Karl Simrock
Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter
Karl Simrock

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Seckingen

209. St. Fridolin

Fridolin, der fromme Schotte, trat vor Landolf hin, den Grafen;
Sprach: »Was Gottes ist, gib Gotte: ist dein Bruder nicht entschlafen?

Der zu seiner Seele Frieden meinem heil'gen Gotteshause
Gut und Habe zubeschieden, liegt zu Glaris in der Klause.

Warum erntest du die Felder, die dem Herrn zu schneiden wären?
Warum fällest du die Wälder, die dem Kirchenbau gehören?

Wagest du's, den Rausch zu trinken von dem roten Ehrenweine,
Der im heil'gen Kelch soll blinken? Kirchengut, ist es das deine?

Laß von deines Bruders Gabe, Wald und Feld und Garten räume,
Daß der Bruder in dem Grabe sanfter lieg' und besser träume.«

Aber Landolf sprach mit Lachen: »Soll ich deinem Spruch mich beugen,
Muß der Bruder erst erwachen, deine Worte selbst bezeugen.

Kannst du ihn heraufbeschwören, wenn zu Rangkwil wird gerichtet,
Wohl, dann mögen wir dich hören, sonst ist's Lug, den du erdichtet.«

Fridolin auf solche Tücke würdiget kein Wort zu sprechen,
Sieht ihn an mit einem Blicke, der durch Gräber könnte brechen.

Und von Seckingen am Rheine, aus dem Kloster, an dem Stabe,
Zog der Greis durch Waldgesteine bis gen Glaris zu dem Grabe.

Und er trat beim Abendschauer in die düstre Waldkapelle,
Er durchbricht des Grabes Mauer, stellt sich auf die kalte Schwelle.

»Auf, erwach in Gottes Namen,« ruft er, »Urse, wehr den Tücken!«
Sieh! und aus der Grube kamen weiße Händ' und Haupt und Rücken.

Und als ob des Herrn Posaunen zum Gerichte schon gerufen,
Steigt der Leichnam sonder Staunen starr empor des Grabes Stufen.

Und es faßt die kalten Hände Fridolin ihm sonder Schrecken,
Steigt mit ihm die Felsenwände auf bis an der Gletscher Decken.

Durch das Hochgebirge schreitet der Lebend'ge mit der Leiche,
Und die Nacht den Mantel spreitet um das Paar, das geistergleiche.

Wie der Morgen schon sich wittert, steigen sie vom Felsgesteine,
Und es sieht's der Senn, erzittert, daß ihm's geht durch Mark und Beine.

Aber Landolf im Gerichte sitzt zu Rangkwil sonder Zagen,
Mit dem ersten Morgenlichte hat den Stuhl er aufgeschlagen.

Schöffen zwölf, des Rechtes Hüter, sitzen um ihn her, zu sprechen:
Jetzt erhält er doch die Güter, kein Verblichner kann sich rächen!

Sieh! da pocht' es an die Pforten, wie von eines Toten Knochen.
Leis und scharf; und hohle Worte werden draußen schon gesprochen.

Durch die Türe kommt geschritten Fridolin mit seiner Leiche:
Landolf in der Richter Mitte sitzt dem Bruder gleich an Bleiche.

Weh! und aus des Toten Kehle steigen Laute, halb verloren:
»Was beraubst du meine Seele, Bruder!« weht's ihm durch die Ohren.

»Ja ich zeuge diesem Frommen, daß mein Erb' ihm zugefallen:
Gib zurück was du genommen, laß getrost ins Grab mich wallen!«

Landolf sank ins Knie mit Beben: »Nimm dein Gut, Herr, nimm das meine,
Meinen Atem nimm, mein Leben und behalte neu das deine!«

Doch es wandte sich die Leiche mit dem Führer in die Berge,
Sehnte sich, der müde, bleiche nach der stillen Ruh' der Särge.

Wie des Abendlichtes Streifen, wie vom Mond zwei blasse Strahlen,
Sah man längs dem Berg sie schweifen, bis sie in den Wald sich stahlen.

Und vom schrecklichen Gerichte eilet Landolf hin zum Rheine,
Mit erbleichtem Angesichte ordnet er zu Haus das Seine.

Setzt das Kloster ein zum Erben seiner reichen Doppelhabe,
Neigt das Haupt zum sanften Sterben, ruht beim Bruder in dem Grabe.

            G. Schwab

 


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