breit,
Zwei besondre Betten, doch voneinander nicht weit.

Sie ließen drauf sich nieder und schliefen ein gar bald;
Es rauscht' über ihnen so sanft der Tannenwald.
Sie schliefen bis zu Mittag: wie gönnt ihnen mein Herz
Ihren tiefen Schlummer ohne Traum und Schmerz!

Und doch als Emma erwachte, schien ihr alles Traum.
Wie sie hieher gekommen in diesen Waldesraum.
Ach, bald mit wachen Augen ward ihr wohl wieder klar.
Daß sie fern von Hause, verwaist, verstoßen war.

Auch die Waldleute waren alle fort,
Zur Arbeit ausgegangen und leer war der Ort.
Doch Eginhard, der schnarchte. Wie sie ihn hört' und sah,
Klopft' ihr das Herz im Busen, wie wohl ward ihr da!

Sie setzte sich zu ihm nieder, doch ließ sie ihm seine Ruh';
Mit Laub die schönen Glieder deckte sie ihm zu;
Dann ließ sie ihre Augen rundum spähend gehn:
Da hat sie an dem Feuer etwas braten gesehn,

Und auch den Duft gerochen, den das Wildbret gab:
Wie gern für den Geliebten schnitte sie etwas ab.
Und siehe da, ein Messer – zwei Messer! lagen hier,
Und Brot, zwei gute Schnitte, und standen zwei Krüge Bier.

Da leuchtete dem Mädchen gar bald klärlich ein,
Zur Labung ihnen beiden solle dieses sein.
Mit raschem Sprunge sprang sie zu Herren Eginhard,
Mit süßem Ton ihn weckend und mit süßtrauter Art.

Wie der die Augen aufschlug und ihren Ton vernahm
Und ihr Gesicht sah lächeln, wie wohl ihm das bekam!
Sie aber kam gesprungen und bracht' ihm Fleisch und Brot,
Zugleich auch in der Linken sie ihm zu trinken bot.

Er trank zuerst, dann aß er und sie nicht minder trank;
Den guten Waldleuten sagten sie vielmal Dank;
Und wollten nun sie suchen; doch finden war schwer:
Sie suchten immer weiter und kamen ab je mehr und mehr.

Sie kamen nun in Lande, da war kein Schnee zu sehn,
Doch an des Berges Fuße sahn sie den Mainstrom gehn.
Auch trat die Sonn' aus Wolken und schien so licht und warm;
Sie sprachen liebe Worte und waren ohne Harm.

Er sprach: »Dich anzureden hatt' ich nicht den Mut,
Weil du um mich gelitten; du bist aber so gut.
Vergib mir und vergiß mir, was ich dir getan;
Du bist des Kaisers Tochter: mir ziemte nicht dir zu nahn.«

Sie sprach: »Willst du mich mahnen, daß ich verstoßen bin
Von Vaters Haus und Herzen? Was bleibt mir noch Gewinn?
Und willst du mir nicht bleiben, da alles mich verläßt« –
Hier hielt sie schluchzend inne und schlang um ihn sich fest.

Er trocknet' ihre Tränen und sah sie freundlich an,
Da war Herr Eginhard wohl ein hochbeglückter Mann.
Er fühlte Herz an Herzen ihr hochwogend Blut:
Gern hätt' er sie geküsset, doch hatt' er nicht den Mut.

Sie sahn die Sonne sinken. Da zog er sein Schwert heraus,
Und hieb vom Baum die Zweige und baute davon ein Haus;
Er hieb die Äst' und Zweige, sie sammelte und trug,
Und sieh, ein Dach war fertig, für zweie groß genug.

Nun sahn sie's an mit Freuden, doch ernster wurden sie:
Sollen wir mitsammen beide wohnen hie?
Und haben doch den Segen selbst des Himmels nicht –
Da rollten wieder Tränen über ihr schönes Gesicht.

Er aber macht' aus Scheiten ein Kreuz und stellt' es hin;
Da knieten vor dem Kreuze die beiden mit frommem Sinn:
»Lieber Gott im Himmel, gescheh' der Wille dein,
Gib uns deinen Segen und laß uns ehlich sein.

Wir haben nicht verdienet, daß du uns gnädig bist,
Doch nimm uns an zu Gnaden, gib uns zur Reue Frist.
Um deines Sohnes willen, der hingab seinen Leib,
Gib deinen heiligen Segen und laß uns sein Mann und Weib.«

Da schien die Sonn' aus Wolken mit rotgoldnem Strahl,
Verklärt in sel'gem Glanze lagen Berg und Tal.
Dann hörten sie ein Flattern, das hoch vom Himmel kam,
Das war eine Taube, die Sitz auf dem Kreuze nahm.

Sie knieten lang', dann standen sie auf, so frohbewußt,
Da gab es ein Umarmen, ein Pressen Brust an Brust,
Da gab es ein langes Küssen, niemand hat's gezählt:
So wurde Fräulein Emma Herrn Eginhard vermählt.

Und wie sie sich küßten, flatternd drängte sich
Zwischen ihre Küsse die Taube wunderlich.
Sie wehte mit sanften Flügeln beider Wangen an
Und drängt' sich mit dem Schnabel zwischen Emma und ihren Mann:

Denn das war Emmas Taube, die nachgeflogen kam,
Die sonst aus ihrem Munde ihre Speise nahm.
Wie Emma sie erkannte, vergaß sie aller Not
Und kost' ihr und gab ihr von der Waldleute Brot.

Nun kam des Abends Dunkel; sie traten unter Dach
Und ruhten beieinander im niedern Brautgemach.
Sie flüsterten und küßten und schliefen ein gar bald,
Und süß zu ihren Träumen rauschte der Buchenwald.

Und nun am andern Morgen, als sie so frisch erwacht,
Wie lag zu Berges Füßen das Land in sonn'ger Pracht.
Es sprang in ihren Adern neugeschaffen Blut,
Ihr Herz war voller Frieden, die Welt war schön und gut.

Wie Adam einst mit Eva eintrat ins Paradies,
Nicht anders schauten beide was rings sich schauen ließ.
Sie mochten gern erspähen, wo sie gebaut ihr Dach,
Und siehe da, dicht neben floß über Felsen ein Bach.

Sie folgten nun dem Wasser durchs sonnige Frühlingsgrün
Und sahn in einem Grunde viel weiße Blüten blühn,
Im Walde versteckt, betreten von keines Menschen Fuß:
Da boten sie dem Grunde freundlich ihren Gruß.

Sie gingen bald nach Hause, Herr Eginhard rief aus:
»Nun muß ich mir auch schaffen gut Gerät ins Haus!«
Zuerst aus seinem Helme macht' er in Seelenruh'
Eine Schal' und schnitzte auch zwei Löffel dazu.

Und schnitt sich einen Bogen aus eines Baumes Ast
Mit seinem Schwert und drehte die Sehn aus starkem Bast.
Dann hat er seinem Weibe: »Behüt dich Gott« gesagt,
»Gesegne Gott das Weidwerk und gebe mir gute Jagd.«

Er ging am kühlen Bache bergab und talentlang,
Da sah er, wie am Wasser ein junges Hirschlein sprang.
Rasch spannt' er seinen Bogen mit aller seiner Kraft,
Er schoß – das Hirschlein stürzte, durchbohrt von des Pfeiles Schaft.

Froh mit der schweren Beute bergauf an Baches Rand
Zu seinem Weibe lief er, die er sitzend fand.
Eine Hirschkuh melkend in den Helm: die Kuh
Mit den frommen Augen sah ihr selber zu.

So lebten nun die beiden nach schönem Waldesbrauch:
Wie sehr muß ich sie neiden, wie gerne tät ich's auch!
Nun laßt uns aber schauen nach Kaiser Karl zurück;
Dem war wohl entflohen seiner Tage Glanz und Glück.

Trüb war sein Blick, sein Gang schwer, die Krone drückt' ihn fast:
Was sonst ihm Lust gewährte, war ihm alles Last.
Der Becher, den er leerte, mundete ihm nicht,
Er tat nichts recht aus Freude, er tat es nur aus Pflicht.

