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65

Mondlicht umschleiert den St. James Palast und glitzert auf einer Hellebarde vor dem Portal. Es ist Mitternacht.

Die Schildwache salutiert. Wagenräder knirschen auf dem Kiesweg. Am Portal fährt eine Kalesche vor. Hal steigt aus und verabschiedet sich vom Duke of Holst. Der Herzog trinkt aus einer Madeiraflasche und grölt einen deutschen Gassenhauer. Weinselig umarmt und küßt er Hal.

»Ich vertrage den Geruch von Wein nicht mehr! Befreie mich von der Flasche, Hal! Ich vermache sie dir! Nimm sie mit ins Bett: sie ist eine Verführerin.«

Das lallt er in schlechtem Französisch und legt die Flasche Hal in die Arme. Die zweite Strophe des Gassenhauers grölend, fährt er davon.

Da gewahrt Hal, daß zwei Menschen auf ihn warten, die in diesem Augenblick hier anzutreffen, ihm ebenso unerklärlich wie peinlich ist. Mit den Pagen am Portal kommt ihm Overbury entgegen, bleich und vergrämt. Im schwarzblauen Mondschatten eines Oleanderbaumes aber, auf einer Gartenbank – nicht weit vom Portal entfernt – sitzt Lady Essex und als Trabanten hat sie den Hottentottenknaben ihrer Mutter neben sich.

Zutiefst erschüttert ist Overbury beim Anblick des Prinzen. Er begreift, daß der arme Junge, entwurzelt und des Gleichgewichtes beraubt, sich kopfüber in Exzesse gestürzt hat. Es entgeht ihm nicht, daß Lady Essex in der Nähe lauert wie ein junges Raubtier. Oh! wenn es doch gelänge, Hal in den Palast hereinzuziehen, bevor er sie erblickt ...

Doch Hal hat sie erblickt und will sich vom Freund nicht gängeln lassen.

»Was Teufels suchst du hier zur Geisterstunde, Thomas?«

»Kommen Sie herein, mein gnädiger Lord. Ich habe Ihnen Wichtiges zu sagen.«

»Warum nicht in freier Luft? Warum dort? Ich habe Spelunken satt. Auch Paläste sind Spelunken ... Glaube nicht, daß ich blind voll bin, wackerer Thomas. Aber ich trank im Schwan, in der Krone, im Bären ... Kurios, – Wirtshausnamen und Namen von Gestirnen, alles ein und dasselbe ... Hoch, niedrig, edel, gemein – Benamsung gleicht es aus ... Ist das nicht ein Symbol?«

»Ich flehe Sie an, mein Lord, trinken Sie nicht mehr! Werfen Sie die Flasche weg!«

»Wozu, guter Thomas? Es ist doch alles ein und dasselbe, ob man eine liederliche Taverne ist oder ein Himmelsgestirn ... Besser aus der großen Flasche trinken als aus der kleinen ... Das verstehst du nicht. Ein Glück, daß du's nicht verstehst ...«

»Welche kleine meinen Sie?«

»Nichts ... Eine kleine Liederliche, die ich in einem offenbaren Hurenhause fand ... Sie ist grün wie ein verlorenes Mädchen gekleidet. Ich sage dir – eine Philosophin. Eine Trösterin ...«

»Meine Nachricht wird eine bessere Trösterin sein, mein gnädiger Lord. Lassen Sie uns doch hineingehn!«

»Nein, Thomas ... Schau, dort auf der Bank sitzt mein Verhängnis ... Ich will ritterlich gegen das Verhängnis sein: es soll sich nicht umsonst herbemüht haben ... Aber die Pagen brauchen nicht die Ohren zu spitzen, – insofern hast du recht.«

Hal wendet sich der Gruppe der Pagen zu und winkt ihnen, sich zurückzuziehn. Die Pagen begeben sich ins Schloß und schließen das Tor. Der Hellebardier entfernt sich patrouillierend vom Portal.

»Wärst du heute früh bei mir gewesen, Thomas, – ich hätte auf Satans Gesundheit nicht getrunken!«

»Ich bin schuldlos an meiner Schuld, mein gnädiger Lord ... Doch das ist eine lange Geschichte – zu lang für diese Stunde. Kurz und gut, mir begegnete in Drury Lane vorhin Lord Pembroke, und von ihm erfuhr ich, daß ein großes Glück Ihrer harrt, mein lieber Lord.«

»Es kann unmöglich meines sein, Thomas. Denn mein Glück sitzt in dieser Flasche gefangen, ein trauriges Teufelchen!«

»Sie werden die Flasche von sich werfen, mein Lord, wenn ich Ihnen die Nachricht sage: Ihre Frau Mutter hat von Seiner Majestät dem König erwirkt, daß Sie Lady Arbella heiraten.«

Im Nu ist Hal nüchtern geworden. Er schleudert die Flasche gegen einen Stein, so daß sie in Scherben bricht.

