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Seit einem halben Jahr war der Prinz des öfteren bei Raleigh gewesen. Die anfängliche Scheu hatte sich bald verloren und war einer unbefangenen herzlichen Zutraulichkeit, ja Freundschaft gewichen. Wie zwei Himmelskörper zwang Gravitation sie zueinander, die Anziehungskraft war von beiden Seiten gleich groß. Der schwärmerischen Bewunderung des Prinzen entsprach die geradezu schwärmerische Begeisterung des alten Seehelden für den begabten Knaben. Alle männlichen Eigenschaften, die Raleigh an König James tadelnd vermißte, glaubte er im Thronfolger verkörpert zu sehn. Ihm bedeutete Hal die glanzvolle Zukunft seines Vaterlandes; und mit gleicher Inbrunst, wie er seine Heimat liebte und sich selbst – (denn selbstlos und fehlerlos war der geniale Phantast keineswegs) – liebte er den, der geschaffen schien, Nacht in Tag verwandeln zu können ...; auch Kerkernacht in leuchtenden Tag.

Zwischen einem Wust von Papieren, seiner Frau diktierend, oder selber schreibend, hatte bei früheren Besuchen des Prinzen Sir Walter Raleigh stets an einem Tisch gesessen, umdrängt von Globussen, Landkarten, bergehoch geschichteten Folianten, aufgeschlagenen lateinischen, griechischen und hebräischen Büchern. Zwischen den Manuskripten waren auch welche mit Versen, Madrigale, Sonette, Erholungsspiele seiner Phantasie. Seit sieben Jahren zum Tode verurteilt, jeden Tag gewärtig, vom Henker zum Hochgericht geführt zu werden, arbeitete er – zwischen Lippe und Kelchesrand – an einer gigantischen Geschichte der Welt. Den beinahe schon abgeschlossenen ersten Band hatte er dem Prinzen gewidmet, wie auch ein kleineres Werk über »Die Kunst des Seekrieges«. Er, der noch vor sieben Jahren bei seiner Einlieferung in den Tower einen Selbstmordversuch gemacht hatte, war jetzt – dank der geistigen Beschäftigung – heiteren Gemütes und ergeben in sein grausames Los. Nur eins bekümmerte ihn: daß er, infolge der Beschlagnahme seiner Güter, sich nicht so elegant und peinlich adrett kleiden konnte, wie er es von sich verlangte. Als noch unberühmter Jüngling an Elisabeths Hof, war er durch seine gewählte Kleidung aufgefallen. Und als einst Elisabeth, im Park sich ergehend, an eine ihr den Weg versperrende Regenpfütze gekommen war, hatte er sich seinen Samtmantel von den Schultern gerissen und ihn hingebreitet, so daß sie trockenen Fußes hinübergehn konnte. Ein romantisches Zeitalter war es: mit dem in den Schmutz getretenen Samt hatte seine glanzvolle Laufbahn begonnen ...

Nicht bei der Arbeit trafen Hal und Overbury ihn diesmal an. Am offenen Fenster ruhte er aus in einem verschlissenen Ledersessel. Ihm gegenüber, auf der Schwelle zum Nebenzimmer, stand sein einstiger Kriegsgefährte und freiwilliger Diener Keymis. Zu Füßen Raleigh's, den Kopf auf seine Knie gelehnt, saß Lady Raleigh und blickte gebannt, mit strahlenden Augen zu ihm empor, seinen Worten lauschend. Er war ihr Gott; – Opfer auf seinem Altar zu sein, war ihre Seligkeit. Sie hatte sich, als sie noch Lady Elisabeth Throgmorton hieß und für eine der anmutigsten Hofdamen der großen Königin galt, von ihm verführen lassen; und erst ein Jahrzehnt später, erst nach seinem Selbstmordversuch, hatte er sich mit ihr, der Mutter seiner Kinder, im Tower vermählt. Eine schweigsame, sich selbst auslöschende Frau war sie; und daß sich unter ihrer scheinbaren Kühle unbändige Leidenschaftlichkeit verbarg, wußten nur wenige.


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