Karl Simrock
Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter
Karl Simrock

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Kleve

5. Der Schwanenritter

Die junge Gräfin weinte vom Kleverlande,
Der sie beschützen sollte, warf sie in Bande,
Der Dienstmann will der Herrin Verlobter sein,
Und kommt ihr nicht ein Kämpfer, sie muß den Falschen frein.

Kein Kämpfer wollt' ihr kommen mit dem Verwegnen,
Sie scheuen sich gewaffnet ihm zu begegnen:
Er schnellt das Schwert so kräftig und schießt den Schaft,
Ohnmächtig zuckt die Achseln des Landes Ritterschaft.

Zum Himmel ruft die Gräfin und fleht sich heiser:
»Laß dich die Not erbarmen, o Himmelskaiser,
Du bist nicht unerbittlich wie Menschen sind,
Dich rührt ein Herz voll Jammer, ein hartbedrängtes Kind.«

An ihrem Rosenkranze hing eine Schelle,
Und schlug sie sich die Brüste, so klang sie helle,
Und raufte sie im Leide das schöne Haar,
So klang das kleine Glöcklein und tönte wunderbar.

Und klang es in der Nähe nur leise, leise,
Durch alle Fernen brach es in Donnersweise:
Wohl über tausend Meilen vernahm den Schall,
Wo er dem Grale diente, der König Parzival.

Da mußten die Templeisen in Sorgen leben,
Die Erde schien im Grunde dem Ton zu beben,
Der schlanke Turm erzittert, die Mauer kracht,
Und Tor und Türen rasseln von des Geläutes Macht.

»Und wieder stürmt die Glocke, die Haare sträuben,
Es will uns gar die Ohren der Klang betäuben:
Wohin ist unser Friede, der Nächte Schlaf?
Was haben wir begangen, daß Gottes Zorn uns traf?

Was er gebiete, laßt uns den Gral befragen,
Das wird an seinem Rande die Inschrift sagen.«
Da war es klar zu lesen an Kelchesrand:
»Der Jungfrau sei vom Grale der Kämpfer ausgesandt.

Das Abenteuer ziemet dem Königssohne.
Ihm ist die Magd beschieden und ihre Krone;
Doch berg' er sein Geheimnis in tiefer Brust;
So soll auch sie nicht fragen: die Neugier straft Verlust.«

Der Jüngling hört es freudig und will's vollbringen,
Schon denkt er in den Stegreif den Fuß zu schwingen:
Da kommt herbeigeschwommen ein Silberschwan,
Und zieht an goldner Ketten ein kleines Schiff heran.

»Bringt mir zurück, ihr Knappen, das Roß zur Krippe!
Mich führt wohl dieser Vogel vorbei der Klippe,
Vorbei dem Wellenstrudel ans schöne Ziel.«
So trat er in die Barke, dem Blick entschwand der Kiel.

Nun war indes zu Kleve der Tag erschienen,
Vom Söller sah die Gräfin mit Trauermienen.
Der falsche Dienstmann spottet: »Du lockst ihn nicht
Mit Seufzen und mit Weinen herbei, der für dich ficht.

Die Seufzer, die du schicktest, entführten Winde,
Die Tränen trug die Welle dahin geschwinde;
So werben deine Boten in aller Welt,
Die Menge gafft und staunet, und nicht erscheint der Held.«

Da hörte man ein Singen mit Flötenstimmen,
Und auf dem Wasser schien es einherzuschwimmen,
Das Ohr berauschen Wonnen, das Aug' erschrickt
Ungläubig vor dem Wunder, das es doch klar erblickt.

Vom Singeschwan gezogen die kleine Barke,
Da schläft auf seinem Schilde der Jugendstarke,
Schon naht sie dem Gestade, sie hält und gleich
An schöner Augen Schimmer erwacht er freudenreich:

»Du bist's, du allen Wünschen zum Ziel geschaffen,
Dich soll ich mir gewinnen im Schmuck der Waffen:
Für dich das Kampfspiel wagen ist Heldenlust,
Den Feind für dich zu schlagen, wie schwillt mir hoch die Brust!

Schön sah ich dich im Traume, doch gleicher fließen
Die Locken, vollre Strahlen die Augen schießen,
Ein sel'ger Lächeln spielet um Wang' und Mund,
Beredter lädt die Lippe zu Kuß und Minnebund.«

So neigt' er sich der Schönen und gab dem Schwane
Das Zeichen heimzuschwimmen mit seinem Kahne:
Der trieb schon lange wieder den Rhein hinab,
Sein engelweiß Gefieder noch fernen Schimmer gab.

»Wohlauf, wer mir die Jungfrau will abgewinnen!
Der muß beherzter fechten und heißer minnen.«
Da kam der falsche Dienstmann, im Streit bewährt,
Sein Wuchs hat Riesenlänge und schrecklich tönt sein Schwert.