»Ist das wahr, Thomas? ... Oh! wenn das wahr wäre! – es könnte Skorpionstiche heilen! ... Aber ist es denn wahr?«

»Würde ich Scherz damit treiben, mein Lord?«

»Nein, du lügst nicht! ... Es ist die Wiedergeburt, die Genesung! ... Nun kann alles wieder gut werden, mein lieber Thomas! ... Ach, du weißt ja nicht! ... Du weißt nicht, was ich seit voriger Nacht durchlitten! ... Doch dies ist das herrlichste Pflaster! Kein alter Schäfer hat ein besseres! und auch keine bessere Wetterregel als diese:

Ob's regnet, ob's schneit am Sankt Barnabas –
Die Sonne kommt doch, und es wächst das Gras!

Und mir wachsen Flügel wie dem Sonnenvogel! ... Heidi! Freust du dich auf den Hochzeitsschmaus, Thomas? ... Meinen hochgeehrten Eltern werde ich doch gehorsamen – nicht wahr? – es ist Sohnespflicht ... Wenn ich es nur glauben könnte ... Bin ich weinkrank, daß mir im Rausch das träumt? ... Bist du ein Traum, Thomas?«

»Ich gebe Ihnen meine Hand – meine Schwurhand – mein Lord!«

»Auch das könnte des Traumes Gimpelei sein ... Da schau, die Klosterkatze kommt her. Ich muß sie fragen, sie muß es mir bestätigen.«

»Bitte fragen Sie sie nicht! Schicken Sie sie weg! ...«

»Ich weiß, was du sagen willst: es ist Hexenfleisch ... Meine Lehrmeisterin war sie im Kinderröckchen ... Die nackte Wahrheit hat sie mit mir gespielt ... Doch das ist lange her, und gegen ihren Malocchio trage ich ein Amulett.«

Inzwischen hat Lady Essex die vom Oleanderbaum überschattete Bank verlassen und ist herangekommen. Ehrerbietig, wie es die Hofsitte vorschreibt, wird sie vom Prinzen und seinem Freund begrüßt.

»Bestätigen Sie es mir, Frances. Ich höre von Sir Thomas, daß Seine Majestät mich mit Lady Arbella verheiraten will. Ich vermag es kaum zu fassen ...«

»Es ist die Wahrheit, mein Lord, und ich beglückwünsche Sie. Schon nächsten Sonntag wird die Doppelhochzeit gefeiert ... Aber leider ist Ihrer Braut ein Unfall zugestoßen.«

»Um Himmels willen! Was? ... Ist sie erkrankt? Sie ist doch nicht ...?«

»Nein, nein. Es ist nicht lebensgefährlich ... Sie müssen schnell zu ihr nach Whitehall!«

»So sagen Sie es doch! Was verheimlichen Sie mir? Was ist ihr geschehn?«

»Vor Sir Thomas kann ich es nicht sagen. Kommen Sie mit mir, – ich bringe Sie zu ihr.«

»Mein gnädiger Lord, bei allem was heilig ist, beschwöre ich Sie: gehn Sie nicht mit Lady Essex!«

»Ich muß! Ich muß! ...«

»Dann muß ich Sie begleiten, mein Lord!«

»Hal! Wenn du Sir Thomas erlaubst, mitzugehn, so erfährst du das Schreckensgeheimnis nicht!«

»Schreckensgeheimnis?! ... Habe Erbarmen, Frances, foltere mich nicht länger! ... Sei gut und sage es mir! ich bitte dich!«

»Wen bitten Sie, mein Lord? Sie wollen noch ritterlich gegen Ihr Verhängnis sein? – anstatt es an der Gurgel zu packen! Ich täte es an Ihrer Stelle! Und ich würde dies Hexenfleisch zum Park hinauspeitschen lassen!«

»Du wirfst Hanf ins Feuer, mein weiser Freund und Präzeptor! Nun gehe ich erst recht mit der Lady! Und du bleibst hier! Ich befehle dir, hier zu bleiben!«


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