So lebt' er fünf Jahre, das war lange Zeit:
Am Tisch und in dem Hause fehlt' ihm seine Maid:
Er sprach: »Ich habe Kummer und sie hat Leid und Not;
Vergebens war mein Suchen, ach, sie ist wohl schon tot.«

Und selbst das frohe Jagen, das sonst war seine Lust,
Erlabte nicht wie ehemals Kaiser Karls Brust.
Er ließ die Hunde jagen weithin durch den Tann,
Er selbst ging trüb und einsam, der kaiserliche Mann.

So hatt' er auch verloren sich einst im Odenwald,
Er ließ ins Moos sich nieder, Schlaf beschlich ihn bald.
Da träumt' ihm, Räuber kämen und nähmen ihm sein Schwert,
Und als er da erwachte, fand er sich unbewehrt.

Da sah er wohl ein Wunder, nicht Räuber waren da,
Ein kleines blondes Knäbchen war alles was er sah.
Das Knäblein trug ein Röcklein von Pelzwerk bunt und wert
Und hielt in kleinen Händchen des Kaisers großes Schwert.

Da sprach der Kaiser lachend: »Ei da, du kleiner Fant,
Wo will das Schwert mit dir hin? gib mir's in meine Hand.«
Das Knäblein sprach: »Ich geb's nicht, ist dir auch nicht not,
Unsre Hirsch' und Rehe willst du stechen tot.«

Da sprach der Kaiser lachend: »Du sprichst in einem Ton,
Du kleiner Waldgeselle, als wärst du Königs Sohn.«
Das Knäblein sprach: »Und willst du, Mann, nicht hören mir,
So geh' ich gleich zur Mutter, wart', ich sag' es ihr!«

Der Kaiser sprach: »Ja, rufe deine Mutter her,
Sag ihr, ich wär' der Kaiser und hätt' ihrer Begehr.«
Da sprach das kleine Knäblein, sein Besinnen war nicht groß:
»Mutter kann nicht kommen, sie hat das Kind auf dem Schoß.«

Der Kaiser sprach mit Lachen: »So muß ich mich bemühn!«
Das Knäblein mit dem Schwerte lief voran durch das Grün.
Er lief und rief zur Mutter: »Mutter, nimm das Schwert,
Der Mann will mir's nehmen, dem hat es zugehört.«

Da sah der Kaiser sitzen ein wunderherrlich Weib,
Mit langen goldnen Haaren, von Antlitz schön und Leib,
Eine Königin des Waldes! voll stiller Mutterlust
Säugte sie ein Kindlein an ihrer blühenden Brust.

Voll Scham den schönen Busen bedeckte sie sofort,
Sie sah den Fremden und hörte nicht auf des Knaben Wort.
Den Mann von ernster Hoheit mit greisem Bart und Haar,
Sie glaubt' ihn wohl zu kennen und wußte nicht, wer es war.

Er sprach: »Gott grüß' dich, Tochter,« so sprach er, weil sie jung
Und schön war, »kannst du reichen mir einen kühlen Trunk?«
Sie lief behend hinunter, wo die Quelle sprang,
Und schöpft' und kam und reicht' ihm: er trank und sagt' ihr Dank.

Sie sprach: »Ihr müßt auch essen, Ihr könnet so nicht fort,
Denn weithin in der Runde trefft Ihr nicht Stadt, nicht Ort.
Nun setzt Euch hier ins Kühle, gleich bin ich wieder da.«
Mit Staunen sich der Kaiser die schmucke Hütte besah.

Sie war aus glatten Stämmen gefügt mit Kunst und Fleiß,
Geziert mit weißer Rinde und mit geschältem Reis,
Und wohl mit grünem Moose gepolstert und verwahrt,
Und hingen Hirschgeweihe umher nach Jägerart.

Da kam zurück vom Jagen Herr Eginhard nach Haus,
Er bracht' auf seinen Schultern ein gutes Wild zum Schmaus,
Und Fisch in einem Netze, die legt' er auf den Tisch,
Und schaute drein so munter, so fröhlich und so frisch.

Doch wie er sah den Fremden, hat Staunen ihn erfaßt:
»Willkommen, herzwillkommen, Ihr seid mein erster Gast.«
Er schüttelt' ihm die Rechte und schlug ihm in die Hand.
Daß es Kaiser Karl war, hatt' er nicht erkannt,

»Nun Weib, bring uns zu essen, denn es ist Mittagszeit,
Ich hab' gejagt im Walde und der Fremde kommt von weit.«
Doch Emma stand und lauschte, und lehnt' an die Wand ihr Ohr.
Ihr kam des Fremden Stimme so lieb und traulich vor:

Ihr schlug das Herz im Busen gleich wie vor Lust und Schmerz,
Längstentschwundne Bilder stürmten an ihr Herz.
Dann mußte sie zum Feuer, sie wendete den Spieß;
Am Dufte schon der Braten sich ringsum spüren ließ.

Den dampfend heißen Braten trug sie unters Dach,
Die Schüssel mit den Beeren trug ihr das Knäblein nach.
Nun setzten sich die dreie gesellig um den Tisch:
Da gab es süße Früchte und schmackhaft Fleisch und Fisch.

Und Emma schnitt das Wildbret kunstrecht wie sich's gehört,
So wie es einst der Vater zu Aachen sie gelehrt.
Er schaute zu und freute sich über jeden Schnitt –
Doch plötzlich eine Träne Kaiser Karl entglitt.

Und alles, wie er's liebte, auf Blättern, Beeren rot –
Wie sie nun freundlich bittend sein Lieblingsstück ihm bot:
Da rief er: »Emma! Tochter!« – es wankten Fleisch und Fisch,
Wie sie sich wild umarmten – die Äpfel rollten vom Tisch.

O Vater, lieber Vater! »O Emma, süßes Kind!
Gesegnet diese Stunde, da ich dich endlich find'!
Was hab' ich dich gesuchet – und das ist Eginhard?«
»Ich bin's,« sprach er von ferne aus seinem braunen Bart.

Da bot der Kaiser wieder die Hand ihm traulich hin;
Der legte drein die seine mit ehrerbiet'gem Sinn.
Doch Emma sprang von dannen, und kam so froh gerannt,
Den Säugling auf dem Arme, den Knaben an der Hand.

Der Knab' in seinem Fäustchen trug noch das große Schwert;
Er sprach: »Ich soll dir's bringen, hat Mutter mich gelehrt.«
Der Kaiser sprach: »Behalt es, bis du groß worden bist,
Dann führ es mir zu Ehren!« Und hat ihn viel geküßt.

Da schollen Hörnerklänge lustig durch den Wald,
Laut und immer lauter, nahe kam es bald.
Kaiser Karls Gefolge suchte seinen Herrn:
Jubelstimmen schollen, sie sahen ihn schon von fern.

Der Kaiser sprach: »Da sehet, ich tat den besten Fang.
Dies hier ist meine Tochter, ich suchte sie jahrelang.«
Da beugten sich die Ritter, tief neigten alle sich;
Doch Emma sah so freundlich und stand so königlich.

Der Kaiser sprach: »Bescheidet die Ross' und Wagen her
Und bringet Wein zur Stelle; hier sind die Krüge leer.
Nun Kinder, ja, das lob' ich, ihr habt ein schönes Haus;
Doch über unsrer Freude ist kalt geworden der Schmaus.«

Nun gingen sie zu Tische, für alle war genug,
Die Ritter in dem Grase füllten manchen Krug;
Sie tafelten im Grünen beim hellen Sonnenschein,
Die Nachtigallen sangen, die Becher klangen darein.

Doch als der Kaiser mahnte zum Aufbruch aus dem Wald,
Da weinte Emma Tränen: »Willst du von uns so bald?«
»Nicht ich von euch, ihr müsset ja mit mir auf mein Schloß.
Nun rüstet, macht euch fertig, es geht sogleich zu Roß!«

Sie kleidete die Kinder in warme Pelzchen fein,
Und packte viel zusammen, nur nicht das Haus mit ein.
Sie ließ die zahmen Hirsche aus ihrer Hürd' heraus:
»Lebt wohl, ich muß nun scheiden, leb wohl du Waldeshaus.

