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Trotz des Verbotes der Königin, die Probe zu stören, geschah es nun dennoch. Eine hohe Frauengestalt mit langer Schleppe – aus der Ferne gesehen einem Känguruh ähnlich – fegte über die Rasenfläche daher und die zwei Straußenfedern ihres Hutes pendelten wie zwei lange Känguruhohren. Es war Lady Suffolk; so zornbeschwingt hastete sie, daß das Hottentottenkind nicht Schritt halten konnte und voll Wichtigtuerei einen Brief tragend, als wäre es ein Obsttablett, hinterdrein stolzierte. Lady Suffolk entriß das Antwortschreiben Lady Penelope's dem Mohrenknaben, färbte flüchtig küssend die ihr huldvoll hingereichten königlichen Finger mit geschmolzener Lippenschminke und verbeugte sich tief, steif, übertrieben zeremoniös vor ihrer Feindin. Schutz suchend stand diese neben der Königin – wie ein Baptisterium im Schatten einer Kathedrale. Das Ansinnen, den Essexring unverzüglich herauszugeben, lehnte Lady Penelope mit einem Hinweis auf ihren Brief ab: darin habe sie ja die Gründe genannt, die es ihr zur Zeit unmöglich machten ... Doch wenn sie sich auch bemühte, der Gegnerin hoheitsvoll zu begegnen, – ihre Entschuldigung klang matt, fast kleinlaut, schüchtern.

Beide Frauen hatten einst Lady Rich geheißen, beide waren mit demselben Sir Everard Rich, einem berüchtigten Hasardspieler und Tunichtgut, verheiratet gewesen. Vor fast zwei Dezennien hatte Lady Suffolk sich von Sir Everard – nach gütlicher Übereinkunft – scheiden lassen, um eine zweite Ehe mit dem Earl of Suffolk einzugehen. Fünfzehn Jahre später war dem geschiedenen Sir Everard eine große Erbschaft zugefallen und solange die nicht verjubelt war, konnte er für einen annehmbaren Freiersmann gelten, wenn auch kein Härchen mehr auf dem gelbroten Kugelspiegel seiner Glatze sproßte. Mit einer jünglinghaften Perücke geziert, hielt er um die Hand der jungen Lady Penelope an, die aus ihrer Abneigung kein Hehl machte. Das war noch zu Elisabeths Zeiten gewesen, als nach Essex' Hinrichtung die Familie in Not geraten war. Um ihrem Schwager, dem unermeßlich reichen Earl of Northumberland, nicht zur Last zu fallen, in einem Anfall von Mutlosigkeit und Selbstverkleinerung, gab Lady Penelope schließlich dem ältlichen Bewerber ihr Jawort. Kaum war sie seine Frau geworden, begann er wieder in gewohnter Weise zu vergeuden. Im Laufe eines Jahres hatte er nahezu alles vertrunken und verspielt; – da aber bestieg James den Thron und erstattete der Familie Essex – außer dem berühmten Ring – auch die von Elisabeth konfiszierten Güter. Jetzt war Penelope reich genug, sich vom kostspieligen Lebensgefährten loszukaufen. Auf eine Scheidung ging er zwar nicht ein. Als sie aber mit ihm nach Venedig, dem Dorado für Glücksritter seines Schlages, gereist war und er sich bald von unerbittlichen Gläubigern bedrängt und verfolgt sah, schloß sie mit ihm einen Pakt: sie nahm es auf sich, ihn los und ledig zu zahlen, ihn vor dem Schuldturm zu bewahren; dafür verpflichtete er sich, ihr einen Totenschein – über sein Hinscheiden und sein Begräbnis auf einer Laguneninsel – zu verschaffen, dann nach Rußland zu ziehen und hinfort am Zarenhof in Moskau zu leben, wo englischer und schottischer Adel gern gelitten war und leicht zu hohen Ehren kommen konnte.

Die Verpflichtungen des Vertrages wurden genau eingehalten. Lady Penelope erhielt den Totenschein. Sir Everard Rich reiste nach Rußland und ließ nie wieder von sich hören. Erst einige Wochen nach seiner Abreise entdeckte sie, daß er den Essexring mit nach Moskau genommen hatte.

Machte zwar diese Entdeckung sie seelisch krank, so doch nur für eine Weile. Nach London zurückgekehrt zeigte sie ihren Freunden den Totenschein – mit einer Handbewegung wie etwa eine Eingekerkerte den Begnadigungsschein vorweist. Sie wurde bemitleidet und beglückwünscht. Schreck und Angst wichen dem Jubel, den üblen Patron für immer los zu sein.

Den Ring vergaß sie, weil sie ihn vergessen wollte. Jeden Gedanken an ihn scheuchte sie von der Schwelle fort.

Ein Jahr später wurde sie die Frau des jungen, liebenswürdigen Earl of Devonshire. Kein Mensch in England wußte von ihrer Bigamie. Weder vor ihrer Schwester Dorothy noch vor dem eigenen vergötterten Gatten hatte sie ein Geständnis abzulegen den Mut gehabt. Nicht einmal vor sich selbst; – redete sie sich doch ein, Rich müsse tot sein, da er sonst längst Bettelbriefe aus Rußland geschickt hätte ... Ihr Gewissen freilich ließ sich nicht allstündlich betrügen, – und das machte sie schüchtern, flackerhaft, scheu.

Vier Babys hatte sie vom Earl, wolkenlos war der Himmel ihrer Ehe bisher gewesen – bis am Morgen dieses Tages der Hottentottenknabe ihr Lady Suffolk's Brief gebracht hatte, mit beiden schwarzbraunen Händen ihn haltend, als trüge er ein Obsttablett.


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