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Sie schritten jetzt durch das Gassengewirr der Vorstadt und bogen nach Süden ein, der Themse zu. Die düstere Musik, die sie auf der Wiese schon vernommen hatten, klang näher und näher. Und plötzlich bot sich ihnen ein seltsam schauerlicher Anblick. Von grellem Mondlicht und qualmenden Fackeln beleuchtet, wogte vor ihren Augen ein Totentanz. Aus einer Seitengasse einbiegend, kam die reigende Schar ihnen entgegen, und neugierig folgte ihr ein großer Volkshaufe. Die riesengroßen Schatten der Tanzenden hüpften an den Häusern bis zu den Giebeln empor. Nur mit einem Schurz bekleidet, stellten die Totentänzer Skelette dar: auf ihre geschwärzte Körperhaut waren Knochen und Rippen mit blendend weißer Farbe gemalt, auf die geschwärzte Gesichtshaut die weißen Gesichtsknochen eines bleckenden Totenkopfes. Wild, grausig und grotesk war ihre Springprozession, unsäglich wehmütig ihr von Trommeln und Pfeifen begleiteter Grabgesang. Tanzend spielten sie Fangball mit einem lochäugigen Schädel. Ein weiblicher Clown aber, in langem Schlepprock und mit übertrieben hochgebauschter Lockenfrisur, hüpfte zwischen den Gerippen scherzend umher, eine »Hofnärrin des Todes«, Symbol der Verführung zum Leben, der frechen unbekümmerten Lebensfreude, die trotz Moder und Verwesung zur Liebe verlockt, zum Genuß, zum erlösenden Lachen. Die Gerippe, denen sie um den Hals fiel, stießen sie von sich und sangen, von ihren Possen nicht verwirrt, eine wunderliche Litanei:

Wir sind die singenden Totenköpfe,
Die rasselnden Skelette!
Wir krochen bei Mondschein, wir armen Geschöpfe,
Hervor aus der Schädelstätte!
Auch du bist zum Tanz geladen!
Ob Bettler, ob Euer Gnaden,
Ob Weiser, ob dümmster der Tröpfe,
Ob Dirne im Lotterbette,
Ob Fürstin mit Edelsteinkette –
Kommt! Tanzt! Zelebriert die Mette!
Wir sind die singenden Totenköpfe,
Die rasselnden Skelette!

Traumhaft zog der Taumelreigen an Overbury's Augen vorüber. Was war es nur, was ihn an der »Hofnärrin des Todes« so fesselte? Kein Zweifel, daß ein junger Mann die groteske Frauenrolle spielte. Und mit welcher Wildheit er den rasenden Schabernack trieb! ...

»Eine wunderschöne Bestie!« murmelte Overbury.

»Ich möchte nicht sterben ...« murmelte der Prinz. Vor Ekel sich schüttelnd wandte er den Kopf ab.

Doch Overbury konnte den Blick von der schönen Bestie nicht lassen. Ein Schauer überlief ihn. Jetzt endlich wußte er es: bekannt war ihm dies Gesicht! Das war ja Robert Car, den er als Knabe einst angeschwärmt und angedichtet hatte, der aus dem Schlosse Dunbar verjagte Page! ... Welch ein Wiedersehn!

Und schon war es zu spät, ihn anzureden oder ihn beim Namen zu rufen. Unmöglich auch, ihm nachzueilen. Den Prinzen durfte er dort nicht stehen lassen, – zu viele Straßenräuber gab es an der Peripherie der Stadt. Leichtsinnig genug war es, den Nachtweg zu zweit zu gehn, ohne Begleitung eines fackeltragenden Dieners.

Nicht mehr fern war Northampton's Palast und bald erreicht. Am Tor verabschiedete sich Overbury schnell. Wenigstens den Versuch wollte er machen, Robert Car doch noch einzuholen.


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