Sie kamen nun zum Grunde im tiefen Wald versteckt,
Da standen alle Bäume mit Äpfeln reich bedeckt:
»Seht meinen Obstgarten!« sprach Emma hoch zu Roß,
»Wer wird den Segen pflücken? Ich zieh' auf des Vaters Schloß!«

Und weiter an dem Wasser zogen sie ins Tal,
Da wandt' im Abglanze sich Emma noch einmal:
»Lebwohl, o du Wald, nun lebe mir wohl, du sel'ge Statt
Nach diesem Ort der Odenwald und der Ort den Namen hat.

Sie lebten nun mitsammen zu Aachen in dem Schloß.
Herr Eginhard am Hofe der Ehren viel genoß;
Er folgte seinem Kaiser in großer Taten Lauf,
Erst half er sie vollbringen und schrieb hernach sie auf.

Und als sie mußten sterben, hat man sie beigesetzt
Zu Seligenstadt im Kloster, da ruhen sie noch jetzt,
Beide beieinander: und wer mir das nicht glaubt,
Der kann die Steine lesen, die ruhen ob ihrem Haupt.

            O. F. Gruppe.

 

39. Klein Roland

Frau Berta saß in der Felsenkluft,
Sie klagt' ihr bittres Los:
Klein Roland spielt' in freier Luft,
Des Klage war nicht groß.

»O König Karl, mein Bruder hehr!
O daß ich floh von dir!
Um Liebe ließ ich Pracht und Ehr';
Nun zürnst du schrecklich mir.

O Milon! mein Gemahl so süß,
Die Flut verschlang mir dich.
Die ich um Liebe alles ließ,
Nun läßt die Liebe mich.

Klein Roland, du mein teures Kind!
Nun Ehr' und Liebe mir!
Klein Roland, komm herein geschwind!
Mein Trost kommt all von dir.

Klein Roland, geh zur Stadt hinab,
Zu bitten um Speis' und Trank,
Und wer dir gibt eine kleine Gab',
Dem wünsche Gottes Dank.«

Der König Karl zur Tafel saß
Im goldnen Rittersaal.
Die Diener liefen ohn' Unterlaß
Mit Schüssel und Pokal.

Von Flöten, Saitenspiel, Gesang
War jedes Herz erfreut,
Doch reichte nicht der helle Klang
Zu Bertas Einsamkeit.

Und draußen in des Hofes Kreis,
Da saßen der Bettler viel,
Die labten sich an Trank und Speis'
Mehr als am Saitenspiel.

Der König schaut in ihr Gedräng'
Wohl durch die offne Tür,
Da drückt sich durch die dichte Meng'
Ein feiner Knab' herfür.

Des Knaben Kleid ist wunderbar,
Vierfarb zusammengestückt;
Doch weilt er nicht bei der Bettlerschar,
Herauf zum Saal er blickt.

Herein zum Saal klein Roland tritt,
Als wär's sein eigen Haus.
Er hebt eine Schüssel von Tisches Mitt'
Und trägt sie stumm hinaus.

Der König denkt: »Was muß ich sehn?
Das ist ein sondrer Brauch.«
Doch weil er's ruhig läßt geschehn,
So lassen's die andern auch.

Es stund nur an eine kleine Weil',
Klein Roland kehrt in den Saal.
Er tritt zum König hin mit Eil'
Und faßt seinen Goldpokal.

»Heida! halt an, du kecker Wicht!«
Der König ruft es laut.
Klein Roland läßt den Becher nicht,
Zum König auf er schaut.

Der König erst gar finster sah,
Doch lachen mußt' er bald:
»Du trittst in die goldne Halle da
Wie in den grünen Wald.

Du nimmst die Schüssel von Königs Tisch,
Wie man Äpfel bricht vom Baum;
Du holst, wie aus dem Brunnen frisch,
Meines roten Weines Schaum.«

»Die Bäurin schöpft aus dem Brunnen frisch.
Die bricht die Äpfel vom Baum;
Meiner Mutter ziemt Wildbret und Fisch,
Ihr roten Weines Schaum.«

»Ist deine Mutter so edle Dam',
Wie du berühmst, mein Kind,
So hat sie wohl ein Schloß lustsam
Und stattlich Hofgesind'?

Sag an! wer ist denn ihr Truchseß?
Sag an! wer ist ihr Schenk?«
»Meine rechte Hand ist ihr Truchseß,
Meine linke, die ist ihr Schenk.«

»Sag an! wer sind die Wächter treu?«
»Mein' Augen blau allstund.«
»Sag an! wer ist ihr Sänger frei?«
»Der ist mein roter Mund.«

»Die Dam' hat wackre Diener, traun!
Doch liebt sie sondre Livrei,
Wie Regenbogen anzuschaun,
Mit Farben mancherlei.«

»Ich hab' bezwungen der Knaben acht
Von jedem Viertel der Stadt,
Die haben mir als Zins gebracht
Vielfältig Tuch zur Wat.«

»Die Dame hat, nach meinem Sinn,
Den besten Diener der Welt.
Sie ist wohl Bettlerkönigin,
Die offne Tafel hält.

So edle Dame darf nicht fern
Von meinem Hofe sein.
Wohlauf, drei Damen! auf, drei Herrn,
Führt sie zu mir herein!«

Klein Roland trägt den Becher flink
Hinaus zum Prunkgemach;
Drei Damen, auf des Königs Wink,
Drei Ritter folgen nach.

Es stund nur an eine kleine Weil',
Der König schaut in die Fern',
Da kehrten schon zurück mit Eil'
Die Damen und die Herrn.

Der König ruft mit einemmal:
»Hilf Himmel! seh' ich recht?
Ich hab' verspottet im offnen Saal
Mein eigenes Geschlecht.

Hilf Himmel! Schwester Berta, bleich,
Im grauen Pilgergewand!
Hilf Himmel! in meinem Prunksaal reich
Den Bettelstab in der Hand.«

Frau Berta fällt zu Füßen ihm,
Das bleiche Frauenbild.
Da regt sich plötzlich der alte Grimm,
Er blickt sie an so wild.

Frau Berta senkt die Augen schnell,
Kein Wort zu reden sich traut.
Klein Roland hebt die Augen hell,
Den Öhm begrüßt er laut.

Da spricht der König in mildem Ton,
»Steh auf, du Schwester mein!
Um diesen deinen lieben Sohn
Soll dir verziehen sein.«

Frau Berta hebt sich freudenvoll:
»Lieb Bruder mein! wohlan!
Klein Roland dir vergelten soll,
Was du mir Guts getan.

Soll werden seinem König gleich,
Ein hohes Heldenbild;
Soll führen die Farb' von manchem Reich
In seinem Banner und Schild.

Soll greifen in manches Königs Tisch
Mit seiner freien Hand,
Soll bringen zu Heil und Ehre frisch
Sein seufzend Mutterland.«

            Uhland.

 

40. Roland Schildträger

Der König Karl saß einst zu Tisch
Zu Aachen mit den Fürsten,
Man stellte Wildbret auf und Fisch
Und ließ auch keinen dürsten.
Viel Goldgeschirr von klarem Schein,
Manch roten, grünen Edelstein
    Sah man im Saale leuchten.

Da sprach Herr Karl, der starke Held:
»Was soll der eitle Schimmer?
Das beste Kleinod in der Welt,
Das fehlet uns noch immer.
Dies Kleinod, hell wie Sonnenschein,
Ein Riese trägt's im Schilde sein
    Tief im Ardennerwalde.«

Graf Richard, Erzbischof Turpin,
Herr Heimon, Naims von Bayern,
Milon von Anglant, Graf Garin,
Die wollten da nicht feiern.
Sie haben Stahlgewand begehrt
Und hießen satteln ihre Pferd',
    Zu reiten nach dem Riesen.

Jung Roland, Sohn des Milon, sprach:
»Lieb Vater! hört, ich bitte,
Vermeint Ihr mich zu jung und schwach,
Daß ich mit Riesen stritte,
Doch bin ich nicht zu winzig mehr
Euch nachzutragen Euern Speer,
    Samt Euerm guten Schilde.«

Die sechs Genossen ritten bald
Vereint nach den Ardennen;
Doch als sie kamen in den Wald,
Da täten sie sich trennen.
Roland ritt hinterm Vater her;
Wie wohl ihm war, des Helden Speer,
    Des Helden Schild zu tragen!

