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Haymarket, heutzutage eine Straße im Mittelpunkt der Stadt, war im 17. Jahrhundert ein Marktplatz an der Peripherie, offen nach zwei Seiten, nur im Osten von einer Reihe niedriger, ziegelroter Giebelhäuser und im Süden von einer ländlichen Birkenallee begrenzt, der jetzigen Pall Mall Street, die aus der östlichen Vorstadt bis an den Gartenzaun des St. James Palastes und an diesem vorbei südwestwärts zum Dorfe Chelsea führte.

Auf dem damaligen Heumarkt war Raum genug für einen Scheiterhaufen und für die zahllosen Londoner, die – voll lüsternen Gruselns – sich's nicht nehmen ließen, dem Ketzergericht zuzuschauen. Raum genug auch für Serjeant Crew und seine Constables und für ein Regiment der schottischen Garde. Denn James war in Sorge, sein aufsässiger Sohn könnte einen Handstreich unternehmen und den Versuch machen, den Freidenker seinen Henkersknechten zu entreißen.

Neben dem Brandgerüst, das vorgeschichtlichen Pfahlbauten ähnlich auf eingerammten hohen Pfosten errichtet war, sah man zwei Tribünen. Auf der einen hatten die Richter Platz genommen: Chief Justice Coke, Francis Bacon, Sir Julius Caesar, Lord Ellesmere, Lord Roxburgh und Lord Kellie, die in überhasteter Gerichtssitzung sich dazu verstanden hatten, dem Befehl des Königs eine juristische Begründung und Formulierung zu geben.

Ihnen gegenüber auf der andern Tribüne saßen in schwarzen Trauergewändern Prinz Hal, Lord Moray und Overbury. Reitend hatten Hal und seine zwei Freunde den Heumarkt erreicht. Als die Volksmenge den Prinzen erkannte, brach sie in Heilrufe aus. Er war der Abgott des Volkes, man nannte ihn »Unsere aufgehende Sonne« ... Doch Hal hielt seinen Kopf tief auf die Brust gesenkt und schien die Zurufe nicht zu hören. Um so aufmerksamer beobachteten seine Gegner die Zeichen seiner den König verdunkelnden Volksgunst ... Totfinster stieg Hal die Stufen zur Tribüne empor, ausdruckslos saß er oben, auf das Mordgerüst starrend, wo mehrere Henkersknechte eben damit beschäftigt waren, den mit gelbem Hemd bedeckten, mit einer hohen papiernen Mütze gekrönten Bartholomew Legat an den Brandpfahl zu binden, während ein junger Vikar, eintönige Litaneien murmelnd, mit einem Kruzifix umherfuchtelte ...

Da plötzlich bahnen sich zwei schwarzgekleidete Reiter einen Weg durch die Menge, schwingen sich vor des Prinzen Tribüne aus dem Sattel und setzen sich zu ihm. Es sind Pembroke und Southampton. Durch Lady Raleigh ist bekanntgeworden, warum und wie teuflisch der König seinen Sohn gestraft hat. Von allen, die sich darüber empörten, hatten allein Pembroke und Southampton Kühnheit, Rückgrat und Unabhängigkeit genug, ihre Sympathie für den Prinzen öffentlich zu bekunden. Sie haben sich herbegeben, ihm in der schweren Stunde zur Seite zu sein. Sie haben aber auch eine Meldung ihm heimlich zu erstatten.

Während Pembroke sich begrüßt, flüstert er: »Es ist mir nicht geglückt, mein gnädiger Lord.«

Long David, der die Worte gehört hat, sagt darauf zu Pembroke, gleichfalls im Flüsterton:

»Auch Sir Thomas und mir ist es nicht geglückt. Wir ließen nichts unversucht, aber es war keine Möglichkeit, mit dem Henker oder einem seiner Knechte zu verhandeln. Es scheint, daß Crew die Leute vor uns gewarnt hat.«

»Vor mir hat er nicht gewarnt«, versetzt Pembroke. »Es gelang mir, mit dem Henker zu sprechen. Ein Vermögen stellte ich ihm in Aussicht, falls er Legat tötet, bevor das Feuer aufflammt. Die Augäpfel quollen dem geldgierigen Kerl aus den Höhlen, so gern hätte er sich bestechen lassen. Doch er wagte nicht. Gerade darauf lege Seine Majestät besonderen Wert, daß der Ketzer lebendig verbrannt werde. Gerade darauf richte Crew sein Augenmerk ...«

Southampton fügt hinzu, dem Prinzen ins Ohr:

»Ich hatte ein Gespräch mit dem Colonel der Garde. Er hat die höchste Verehrung für Sie, mein gnädiger Lord. Doch unsere Wünsche zu erfüllen, ist er nicht imstande. Seine Schotten, meist Presbyterianer, würden den Gehorsam verweigern ...«

»Ich danke Euch, liebe Freunde! Ihr habt getan, was Ihr konntet. Mehr tun kann kein Mensch und nicht einmal Gott ... Ans Kreuz geschlagen wird, wer Golgatha mit jeder Faser seiner Seele erlebt. Und heute werde ich – ich selbst! – am Brandpfahl brennen, wenn meine Augen den Feuertod schauen ... Wer das nicht versteht, weiß nicht, was Mit-Leiden ist ... Horch! die Ratten der Hölle pfeifen! ...«

Eine grausige Musik erschallt. Die tiefste, sammetschwarze Baßnote der Posaune verschmilzt mit dem höchsten, schrillsten Flötenton zu einem infernalischen Wehgeheul. Wahrlich, der Herr der Ratten und der Mäuse spielt zum Tanz auf. Und wenn er verstummt, lösen ihn Trommelwirbel ab.

Der Colonel verbeugt sich vor Hal, senkt zum Gruß den blanken Degen vor ihm und ersucht ihn im Namen des Königs, Feuer an die Scheiter zu legen.

Wie ein Träumender steigt Hal die Tribünentreppe hinab und erklimmt eine an das Brandgerüst gelehnte Leiter. Lord Moray ist ihm auf das Brandgerüst gefolgt, unbekümmert um den Widerspruch des Colonel. Die Hand ausstreckend, will Hal die vom Henker hingereichte Fackel ergreifen. Im selben Augenblick stürzt Lord Moray, die Henkersknechte zur Seite schleudernd, auf den Brandpfahl zu und stößt Legat einen Dolch ins Herz. Das gelbe, mit hüpfenden Teufeln bemalte Hemd wird über und über rot.

Tausende von Menschenkehlen brüllen auf. Es ist wie ein einziger Schrei. Wut und Freude sind in dem Schrei vereint, zu einem Ton verschmolzen, – wüst gellend wie vorhin die Tanzmusik des Herrn der Ratten und der Mäuse.

Und ein toller Tanz beginnt. Die Behörden gestikulieren wie Frösche, die man geköpft hat. Sir Julius Caesar fällt vor Aufregung in Ohnmacht. Serjeant Crew versagen die Stimmbänder, so sehr hat er sich überschrien.

Die leuchtenden blauen Augen des sterbenden Astronomen danken dem Prinzen, segnen ihn und verglasen mit glückseligem Ausdruck.

Bewegt umarmt Hal seinen Freund David, drückt ihn ans Herz, küßt ihn auf die Wange. Doch er hat die Macht nicht, zu hindern, daß die schottische Garde David in Haft nimmt und abführt – dem Tower zu ...

Düster und doch zufrieden lächelnd führt jetzt Hal den Befehl seines Vaters aus: er entzündet die Feuersäule, die den Toten nicht töten und ihm Feuerschmerzen nicht bereiten kann.


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