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Lauter Gesang erschallt. Es ist Arbella, die ein Kirchenlied singt: drei schottische Gardisten führen sie durch den Korridor. Ihr offenes Goldhaar fließt ihr zerzaust über Schultern und Brust. In Fetzen ist ihr Kleid. Ihre Lippen leuchten kornblumenblau. Aus ihren stierenden Augen glüht der Wahnsinn.

Hal fühlt sein Herz versteinern. Er flüstert Lady Essex zu:

»Geh! Packe dich! – sonst erwürge ich dich!«

Verschreckt flüchtet Frances. Doch am Ende des Korridors bleibt sie stehn, um sich an neuem Leid zu ersättigen: sie schaut und lauscht.

Hal geht auf Arbella zu. Er winkt den Schotten, sie ihm zu überlassen. Er faßt sie am Arm. Die Soldaten ziehn sich zurück.

»Was ist mit dir, Harpy?«

»Ich bin die Schwester der Sonne. Ich wohne im Reich des Lichts. Froh wie eine Lerche trage ich ein Sternenkleid und gehe den Sternenweg ... Das Käuzchen ruft: Komm mit! komm mit!« »Kennst du mich nicht, Harpy?«

»Geh, ich will dich nicht. Du sollst das Blut der Blume nicht vergießen! ... Weh mir! ich wurde erschlichen und beraubt! Eine Sündentat, die bis zum Himmel reicht!«

»Schau mich doch an, Harpy! Ich bin ja Hal!«

»Bist du mein Hal? Hast du duftende Handschuhe an? Ich blase alles Unglück von dir ab! ... Auch du hast dein Krönlein verloren? ... Kein böser Wind wehe dich an, Hal! ... Aber man sollte Lachtauben und Pfauentauben nicht in einen Taubenschlag tun ... Nun ist es geschehn, und ich bin ein Greuel, ein Scherbenhaufen ... Das tat mir die Schädelsammlerin an

mit ihren sieben Ringen
mit ihren wahren Dingen.

Ich bin besudelt, Hal.«

»Ich liebe dich, Harpy! Wenn wir uns lieben, kann noch alles wieder gut werden!«

»Was sind das für Scherzreden, Hal! Man hat mich mit den Locken an den Pfahl gebunden ... unlöslich wie Christus die Hölle gebunden hat ... Ich werde dich nie mehr küssen, nie mehr, nie mehr, nie mehr! Gespenster sind kalt! ... Ein Totenkleid über mich! Singe mir ein Grablied! ... Und nun lebe wohl und gute Nacht! Du warst mein Himmel, Hal! ... Nein, laß mich, gute Nacht!«

Sie entgleitet seinen Händen, läuft in ihr Zimmer und verriegelt die Tür.

Er setzt sich auf die Bank der Tür gegenüber. Er zieht das Fläschchen aus der Tasche und trinkt es leer.


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