Bei Sonnenschein und Mondenlicht
Streiften die kühnen Degen,
Doch fanden sie den Riesen nicht
In Felsen und Gehegen.
Zur Mittagsstund' am vierten Tag
Der Herzog Milon schlafend lag
    In einer Eiche Schatten.

Roland sah in der Ferne bald
Ein Blitzen und ein Leuchten,
Davon die Strahlen in dem Wald
Die Hirsch' und Reh' aufscheuchten:
Er sah, es kam von einem Schild,
Den trug ein Riese groß und wild,
    Vom Berge niedersteigend.

Roland gedacht' im Herzen sein:
»Was ist das für ein Schrecken!
Soll ich den lieben Vater mein
Im besten Schlaf erwecken?
Es wachet ja sein gutes Pferd,
Es wacht sein Speer, sein Schild und Schwert,
    Es wacht Roland, der junge.«

Roland das Schwert zur Seite band,
Herrn Milons starkes Waffen.
Die Lanze nahm er in die Hand
Und tät' den Schild aufraffen.
Herrn Milons Roß bestieg er dann
Und ritt ganz sachte durch den Tann,
    Den Vater nicht zu wecken.

Und als er kam zur Felsenwand,
Da sprach der Ries' mit Lachen:
»Was will doch dieser kleine Fant
Auf solchem Rosse machen?
Sein Schwert ist zwier so lang als er,
Vom Rosse zieht ihn schier der Speer,
    Der Schild will ihn erdrücken.«

Jung Roland rief: »Wohlauf zum Streit!
Dich reut dein langes Necken,
Hab' ich die Tartsche lang und breit,
Kann sie mich besser decken;
Ein kleiner Mann, ein großes Pferd,
Ein kurzer Arm, ein langes Schwert,
    Muß eins dem andern helfen.«

Der Riese mit der Stange schlug,
Auslangend, in die Weite,
Jung Roland schwenkte schnell genug
Sein Roß noch auf die Seite.
Die Lanz' er auf den Riesen schwang,
Doch von dem Wunderschilde sprang
    Auf Roland sie zurücke.

Jung Roland nahm in großer Hast
Das Schwert in beide Hände;
Der Riese nach dem seinen faßt;
Er war zu unbehende:
Mit flinkem Hiebe schlug Roland
Ihm unterm Schild die linke Hand,
    Daß Hand und Schild entrollten.

Dem Riesen schwand der Mut dahin,
Wie ihm der Schild entrissen;
Das Kleinod, das ihm Kraft verliehn,
Mußt' er mit Schmerzen missen.
Zwar lief er gleich dem Schilde nach;
Doch Roland in das Knie ihn stach,
    Daß er zu Boden stürzte.

Roland ihn bei den Haaren griff,
Hieb ihm das Haupt herunter:
Ein großer Strom von Blute lief
Ins tiefe Tal hinunter,
Und aus des Toten Schild hernach
Roland das lichte Kleinod brach
    Und freute sich am Glanze.

Dann barg er's unterm Kleide gut
Und ging zu einem Quelle,
Da wusch er sich von Staub und Blut
Gewand und Waffen helle.
Zurücke ritt der junge Roland
Dahin, wo er den Vater fand
    Noch schlafend bei der Eiche.

Er legt' sich an des Vaters Seit',
Vom Schlafe selbst bezwungen,
Bis in der kühlen Abendzeit
Herr Milon aufgesprungen:
»Wach auf, wach auf, mein Sohn Roland!
Nimm Schild und Lanze schnell zur Hand,
    Daß wir den Riesen suchen!«

Sie stiegen auf und eilten sehr,
Zu schweifen in der Wilde;
Roland ritt hinterm Vater her
Mit dessen Speer und Schilde.
Sie kamen bald zu jener Stätt',
Wo Roland jüngst gestritten hätt':
    Der Riese lag im Blute.

Roland kaum seinen Augen glaubt',
Als nicht mehr war zu schauen
Die linke Hand, dazu das Haupt,
So er ihm abgehauen,
Nicht mehr des Riesen Schwert und Speer,
Auch nicht sein Schild und Harnisch mehr,
    Nur Rumpf und blut'ge Glieder.

Milon besah den großen Rumpf:
»Was ist das für 'ne Leiche?
Man sieht noch am zerhaunen Stumpf,
Wie mächtig war die Eiche.
Das ist der Riese, frag' ich mehr?
Verschlafen hab' ich Sieg und Ehr',
    Drum muß ich ewig trauern.« –

Zu Aachen vor dem Schlosse stund
Der König Karl gar bange:
»Sind meine Helden wohl gesund?
Sie weilen allzulange.
Doch seh' ich recht, auf Königswort!
So reitet Herzog Heimon dort,
    Des Riesen Haupt am Speere.«

Herr Heimon ritt in trübem Mut,
Und mit gesenktem Spieße
Legt' er das Haupt, besprengt mit Blut,
Dem König vor die Füße:
»Ich fand den Kopf im wilden Hag,
Und fünfzig Schritte weiter lag
    Des Riesen Rumpf am Boden.«

Bald auch der Erzbischof Turpin
Den Riesenhandschuh brachte,
Die ungefüge Hand noch drin;
Er zog sie aus und lachte:
»Das ist ein schön Reliquienstück,
Ich bring' es aus dem Wald zurück,
    Fand es schon zugehauen.«

Der Herzog Naims von Bayerland
Kam mit des Riesen Stange:
»Schaut an, was ich im Walde fand!
Ein Waffen, stark und lange.
Wohl schwitz' ich von dem schweren Druck:
Hei! bayrisch Bier, ein guter Schluck,
    Sollt' mir ganz köstlich munden!«

Graf Richard kam zu Fuß daher,
Ging neben seinem Pferde:
Der trug des Riesen schwere Wehr,
Den Harnisch samt dem Schwerte:
»Wer suchen will im wilden Tann,
Manch Waffenstück noch finden kann;
    Ist mir zu viel gewesen.«

Der Graf Garin tät ferne schon
Den Schild des Riesen schwingen.
»Der hat den Schild, des ist die Kron',
Der wird das Kleinod bringen!«
»Den Schild hab' ich, ihr lieben Herrn!
Das Kleinod hätt' ich gar zu gern,
    Doch das ist ausgebrochen.«

Zuletzt tät man Herrn Milon sehn,
Der nach dem Schlosse lenkte;
Er ließ das Rößlein langsam gehn,
Das Haupt er traurig senkte.
Roland ging hinterm Vater her
Und trug ihm seinen starken Speer
    Zusamt dem festen Schilde.

Doch wie sie kamen vor das Schloß
Und zu den Herrn geritten,
Macht' er von Vaters Schilde los
Den Zierat in der Mitten;
Das Riesenkleinod setzt' er ein,
Das gab so wunderbaren Schein
    Als wie die liebe Sonne.

Und als nun diese helle Glut
Im Schilde Milons brannte,
Da rief der König frohgemut:
»Heil Milon von Anglante!
Der hat den Riesen übermannt,
Ihm abgeschlagen Haupt und Hand,
    Das Kleinod ihm entrissen.«

Herr Milon hatte sich gewandt,
Sah staunend all die Helle:
»Roland! sag an, du junger Fant!
Wer gab dir das, Geselle?«
»Um Gott, Herr Vater, zürnt mir nicht,
Daß ich erschlug den groben Wicht,
    Dieweil Ihr eben schliefet!«

            Uhland.

 

41. Kaiser Karls Heimkehr

Im fernen Ungarlande mit seiner Heeresmacht
Brach Kaiser Karl die Bande der alten Heidennacht:
Er rief das Volk zur Taufe und zu dem ew'gen Reich;
Es ward der rohe Haufe von seiner Predigt weich.

Auch galt kein langes Wählen, wo Kaiser Karl erschien,
Man weiß noch zu erzählen manch Märlein über ihn:
Er trug in alten Tagen ein schartenloses Schwert,
Um weidlich dreinzuschlagen, so oft man sein begehrt!

