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18

Ungefähr ein Jahr, nachdem Overbury mit Serjeant Crew in der Katakombe der Rosenkreuzer geweilt hatte, wurden von einer verschleierten Unbekannten Blumen an Oriana's Bett gebracht. Sie bat, Oriana allein sprechen zu dürfen. Als die anderen Besucherinnen sich entfernt hatten, entschleierte sie sich. Es war ein bleichsüchtiges, ärmlich gekleidetes Mädchen, einige zwanzig Jahre alt, dunkeläugig, scheu, verdrückt. Ihre an sich gut geformten Finger waren von Nadelstichen rot tätowiert wie die einer Nähterin. Leise weinend kniete sie vor Oriana's Bett nieder und gab sich zu erkennen: sie sei Alison Loring, die Tochter des reichen Kaufherrn Joe Loring, des Puritaners, in dessen Augen zu blicken, vor ihn hinzutreten, ihn um Verzeihung zu bitten, sie nicht mehr wage. Sie habe das verscherzt, als sie, des Vaters Verbot mißachtend, sich mit Oriana's Bruder Sir Steffen Leyburne heimlich traf und ihn auf seiner nächtlichen Todesfahrt begleitete. Sie sei es, die im Boot bei Sir Steffen saß, als er – ihretwegen – sich von einem Feind zum Zweikampf zwingen ließ.

Wer der »Feind« war, verschwieg Alison, obgleich sie es wußte. Sie verschwieg auch den Namen der schönen Frau, die sich ihrer nach der Unglücksnacht annahm und bei der sie ein Unterkommen fand.

Denn gleich nach Sir Steffen's Tod bewußtlos geworden, war sie erst am folgenden Morgen in einem fremden Hause erwacht. Der »Feind« stand vor ihr. Sie schrie. Das verwies er ihr. Dann beruhigte er sie mit weicher Stimme: auf ihre Unschuld habe er es nicht abgesehn. Nur müsse er sie eine Zeitlang in seiner Kammer hinter Schloß und Riegel halten.

Verschiedene Gründe zwängen ihn dazu: ihm sei sie unentbehrlich, weil er ihres Zeugnisses einst bedürfen werde, um zu beweisen, daß er kein Mörder sei, daß er vielmehr in ehrlichem Zweikampf seinen Duellgegner niedergestochen habe. Und eben darum könne er ihr die Heimkehr ins Vaterhaus nicht gestatten. Nicht nur, daß dadurch allzufrüh der Schleier von den Vorgängen der vergangenen Nacht gelüftet würde; es sei auch zu befürchten, daß ihr puritanischer Vater sie auf die Straße und in den Tod hetzen werde. Ihr Leben aber sei ein kostbares Pfand ...

Mit finsterer Stummheit beantwortete Alison alle Reden des Mörders. Schließlich verließ er sie, nachdem er ihr einiges zu essen und zu trinken hingestellt hatte. Weggehend verschloß er die Kammer.

Alison's Verzweiflung wuchs, nachdem sie allein geblieben war. Schon erwog sie, ob sie zum Fenster hinaus um Hilfe rufen oder sich hinabstürzen solle, da hörte sie, wie ins Schlüsselloch ein Schlüssel gesteckt wurde. Sie glaubte, er käme wieder. Doch in die Kammer trat eine nicht mehr junge, auffallend schöne Frau.

Und nicht minder als Alison schien die Frau erstaunt zu sein. Wenigstens tat sie so. Mißtrauisch stellte sie Fragen. Bevor es jedoch zur Aussprache kam, kehrte der Mann zurück. Die schöne Frau überhäufte ihn mit beißendem Spott. Seine Ausrede, er habe das Mädchen ohnmächtig in einer Gasse gefunden, verlachte sie. Bei alledem hatte Alison ein unbestimmbares Gefühl, als sei es der Frau mit ihrer wilden Eifersucht gar nicht ernst, als sei ihr bekannt, weshalb und wozu der Mann ein fremdes Mädchen bei sich verberge.

Die Frau führte Alison aus der hochgelegenen Kammer hinunter in ihre eigenen Gemächer und bereitete ihr ein Nachtlager. Am folgenden Morgen erzählte sie ihr: ganz London sei in Aufregung über ein Boot, das führerlos die Themse hinabtrieb; man habe im Boot eine Jünglingsleiche und einen Frauenhut gefunden; und der Hexenrichter Serjeant Crew fahnde nach der, die den Hut im Boot liegenließ ... Nun hatte Alison keine Wahl mehr, verängstigt wagte sie sich aus dem Asyl nicht mehr heraus. Sie blieb dort ein ganzes Jahr – obgleich ihr allmählich die Augen aufgingen und sie zu ihrem Entsetzen entdeckte, daß ihr Zufluchtsort von allen guten Geistern gemieden sei.

Oriana legte ihre Hand auf Alison's Haar, bog ihr den Kopf zurück, betrachtete sinnend ihr Gesicht und sagte: weil ihres Bruders letzten Tage von Alison's Augen erhellt wurden, wolle auch sie wie eine Schwester ihr gut sein und wolle versuchen, ihr aus dem Elfenhügel, in den sie sich verirrt habe, herauszuhelfen. Zwei Namen habe sie verschwiegen, – doch verheimlichen ließen sie sich nicht. Kein Mensch zweifle daran, daß Sir Steffen von Gervaise Helways erstochen wurde, der, um den Folgen seiner Untat zu entgehn, auf der Mayflower nach Virginia segelte, sein Schuldbewußtsein damit verratend. Die schöne Frau aber könne niemand anderes als Mistris Turner, die Putzmacherin sein, bei der alle Ladies der Hofgesellschaft ein- und ausgingen, zur Anprobe vorgefahren kamen und stundenlang im Labyrinth der Verkaufsstände verweilten; aber auch junge Lords kauften seidene Schleifen und Handschuhe dort, wenn sie nicht Schlimmeres dort kauften ...

Mit keiner Silbe verriet Alison, ob Oriana's Vermutungen richtig seien oder nicht. Nur daß ihr blasses Gesicht noch blasser wurde, nur daß ihre Wimpern sich glitzernd füllten.


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