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12

Kein Auge schloß Seymour in dieser Nacht. Schlaflos wälzte er sich in seinem Bett, traumlos und dennoch umgaukelt von den geschauten Bildern, umflüstert von den vernommenen Worten, die furchtbaren Erlebnisse hundertfach neu erlebend. Wie aufgescheuchte Vögel in einem Käfig, sprangen und flatterten seine Gedanken ziellos nach allen Richtungen hin. Und mochten auch Stunden vergehn, der Schrecken ebbte nicht ab, das Alpdrücken steigerte sich sogar.

Nicht daß er seinethalb Angst empfand. Ungemütlich war es zwar, daß keine Kerze und nur die erlöschende Glut des Kamins sein Zimmer erhellte und daß kein Riegel die Tür verschloß. Doch einen Mordanschlag von Seiten Murdac's oder einer seiner Knechte erwartete er nicht. Die Tochter Murdac's war es, um die er sich ängstigte. Sie hatte durch ihren Trotz eine dunkle Drohung gegen sich hervorgerufen; – wohl zuzutrauen war es dem Wahnsinnigen, daß er das Einschlafen des Gastes abwartete, um im Nachtgrauen Rache an ihr zu nehmen ...

Lange nachhallend wie ein Totenglöckchen schlug die Schloßuhr; – das aber blieb auch das einzige Geräusch, das von Zeit zu Zeit die Kirchhofstille des Schlosses durchbrach. Als schließlich den Nachtstunden die ersten Morgenstunden folgten und nichts sich regte, begann Seymour schon zu hoffen, es könnten Wein und Müdigkeit den Irren überwältigt haben.

Da – vier Uhr hatte es eben geschlagen – was war das? Was ging da vor? ... Von außen, von der Brücke her, ertönte ein Pochen; leise Schritte wurden in der Halle vernehmbar; ein Schlüssel kreischte in einem Türschloß; eine knarrende Tür wurde geöffnet ... Und Seymour entsann sich, daß bei seinem Kommen das Eingangstor so geknarrt hatte.

Mit angespannten Sinnen lauschte er. Vergeblich. Erlauschen ließ sich nicht, was die Männerstimmen in der Halle dort flüsterten. Nur kurze Zeit währte das. Gedämpfter, undeutlicher wurde der Lärm, als geisterte er zwischen Schneeflocken umher, als schliche er sich verstohlen in die Schneeluft hinaus. Dumpfes Pferdegetrappel erscholl draußen auf dem Schloßhof. Verschlossen wurde ein Tor. Eine Kavalkade ritt davon, trabte über die Brücke.

Die Stille, die darauf folgte, war nicht von langer Dauer. Wieder huschte es geisterhaft über Treppenstufen und über Fliesen. Wieder glaubte Seymour Worte und Schritte zu hören, nur daß sie noch leiser hallten als die vorhin. Und näher kam es, näher ... Ihm stockte der Atem, er setzte sich mit einem Ruck im Bette auf. Die Tür seines Zimmers wurde aufgeklinkt. Kerzenlicht schnitt einen langen gelben Streifen ins schwarze Dunkel. Eine grauhaarige Matrone stand auf der Schwelle, – sie, die mit Murdac's Tochter gerungen hatte. Zerschlissen ihr braunes Seidenkleid, abgehärmt ihr spitznäsiges Gesicht, käuzchenhaft die dunkel umrunzelten Augen, buschig die Brauen.

»Verzeihung, Sir, wenn ich Sie geweckt habe. Doch ich dachte, Sie seien mit den andern weggeritten.«

»Hat der Bailiff das Schloß verlassen?«

»Ja, auch die Knechte. Zurückgeblieben sind nur Sie, Sir, und ich und die junge Lady oben ... Aber ich will Sie nicht länger stören, Sir.«

»Bleiben Sie, Mistris! Ich sehe, Sie haben das Bedürfnis zu sprechen – ebenso wie ich. Mit dem Schlaf ist es ja doch nichts in dieser Nacht. Kommen Sie, setzen Sie sich her! ... Oder sind Sie oben unentbehrlich?«

»Nein, – ihr habe ich einen Schlaftrunk gegeben, sonst würde sie jetzt noch schluchzen, das arme Ding.«

»Ist der Bailiff oft so ... so wundersam?«

»Leider, Sir. Es kommt über ihn – meist in den Abendstunden – dann ist er umnachtet. Sonst hat er seine fünf Sinne. Ich habe es miterlebt, wie die Krankheit allmählich heranwuchs. Man muß Mitleid mit ihm haben, trotz seiner Schlechtigkeit, wenn man weiß, was ihm den Geist getrübt hat ... Vielleicht verteidige ich, was nicht zu verteidigen ist. Ich bin seine Schwester, Sir.«

»Sie, Mistris?«

»Ich heiße Mistris Jessop. Als mein Mann starb, zog ich hierher, denn damals war auch mein Bruder Witwer geworden ... Ein Sarg ist kein so düsterer Wohnort wie Cymry Castle, Sir; und doch habe ich mich hier eingesargt, – des herrlichen Kindes wegen.«

»Hat Murdac seine Tochter immer so grausam behandelt?«

»Seine Tochter?! ... Ich dachte, Sir, Sie wüßten, wer sie ist. Vor dem Abendessen sagte mir mein Bruder, der König habe Sie hergeschickt. Hat Sie denn der König nicht aufgeklärt ...?«

»Nein. Er befahl nur, ich solle beobachten, wie es hier zugeht, ob hier Ungehöriges geschieht, und ihm Bericht darüber erstatten. Sie sehn, Mistris Jessop, es ist der ausdrückliche Wunsch Seiner Majestät, daß ich die Geheimnisse von Cymry Castle aufdecke! Verschweigen Sie mir also nicht ...«

»Mein Bruder würde mich totschlagen ...«

»Sowieso wird Ihr Bruder über kurz oder lang Sie totschlagen, Mistris, – Sie und das schöne Mädchen oben! – wenn nicht beizeiten Hilfe gebracht wird. Vielleicht kann ich helfen; – doch wissen muß ich vorerst, für wen ich des Königs Beistand erwirken soll ... Wer also ist das Mädchen?«

»Lady Arbella Stuart!«


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