Nun war zu jenen Zeiten sein eigen Reich in Not,
Es kam zu seinen Leuten die Kunde, Karl sei tot;
Zehn Jahre flohn vorüber, Frau Hildegard ward bang,
Ihr Blick ward täglich trüber, die Zeit schien ihr zu lang.

Das war ein Rauben, Morden, ein furchtbar Regiment!
Es zogen wilde Horden straflos durch das Geländ';
Da ging der Rat in Eile zur Kaiserburg hinan:
»Frau Kaiserin, ohne Weile wählt einen andern Mann!«

Das sah auf seinem Throne der liebe Herrgott an,
Daß seines Dieners Krone ein andrer sollte han;
Er hielt den Karl gar werte, weil er ihm diente treu,
Die Heiden fromm bekehrte, voll steter, heil'ger Scheu.

Drum wählt' er aus den Scharen der Engel einen aus,
Der mußte eiligst fahren zu Kaiser Karl hinaus:
»Mach dich, du Held, von hinnen, es schleicht daheim Verrat,
Drei Tage noch – gewinnen mußt du bis da die Stadt!«

Da stand ein Mann im Heere das stärkste Roß ihm ab,
Das trug ihn samt der Wehre wohl in die Stadt zu Raab;
Es tat am andern Morgen zum zweitenmal den Lauf
Und bracht' ihn wohlgeborgen gen Passau nun hinauf.

Hier tauscht's der Held am Abend für ein schön Füllen aus,
Das trug ihn lustig trabend den dritten Tag nach Haus.
Fürwahr! das war ein Jagen! bei hundertfunfzehn Rast,
Die ritt in dreien Tagen der gottgesandte Gast.

Zu Aachen ging's gar heiter, da ging's gar lustig her,
Es dachte keiner weiter des alten Kaisers mehr!
Der zog indes zur Stunde bei einem Wirte ein,
Nahm sich von allem Kunde, ging dann ins Kämmerlein;

Ließ einen Wächter kommen, den hat er ins Geding
Auf diese Nacht genommen für seinen goldnen Ring.
Des Lohnes der sich freute, indes der Kaiser schlief;
Und als beim Frühgeläute er ihn vom Schlummer rief,

Da sprang er auf behende, tat an ein reich Gewand
Und band das Schwert zur Lende, und gab dem Wirt die Hand:
Es machte, wär's gewesen bei Tag, wohl mancher Halt,
So stattlich war sein Wesen, so herrlich die Gestalt!

Am Burgtor eingetroffen fand er es wohl verwahrt:
»Nur drunter durchgeschloffen, hier ist's die beste Art!«
Er ging zum Dome leise und saß in aller Früh'
Im Stuhl, nach alter Weise das Schwert bar übers Knie!

Wie ihn der Mesner schaute, den allgewalt'gen Mann,
Entfloh er, und vertraute dem Bischof 's eilig an;
Der hieß zwo Kerzen brennen, trat vor mit dem Geleit –
Da gab's ein froh Erkennen, ein Jubeln allerweit!

Er ward vom Volk getragen zur Kaiserin ins Schloß;
Die fühlt ein Bangen, Zagen, und ihre Furcht ist groß.
»Dein Bräutigam ist kommen!« Karl freudig zu ihr spricht,
»Drum sei der Furcht entnommen, Gott läßt die Seinen nicht!«

            F. W. Rogge.

 

42. Meister Tancho

Zu Aachen durch die Gassen, da tönte lust'ger Braus;
Von Mann und Weib verlassen stand öde jedes Haus.
Mit seinem Hofgelage kam selber Karl zur Schau:
Es ward an diesem Tage vollbracht des Domes Bau.

»Gott wird mit Wohlgefallen,« begann der Kaiser laut,
»Bewohnen diese Hallen, die wir ihm aufgebaut.
Für unsrer fleiß'gen Hände vieljähriges Bemühn
Wird reichen Segens Spende im Gotteshaus uns blühn.

Doch fehlt der Mund, der helle, der uns zu kommen heißt,
Wenn sich der Gnade Quelle im Heiligtum erweist.
Mit ihrem frohen Schallen fehlt noch die Glocke hier:
Drum bringet von St. Gallen Tancho den Meister mir.«

Der Meister ward gerufen und Karl gab ihm zur Stund'
Gediegner Silberstufen dreitausend schwere Pfund,
Und Kupfererz und Eisen hieß er ihm zahlen aus
Und ließ zur Arbeit weisen ihm ein gelegen Haus.

Ans Werk gab unverdrossen der Künstler sich alsdann,
Doch seine Tür verschlossen hielt er vor jedermann;
Nicht daß die Störung ferne, ihm lag Betrug im Sinn:
Das Silber hätt' er gerne vertauscht mit schlechtem Zinn.

Und als dahin drei Wochen, da war das Werk vollbracht,
Die Form ward abgebrochen: »Ha, wie die Glocke lacht!
Seht nur die hellen Bilder, die Sprüche Zeil' an Zeil',
Im Sonnenglanz die Schilder! dem hohen Meister Heil!«

So flicht dem Künstler Kränze das Volk mit blindem Sinn
Und merket nicht, es glänze ein falscher Glanz darin.
Man zieht zur Glockenstufe die Glock' und fugt sie ein;
Da grüßt mit neuem Rufe das frohe Volk darein.

Und Karl tritt aus der Menge zuerst zu läuten vor,
Er rührt die Glockenstränge, kein Laut dringt in sein Ohr:
»Nicht liegt's an meiner Stärke, die regte Größres schier,
Es liegt wohl an dem Werke: den Meister rufet mir!«

Und Tancho tritt inmitten, im Auge grimme Glut,
Er geht mit schwanken Schritten, er reißt am Seil mit Wut.
Ein Prasseln und ein Toben dröhnt durch die Balken dann:
Der Klöpfel fällt von oben und trifft den falschen Mann.

Wie sie ihn stürzen sehen, und sehn des Blutes Lauf,
Da staunt das Volk, da gehen ihm erst die Augen auf:
Es schweiget wie vernichtet; der alte Kaiser spricht:
»Wo Gott, der Herr, gerichtet, da reden Menschen nicht.«

            Wolfgang Müller.

 

43. Die Schule der Stutzer

»In solchem Staat, ihr Herrn vom Rat,
Mit Seide, Gold und Bändern?
Wohl ziemt der Glanz zu Spiel und Tanz,
Zum Reihen oder Ländern;
Zu ernsten Dingen ziemt er nicht;
Drum halt' ich heute kein Gericht;
    Auf, laßt uns fröhlich jagen!«

Das Hifthorn schallt im grünen Wald,
An Seilen bellt die Meute,
Dem Freudenschall erjauchzen all
Die flinken Jägersleute.
Der Kaiser weist sie manchen Pfad,
Wo sich viel Wilds verborgen hat:
    Nur zu durch dick und dünne!

Ihm folgen gern die schmucken Herrn,
Wie ließen sie sich mahnen?
Doch mancher Dorn nimmt sie aufs Korn
Und zerrt an ihren Fahnen.
Viel bunte Flitter flattern fort,
Ein Läppchen hier, ein Läppchen dort:
    Sie müssen Wolle lassen.

Im schlichten Rock hat manchen Bock
Der Kaiser abgefangen;
Sie trafen nie, stets blieben sie
An einem Dornbusch hangen.
Der Kaiser lacht: »Ach wie zerfetzt!
Ihr wurdet heute selbst gehetzt;
    Ein andermal seid klüger!«

            K. S. [Karl Simrock]

 

44. Der Stuhl in Aachen

In dem hohen Dom zu Aachen, welcher jetzt auf deutschem Grund
Wieder stehet, wo begraben Kaiser Karls Gebeine ruhn.

In dem hohen Dom zu Aachen ist gestellt der heil'ge Stuhl,
Wo der Kaiser Karl der Große selbst im Leben einst geruht.

Als man nach dem Tod des Kaisers zu den Heil'gen ihn erhub,
Fand daselbst man im Gewölbe sitzen ihn auf jenem Stuhl.

Da saß er, als ob er lebte, angetan, im völl'gen Schmuck;
In der rechten Hand des Kaisers lag das Evangelienbuch.