Und wie der Kampf entbrannte, die Funken stoben,
Des zarten Jünglings Kühnheit muß jeder loben;
Zwar scheint er jetzt erlegen, doch wieder klingt
Sein Stahl und trifft den Gegner, daß rotes Blut entspringt.

So schwanken hin und wieder des Kampfs Geschicke,
Doch immer kühner strahlen des Fürsten Blicke,
Verwegen zuckt er jetzo das Schwert und taucht
In des Feindes Brust die Spitze, der keinen Beicht'ger braucht.

Frohlockend schaut die Menge den Sieg gelungen,
Den Heldenmüt'gen preisen viel tausend Zungen,
Der Gräfin liegt zu Füßen der Königssohn;
Die zieht ihn an die Lippen und beut ihm süßern Lohn.

»Hier gönne mir zu knien, mir soll's genügen,
Und laß mich deinem Fuße den Goldschuh fügen:
Hier stehen deine Mannen, es braucht ein Wort,
So sind wir Braut und Bräutigam, verbunden hier und dort.«

Das Wort ist gern gegeben so liebem Freier,
Beginne denn, beginne die Hochzeitfeier!
Girrt zärtlicher ihr Flöten, Drommeten rauscht
Und überschallt die Küsse, die dort ein Pärchen tauscht.

»Um eins muß ich dich bitten, du meine Minne,
Damit uns stets so selig das Leben rinne:
Uns webt ein zarter Faden den Liebesbund,
Ein wunderbar Geheimnis versiegelt mir den Mund.

Du sollst der Stunden Süße genießend schlürfen,
Woher der Schwan mich brachte nicht forschen dürfen.
Ich kann dir nichts verweigern; doch heisch es nie,
Denn ach, wir sind geschieden, die Frage, tust du sie.«

»Woher du kamst, was kümmert es mich zu wissen?
Wirst dieser Arme Schranken du nicht entrissen,
Darf ich dem Morgen fröhlich entgegenschaun,
Wie früg' ich wohl nach Gestern? Da kennst du nicht die Fraun.«

Er kannte nicht die Frauen, daß er vertraute,
Auf losen Sand der Dünen sein Haus erbaute;
Es daucht' ihn unzerstörlich, er wohnte drin:
Daß es zusammenbräche, es kam ihm nicht in Sinn.

Bald wuchsen in dem Hause drei Heldensöhne:
Wie weidete sein Auge der Knaben Schöne!
Sein Schwert gab er dem einen, den Edelstein
Dem andern, gab dem dritten sein Horn von Elfenbein.

»Du hast sie ausgestattet mit reichen Gaben,
An diese Schätze knüpft sich das Glück der Knaben.
Es kann ihm nie gebrechen, der sie bewahrt,
Dem Eigner ist die Fülle des Reichtums aufgespart.

Doch eins gebricht, das haben des Dienstmanns Kinder,
Und die von Bauern stammen sogar nicht minder:
Des Vaters Namen erbet sein jung Geschlecht,
Der Sohn des Vaters Ehre, sonst gilt er nicht für echt.« –

»Laß ab, du willst die Zarten zu früh verwaisen,
Zu früh aus deinen Armen mich hinnen weisen.
Wohin du zielst, empfind' ich nur allzu gut;
O ende nicht, mir schaudern im Tiefsten Herz und Mut.«

»So soll des Vaters Herkunft der Sohn nicht kennen!
Das Volk wird ihn verwerfen und Bastard nennen:
Den Kleinen tu's zuliebe und sprich einmal;
Vergib, vergib der Mutter, ihr bleibt nicht andre Wahl.« –

»Es ist geschehen! Eilet herbei, ihr Mannen!
O wär' das Wort vermieden! Ich muß von dannen.
Nun sollt ihr alles hören: mich, Lohengrin,
Hat her der Gral gesendet, zum Glücke wie es schien.

Das Glück ist zerbrochen, mich ruft der Vater,
Parzival der König, des Grals Berater:
Einst hätten unsre Söhne sein Reich geerbt,
Die Frage, die uns scheidet, die hat auch sie verderbt.

Euch muß ich sie befehlen, die holden Kleinen,
Und laßt nicht ungetröstet die Mutter weinen;
Drei Kleinode bleiben den drein zurück,
Solang' sie die bewahren, bewahren sie das Glück.«

Da kam der Schwan geschwommen auf blauer Welle,
Noch einmal klang das Glöcklein wie Silber helle;
Der Gräfin rief's den Gatten nicht wieder her:
Er ist hinweggefahren, sie sah ihn nimmermehr.

            K. S. [Karl Simrock]

 

6. Otto der Schütz

»Herr Homburg, dies mir kundgetan:
Du kamst soeben erst hier an,
Da bog vor einem sich dein Knie,
Dem wurde solche Ehre nie.