Alle dort gekrönten Kaiser, bis auf Franz den Zweiten nur,
Haben dort seitdem gesessen auf des großen Ahnherrn Stuhl.

Alle dort gekrönten Kaiser haben abgelegt den Schwur,
Alle bis auf Franz den Zweiten, auf dies Evangelienbuch.

Unter Franz des Zweiten Zepter kam des Deutschen Reichs Verlust,
Und der Kaiserdom von Aachen ward versetzt auf fremden Grund.

Aus der Hand gab Franz der Zweite selbst den deutschen Kaiserschmuck,
Und kein deutscher Kaiser sollte sitzen mehr auf jenem Stuhl.

Als der Kaiser der Franzosen Aachens hohen Dom besucht,
Hatt' er auf den Stuhl des großen Karls sich dort zu setzen Furcht.

Doch das erste Weib des Korsen ward versucht von Übermut;
Setzte dort im Dom von Aachen sich auf Karls des Großen Stuhl.

Aber Karls des Großen Schatten stieg zuletzt aus seiner Gruft;
Oder ist's sein Geist gewesen, der vom Himmel niederfuhr?

Welcher den Franzosenkaiser mit dem breiten Schwerte schlug,
Und den Kaiserstuhl von Aachen wieder bracht' auf deutschen Grund.

Sitze, Karol, deutscher Kaiser, wieder nun auf deinem Stuhl,
Angetan mit völl'gem Schmucke, mit dem Evangelienbuch!

Zeige so dich unsern Augen, zeig auch einen Kaiser uns,
Der dir selbst in deine Hände bald ablege seinen Schwur!

            Rückert.

 

45. Der Apfelschnitz

Herr Ludewig zu Aachen fein lang bei Tische saß,
Er war ein frommer Kaiser, der auch gern Äpfel aß.

Da standen seine Söhne vor ihm auf eine Zeit,
Er dacht': ich will erproben, wie ihr gehorsam seid.

Er rief dem erstgebornen: »Komm, ich befehle dir,
Tu auf den Mund, empfange den Apfelschnitz von mir.«

Da rief Pipin der Lange: »Herr Vater, seid Ihr klug?
Kann selbst mir Äpfel schälen, bin wahrlich groß genug.«

Da rief er seinem zweiten: »So öffne du den Mund
Und nimm aus meinen Händen den Schnitz in deinen Schlund.«

Da kniete Ludwig nieder vor seines Vaters Sitz:
»Wie Ihr befehlt, mein Vater,« und nahm den Apfelschnitz.

Da sprach der fromme Kaiser: »Ein Königreich ist dein,
Das weite Land der Franken, das soll dein Erbe sein.«

Und zu dem dritten sprach er, er war Lothar genannt:
»Den Apfelschnitz empfange, mein Sohn, aus meiner Hand.«

Der kniete willig nieder vor seines Vaters Sitz:
»Dir wird die Kaiserkrone mit diesem Apfelschnitz.«

Als das Pipin erhörte, da war er auch nicht faul,
Gar willig kniet' er nieder und sperrte weit das Maul.

Der Kaiser sprach: »Mitnichten, hast dich zu lang verweilt,
Für dich ist nichts mehr übrig, mein Apfel ist verteilt.«

Darnach ist aufgekommen ein Sprichwort weit und breit,
Seit Ludewig dem Frommen: Sperr auf zu rechter Zeit!

            K. S. [Karl Simrock]

 

46. Klagelied Kaiser Ottos III

O Erde, nimm den Müden, den Lebensmüden auf,
Der hier im fernen Süden beschließt den Pilgerlauf!
Schon steh' ich an der Grenze, die Leib und Seele teilt,
Und meine zwanzig Lenze sind rasch dahingeeilt.

Voll unerfüllter Träume, verwaist, in Gram versenkt,
Entfallen mir die Zäume, die dieses Reich gelenkt.
Ein andrer mag es zügeln, mit Händen, minder schlaff,
Von diesen sieben Hügeln bis an des Nordens Haff.

Doch selbst im Seelenreiche harrt meiner noch die Schmach,
Es folgt der blassen Leiche begangner Frevel nach;
Vergebens mit Gebeten beschwör' ich diesen Bann,
Und mir entgegentreten Crescentius und Johann!

Doch nein: die Stolzen beugte mein reuemütig Flehn;
Ihn, welcher mich erzeugte, ihn werd' ich wiedersehn!
Nach welchem ich als Knabe so oft vergebens frug:
An seinem frühen Grabe hab' ich geweint genug.

Des deutschen Volks Berater umwandeln Gottes Thron:
Mir winkt der Eltervater mit seinem großen Sohn.
Und während, voll von Milde, die frommen Hände legt
Mir auf das Haupt Mathilde, steht Heinrich tief bewegt.

Nun fühl' ich erst, wie eitel des Glücks Geschenke sind,
Wiewohl ich auf dem Scheitel schon Kronen trug als Kind!
Was je mir schien gewichtig, zerstiebt wie ein Atom!
O Welt! du bist so nichtig, du bist so klein, o Rom.

O Rom, wo meine Blüten verwelkt wie dürres Laub,
Dir ziemt es nicht zu hüten den kaiserlichen Staub.
Die mir die Treue brachen, zerbrächen mein Gebein:
Beim großen Karl zu Aachen will ich bestattet sein.

Die echten Palmen wehen nur dort um sein Panier:
Ich hab' ihn liegen sehen in seiner Kaiserzier.
Was durfte mich verführen zu öffnen seinen Sarg?
Den Lorbeer anzurühren, der seine Schläfe barg?

O Freunde, laßt das Klagen, mir aber gebt Entsatz,
Und macht dem Leichenwagen mit euern Waffen Platz!
Bedeckt das Grab mit Rosen, das ich so früh gewann,
Und legt den tatenlosen zum tatenreichsten Mann.

            Platen.

 

47. Der Kirchenbau in Aachen

    In Aachen ward vor grauer Zeit
Ein Kirchenbau voll Eifer angefangen.
Der Hammer und die Axt erklangen
Sechs Monden lang in seltner Tätigkeit;
Doch leider war der frommen Christenheit,
Die dieses Werk betrieb, das Geld nun ausgegangen.
Es stockte schnell der Baugewerke Lohn,
So schnell auch ihre Lust zu hämmern und zu hauen;
Die Menschen hatten nicht so viel Religion,
Ein Gotteshaus auf Konto zu erbauen.

    Nur halb vollendet stand es da
Und glich schon sinkenden Ruinen.
In seinen Mauerritzen sah
Man Steinmoos, Gras und Eppich grünen.
Schon suchten hier die Käuzlein einen Platz,
Wo sie gemächlich hausen wollten,
Und täglich schwatzte da der Spatz,
Wo Priester heil'ge Reden halten sollten.

    Die Bauherrn sannen kreuz und quer
Und liefen hin und liefen her,
Umsonst. Es wollte sich kein reicher Mann entschließen
Ein rundes Sümmchen vorzuschießen.
Bei Sammlungen von Haus zu Haus
Fiel auch die Ernte dürftig aus;
Statt der gehofften goldnen Füchse
Fand man nur Kupfer in der Büchse.

    Nach drob empfangenem Bericht
Verzog der Magistrat mißmutig das Gesicht,
Und blickte nach der Tempelmauer
Mit tief bekümmertem Gemüt,
Gleich einem Vater, der voll Trauer
Sein Lieblingskind verderben sieht.

    In dieser ängstlichen Minute
Erschien ein fremder, feiner Mann,
Der etwas stolz im Ton und Blick begann:
»Bondies! Man sagt, euch sei nicht wohl zumute.
Hm! wenn's am Geld nur fehlt, so tröstet euch, ihr Herrn!
Mir zollen Gold- und Silberminen:
Ich kann und will daher euch gern
Mit einer Tonne Goldes dienen.«

    Wie eine Säulenreihe saß
Der staunende Senat und maß
Mit großen Augen still den Fremden auf und nieder.
Der Bürgermeister fand zuerst die Sprache wieder:
»Wer seid Ihr, edler Herr, der uns ganz unbekannt
Von Tonnen Goldes spricht, als wären's kahle Bohnen?
Nennt Euern Namen, Euern Stand!
Wie? Oder seid Ihr gar aus höhern Regionen
Zu unsrer Rettung hergesandt?« –

    »Ich habe nicht die Ehre, dort zu wohnen.
Mit Fragen: wer und was ich sei?
Bitt' ich mich überhaupt großgünstig zu verschonen.
Genug, ich habe Geld wie Heu!« –
So prahlend zog der Fremdling eine Katze
Voll Gold hervor, und sprach dann fort:
»Dies Beutelchen erfüllt zum zehnten Teil mein Wort;
Den Rest schaff' ich sogleich zu Platze,
Und all der Bettel ist und bleibt
Euch rein geschenkt, wenn ihr das Seelchen mir verschreibt,
Das einst zuerst durchs Tor des neuen Tempels schreitet,
Wenn man zu diesem Weihfest läutet.«

    Als wie durch Erderschütterung
Emporgeschleudert von den Stühlen,
So fuhren jetzt mit einem raschen Sprung
Die Senatoren auf und rannten, stürzten, fielen
Ins fernste Winkelchen auf einen Klumpen hin,
Und nisteten so eng darin,
Wie scheue Lämmer, sich zusammen,
Wenn um sie her des Himmels Blitze flammen.
Nur einer, der noch nicht sich selbst so ganz verlor,
Versammelte den Rest von seinen Sinnen,
Zog aus dem Menschenknäul den Kopf mit Müh' hervor
Und ächzte: »Hebe dich, du böser Geist, von hinnen!«

    Wer aber sich nicht hob, war Meister Urian.
Er spottete: »Was ihr euch doch gebärdet!
Ist denn mein Gelderwerbungsplan
So übel, daß ihr drob zu schwachen Kindern werdet?
Ich büße bloß beim Handel ein, nicht ihr!
Mit Hunderttausenden brauch' ich nicht weit zu laufen,
Um Schocke Seelchen zu erkaufen;
Von euch verlang' ich nur ein einziges dafür.
Was macht ihr nun so lange Federlesens?
Man sieht euch an, daß ihr nur Herrscherlinge seid!
Zum Besten des gemeinen Wesens,
(Das oft auch bloß den schönen Namen leiht)
Wär' mancher Fürst wohl stracks bereit,
Ein ganzes Heer zur Schlachtbank hinzuführen:
Und ihr, ihr wollt deshalb nicht einen Mann verlieren?
Pfui, schämet euch, hochweise Herrn,
So abgeschmackt, so bürgerlich zu denken!
Und glaubet ihr etwa den Kern
Von euerm Völklein zu verschenken,
Wenn ihr mir ein Persönchen gönnt,
Das auf den ersten Ruf der Glock' ins Bethaus rennt?
O nein, da fehlt ihr stark; denn wahrlich in der Regel
Sind Gleisner immerfort die frühsten Kirchenvögel.«.

    Indem der Listige so sprach,
Ermannten sich die Ratsherrn nach und nach
Und raunten sich ins Ohr: »Was hilft uns unser Sträuben?
Der grimme Löwe fletscht nun einmal seinen Zahn.
Fürwahr, wenn wir nicht unterschreiben,
So packt er uns wohl selber an:
Drum stopfe lieber ihm das Maul ein Untertan!«

    Kaum war hierauf der Blutkontrakt vollzogen,
Da kam durch Wand und Fenster in den Saal
Ein Schwarm von Beuteln angeflogen.
Und Urian, der sich diesmal,
Gesitteter als sonst, ganz ohne Stank empfahl,
Rief an der Tür: »Zählt nach! ich hab' euch nicht betrogen.«

    Das Gold der Hölle ward getreulich angewandt,
Das Haus des Himmels zu erbauen.
Als es jedoch in voller Schönheit stand,
Befiel die ganze Stadt beim Anblick Furcht und Grauen,
Denn es gelobten zwar, als Urian verschwand,
Die Ratsherrn sich mit Mund und Hand,
Den Vorfall niemand zu vertrauen;
Doch einer plauderte zu Haus,
Sein Weibchen machte bald ein Stadtgespräch daraus,
Und nun erscholl der Schwur von allen Seiten,
Den Tempel nimmer zu beschreiten.
Der bange Rat besprach sich mit der Klerisei,
Und sie ließ auch die Glatzenköpfe hangen.

    Auf einmal rief ein Mönch: »Mir fällt ein Ausweg bei!
Heut' ward der Wolf lebendig eingefangen,
Der nah am Weichbild unsrer Stadt
Bisher herumgewütet hat.
Hetzt diesen Mörder unsrer Schafe
Zu seiner wohlverdienten Strafe
Dem Teufel in den Flammenschlund!
Zwar wird dem argen Höllenhund
Dies Frühstück eben nicht belieben;
Doch ist es Schuldigkeit, daß er es willig nimmt.
Ihr habt ein Seelchen ihm verschrieben,
Allein von wem? ist nicht bestimmt.«

    Das Pfaffenplänchen fand Behagen,
Und der Senat beschloß den kühnen Streich zu wagen.
Da nun das Fest der Tempelweih' erschien,
Gebot er, stracks den Wolf ans Haupttor hinzutragen,
Und als die Glocken jetzt begannen anzuschlagen,
Des Käfigs Falltür aufzuziehn.
Das Raubtier fuhr mit Wetterschnelle
Ins öde Kirchenhaus hinein,
Und grimmig sah auf seiner Lauerstelle
Herr Urian sich dieses Opfer weihn;
Doch rauschend, wie ein Sturm, warf er sich hinterdrein,
Und schlug voll Wut, weil man ihn hintergangen,
Das Tor von Erz so zu, daß seine Flügel sprangen.
Bis heute läßt man diesen Spalt
Von allen Reisenden begaffen,
Und triumphiert, daß eines Pfaffen
Verschmitztheit mehr als Teufelskünste galt.
Damit auch der Beweis nicht fehle,
Wird an dem Kirchentor der Wolf in Erz gezeigt,
Nebst seiner ewiglich verlornen armen Seele,
Die einem Tannenzapfen gleicht.

            Langbein.

 

48. Der Schmied von Aachen

»Viel lieber Meister höret, wir kommen aus dem Rat:
Ihr sollt uns Eisen schmieden für die Tore der Stadt.«
Der Grobschmied, kaum aufblickend, sprach und schmiedete fort:
»Es waren sonst zu grob euch meine Hämmer und Wort'.«

Sie sprachen: »Funfzig Stangen sind uns eiligst not,
Und hundert starke Klammern: Graf Wilhelm, der droht,
Graf Wilhelm, der nicht aufschiebt, droht uns Überfall,
Drum gilt es, zu verfesten die Tor' und Pforten all'.«

»Nun, lieber Meister, eilt Euch, daß wir sie morgen han.«
»Hm,« sprach der Schmied, und fachte ein höllisch Feuer an.
Sie sprachen: »Aber tüchtig!« Er warf die Eisen hinein,
In seinen Bart hinbrummend: »Ein Grobschmied macht's nicht fein.«

Graf Wilhelm nun von Jülich, der war gar rachevoll,
Und was er sagt, das hält er. Er trug den Aachnern Groll,
Und früh bei grauer Dämmerung brach er herein zum Tor
Bis auf den Markt von Aachen: ihr Aachner, seht euch vor!

Mit seinen kühnen Mannen und rechts und links ein Sohn,
Wie dünkt er sich so sicher und blickt den Aachnern Hohn.
Als ob er wär' sein eigen auf dem Markt er tut:
Graf Wilhelm von Jülich, du trägst zu hohen Mut!

Ja, hüt dich vor den Aachnern! Sie reißen Dächer ein
Und schleudern auf die Deinen Balken und Stein.
Sie wollen rings die Straßen sperren und den Platz
Verrammen und verdämmen: kein Entkommen hat's.

Die Aachner riefen freudig: »Den Vogel hätten wir!
Nun laßt ihn nicht entwischen, laßt ihm nicht Tor noch Tür.
Wir wollen ihn aushungern, dann wird er wohl noch zahm:
Wir machen ihn wohl kirre, schon ist er flügellahm.«

Graf Wilhelm rief: »Nun Söhne, auf, brecht mit mir hervor!
Just wenn der Staub am dicksten, mir nach zum Jakobstor!«
Er sah die Mauer stürzen und brach durch Schutt sich Bahn:
Nun sehet zu, ihr Aachner, wie ihr ihn möget fahn!