Der Bursch mir sonst gar wohlgefällt,
Zum Schützen hab' ich ihn bestellt,
Und weil er stets ins Schwarze flammt,
Ward ihm des Schützenkönigs Amt.«

Dient der als Schütz am Hofe hier,
Der unsres Landes Hoffnungszier?
Ihn aufzusuchen mußt' ich ziehn,
Denn groß ist Hessens Not um ihn.

So reiches Erb' auf ihn erstarb,
Dieweil er hier um Minne warb.
Ich wüßte wohl, wonach er schießt:
Eure Tochter, wenn's Euch nicht verdrießt. –

»Mein Mädel der? Nun ja doch, recht,
Es ist landgräfliches Geschlecht.
Hessen für Klev', das Herzogtum:
Ei nun, das nehm' ich gar nicht krumm.

Schafft mir den Pfaffen gleich ins Haus;
Wir führen einen Handstreich aus.
Der beßre Schütz bin ich diesmal:
Mein Ländchen ist nur klein und schmal.«

Man fand den Schützen nirgendwo,
Weit über Berg und Tal er floh.
Er hat den Homburg wohl gesehn:
»Soll's wieder in ein Kloster gehn?«

Das ist der jüngern Söhne Los,
Doch Otto achtet es nicht groß:
»Was ist das faule Leben nütz?«
Da riß er aus und ward ein Schütz.

Doch diesmal holen sie ihn ein:
Da marsch in die Kapell' hinein!
Schon steht die Braut vor dem Altar:
»Du bist's zufrieden doch, nicht wahr?« –

»Herr, treibt mit mir nicht solchen Hohn,
Wägt treuen Diensten bessern Lohn.« –
»Bei meinem Eid! es ist kein Spott:
Wie ziemte der? wir stehn vor Gott.«

Der Priester traut das Paar geschwind,
Laut weint die Mutter um ihr Kind:
»Nun sage, wofür hältst du dich?
Für Schützenkönig sicherlich.

Ja fehlgeschossen! Abgesetzt,
Landgraf von Hessen bist du jetzt.
Ich aber traf ins Schwarze heut',
Wenn dich die Heirat nicht gereut.«

            K. S. [Karl Simrock]

 

7. Johanna Sebus

Zum Andenken der siebzehnjährigen Schönen, Guten, aus dem Dorfe Brienen, die am 13. Januar 1809 bei dem Eisgange des Rheins und dem großen Bruche des Dammes von Cleverham, Hilfe reichend, unterging.

Der Damm zerreißt, das Feld erbraust,
Die Fluten spülen, die Fläche saust
.

»Ich trage dich, Mutter, durch die Flut,
Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut.« –
»Auch uns bedenke, bedrängt wir sind,
Die Hausgenossin, drei arme Kind!
Die schwache Frau! . . . Du gehst davon!« –
Sie trägt die Mutter durchs Wasser schon.
»Zum Bühle da rettet euch! harret derweil:
Gleich kehr' ich zurück, uns allen ist Heil.
Zum Bühl ist's noch trocken und wenige Schritt;
Doch nehmt auch mir meine Ziege mit!«

Der Damm zerschmilzt, das Feld erbraust,
Die Fluten wühlen, die Fläche saust
.

Sie setzt die Mutter auf sicheres Land;
Schön Suschen, gleich wieder zur Flut gewandt.
»Wohin, wohin, die Breite schwoll;
Des Wassers ist hüben und drüben voll.
Verwegen ins Tiefe willst du hinein!« –
»Sie sollen und müssen gerettet sein.«

Der Damm verschwindet, die Welle braust,
Eine Meereswoge, sie schwankt und saust
.

Schön Suschen schreitet gewohnten Steg,
Umströmt auch gleitet sie nicht vom Weg,
Erreicht den Bühl und die Nachbarin;
Doch der und den Kindern kein Gewinn!

Der Damm verschwand, ein Meer erbraust's,
Den kleinen Hügel im Kreis umsaust's
.

Da gähnet und wirbelt der schäumende Schlund
Und ziehet die Frau mit den Kindern zu Grund;
Das Horn der Ziege erfaßt das ein',
So sollten sie alle verloren sein!
Schön Suschen steht noch strack und gut:
Wer rettet das junge, das edelste Blut!
Schön Suschen steht noch wie ein Stern,
Doch alle Werber sind alle fern.
Rings um sie her ist Wasserbahn,
Kein Schifflein schwimmet zu ihr heran.
Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf,
Da nehmen die schmeichelnden Fluten sie auf.

Kein Damm, kein Feld! nur hier und dort
Bezeichnet ein Baum, ein Turm den Ort
.

Bedeckt ist alles mit Wasserschwall;
Doch Suschens Bild schwebt überall.
Das Wasser sinkt, das Land erscheint
Und überall wird schön Suschen beweint. –
Und dem sei, wer's nicht singt und sagt,
Im Leben und Tod nicht nachgefragt!

            Goethe.

 


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