Er war die Gass' hinunter im panzerschweren Lauf
Mit seinen beiden Söhnen. Das Volk schrie: »Halt ihn auf!«
Nun noch vorbei am Kloster – nun ist er bald hinaus,
Hinaus zum Jakobstore – schon ist er am letzten Haus.

Im Haus, da wohnt der Grobschmied, da glüht und dampft der Schlot.
Der hört des Volkes Rufen: »Haltauf und schlagt sie tot!«
Da trat er aus der Schmiede, im selben Dreitakt fort
Schlug er die drei zusammen und sagte nicht ein Wort.

Mit dem Possekel weiter pocht' er aufs Eisen gut
Im Takt mit den Gesellen: davon stob lichte Glut.
Nun kam das Volk zu gaffen und sah die Leichen an,
Und einer fragte den andern: Wer hat das getan?

Der Schmied sprach: »Immer rüstig, Gesellen, seid zur Tat,
Daß ich mein Wort kann halten den Herren aus dem Rat.«
Du braver Meister Grobschmied! Doch wie ist er genannt?
Das war der Schmied von Aachen, mehr ist mir nicht bekannt.

            O. F. Gruppe.

 

49. Der Graf von Habsburg

Zu Aachen in seiner Kaiserpracht,
    Im altertümlichen Saale,
Saß Kaiser Rudolfs heilige Macht
    Beim festlichen Krönungsmahle.
Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins,
Es schenkte der Böhme des perlenden Weins,
    Und alle die Wähler, die sieben,
Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt,
Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt,
    Die Würde des Amtes zu üben.

Und rings erfüllte den hohen Balkon
    Das Volk in freud'gem Gedränge,
Laut mischte sich in der Posaunen Ton
    Das jauchzende Rufen der Menge.
Denn geendigt nach langem verderblichen Streit
War die kaiserlose, die schreckliche Zeit,
    Und ein Richter war wieder auf Erden.
Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer,
Nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr,
    Des Mächtigen Beute zu werden.

Und der Kaiser ergreift den goldnen Pokal,
    Und spricht mit zufriedenen Blicken:
»Wohl glänzet das Fest, wohl pranget das Mahl,
    Mein königlich Herz zu entzücken;
Doch den Sänger vermiss' ich, den Bringer der Lust,
Der mit süßem Klang mir bewege die Brust
    Und mit göttlich erhabenen Lehren.
So hab' ich's gehalten von Jugend an,
Und was ich als Ritter gepflegt und getan,
    Nicht will ich's als Kaiser entbehren.«

Und sieh! in der Fürsten umgebenden Kreis
    Trat der Sänger im langen Talare;
Ihm glänzte die Locke silberweiß,
    Gebleicht von der Fülle der Jahre:
»Süßer Wohllaut schläft in der Saiten Gold,
Der Sänger singt von der Minne Sold,
    Er preiset das Höchste, das Beste,
Was das Herz sich wünscht, was der Sinn begehrt;
Doch sage, was ist des Kaisers wert
    An seinem herrlichsten Feste?«

»Nicht gebieten werd' ich dem Sänger,« spricht
    Der Herrscher mit lächelndem Munde,
»Er steht in des größern Herren Pflicht,
    Er gehorcht der gebietenden Stunde,
Wie in den Lüften der Sturmwind saust,
Man weiß nicht, von wannen er kommt und braust,
    Wie der Quell aus verborgenen Tiefen,
So des Sängers Lied aus dem Innern schallt
Und wecket der dunkeln Gefühle Gewalt,
    Die im Herzen wunderbar schliefen.«

Und der Sänger rasch in die Saiten fällt,
    Und beginnt sie mächtig zu schlagen:
Aufs Weidwerk hinaus ritt ein edler Held,
Den flüchtigen Gemsbock zu jagen.
    Ihm folgte der Knapp' mit dem Jägergeschoß,
Und als er auf seinem stattlichen Roß
In eine Au kommt geritten,
    Ein Glöcklein hört' er erklingen fern:
Ein Priester war's mit dem Leib des Herrn;
    Voran kam der Mesner geschritten.

Und der Graf zur Erde sich neiget hin,
    Das Haupt mit Demut entblößet,
Zu verehren mit gläubigem Christensinn
    Was alle Menschen erlöset.
Ein Bächlein aber rauschte durchs Feld,
Von des Gießbachs reißenden Fluten geschwellt,
    Das hemmte der Wanderer Tritte:
Und beiseit legt jener das Sakrament,
Von den Füßen zieht er die Schuhe behend,
    Damit er das Bächlein durchschritte.

»Was schaffst du?« redete der Graf ihn an,
    Der ihn verwundert betrachtet.
»Herr, ich walle zu einem sterbenden Mann,
    Der nach der Himmelskost schmachtet.
Und da ich mich nahe des Baches Steg,
Da hat ihn der strömende Gießbach hinweg
    Im Strudel der Wellen gerissen.
Doch daß dem Lechzenden werde sein Heil,
So will ich das Wässerlein jetzt in Eil'
    Durchwaten mit nackenden Füßen.«

Da setzt ihn der Graf auf sein ritterlich Pferd,
    Und reicht ihm die prächtigen Zäume,
Daß er labe den Kranken, der sein begehrt,
    Und die heilige Pflicht nicht versäume.
Und er selber auf seines Knappen Tier
Vergnüget noch weiter des Jagens Begier,
    Der andre die Reise vollführet;
Und am nächsten Morgen mit dankendem Blick,
Da bringt er dem Grafen sein Roß zurück
    Bescheiden am Zügel geführet.

»Nicht wolle das Gott,« rief mit Demutssinn
    Der Graf, »daß zum Streiten und Jagen
Das Roß ich beschritte fürderhin,
    Das meinen Schöpfer getragen!
Und magst du's nicht haben zu eignem Gewinst,
So bleib' es gewidmet dem göttlichen Dienst,
    Denn ich hab' es dem ja gegeben,
Von dem ich Ehre und irdisches Gut
Zu Lehne trage und Leib und Blut
    Und Seele und Atem und Leben.«

»So mög' Euch Gott, der allmächtige Hort,
    Der das Flehen der Schwachen erhöret,
Zu Ehren Euch bringen hier und dort,
    So wie Ihr jetzt ihn geehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
Durch ritterlich Walten im Schweizerland;
    Euch blühn sechs liebliche Töchter.
So mögen sie,« rief er begeistert aus,
»Sechs Kronen Euch bringen in Euer Haus
    Und glänzen die spätsten Geschlechter!«

Und mit sinnendem Haupt saß der Kaiser da,
    Als dächt' er vergangener Zeiten;
Jetzt da er dem Sänger ins Auge sah,
    Da ergreift ihn der Worte Bedeuten.
Die Züge des Priesters erkennt er schnell
Und verbirgt der Tränen stürzenden Quell
    In des Mantels purpurnen Falten.
Und alles blickte den Kaiser an,
Und erkannte den Grafen, der das getan,
    Und verehrte das göttliche Walten.

            Schiller.

 

50. Die goldenen Eier

Das Zepter und die Krone zu Aachen feierlich
Maximilian dem Sohne gab Kaiser Friederich.

Da durfte niemand dürsten, man schenkte tapfer ein,
Das Volk und sieben Fürsten ertranken schier im Wein.

Nach altem Königsrechte beging man jeden Brauch,
Des Königs Kammerknechte, die huldigten ihm auch.

Zu seiner Krönungsfeier, was brachten sie ihm dar?
Einen Korb voll goldner Eier, ein reich Geschenk fürwahr.

Da rief zu den Trabanten der Held Maximilian;
»Die mir die Eier sandten, die greift und haltet an!«

»Was haben wir begangen, wir arme Judenschaft,
Daß man uns nimmt gefangen und hält in strenger Haft?«

»So wißt ihr nicht weswegen? Es ist doch leicht erklärt:
Die solche Eier legen, die sind wohl hütenswert.«

            K. S. [Karl Simrock]

 


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