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4

Doch ohne Treiber ließ sich ein Wolf nicht zur Strecke bringen; und selbst eines Königs Gebot konnte Treiber nicht aus der Erde stampfen, noch dazu an einem Feiertag. Darum war der Beginn der Jagd auf den folgenden Morgen angesetzt. Heute ritt James zu seinem Vergnügen (und zu anderer Mißvergnügen) durch den weißen Zauberwald.

Als er wieder einmal den hinterdreintrabenden Groom heranwinkte, daß er ihm griechischen Wein kredenze, befanden sich in der Flasche kaum noch ein paar Tropfen. Das gab dem königlichen Humoristen Gelegenheit, seinen ungeschlachten Witz glänzen zu lassen – auf Kosten des frosterstarrten alten Dieners, den er fragte: ob er wohl hinterrücks mitgeholfen habe? Ob er das Fräulein Flasche auf den roten süßen Mund geküßt habe? ... Und dieses Thema variierte er mit unerschöpflicher Phantasie, weil sich über ein am Busen gewärmtes Fräulein manches sagen ließ.

Seit Jahren an solche Taktlosigkeiten gewöhnt, verzog der alte Diener keine Miene, versuchte nicht, sich zu rechtfertigen, und ritt davon, um aus dem nahegelegenen Jagdschlößchen Ashby eine neue Flasche zu holen.

James, Seymour und Overbury setzten den Weg ohne ihn fort. Von Zeit zu Zeit krachte der Eisbruch im Walde, meist in weiter Ferne. Das klang schön und unheimlich, berührte einen aber im Grunde nicht mehr als etwa eine gruselige Gespenstergeschichte, der man mit kitzelndem Behagen lauscht. Durch Ferne der Zeit und Ferne des Ortes wird jedes Medusenantlitz verschönt, auch das der Natur. In weite Ferne gerückt war auch das versteinernde Antlitz der Königin; – kein Wunder, daß James sich ungebunden und in gehobener Stimmung fühlte.

Da plötzlich – ein Donnerschlag, ein Gepolter, als bräche das Himmelsgewölbe ein. Sie befanden sich unter einer weitausladenden Buche. Mit einem Geriesel winziger Eiszapfen hatte es begonnen, das zu einem prasselnden, blinkenden Geflirr anschwoll, wie wenn es Diamanten regnete. Doch nur einen Bruchteil einer Sekunde währte das – da brach ein baumstarker Ast unter dem Zentnergewicht des Schnees und des Eises nieder, die drei Reiter unter sich begrabend. Mit ziemlicher Wucht traf der Ast des Königs linke Schulter und tötete sein Pferd. Overbury und Seymour kamen mit einigen Schrammen und dem Schrecken davon.

Jammervoll stöhnte und ächzte James. Ein Wust von gläsernem Geäst bedeckte ihn; und das erschlagene Pferd lag auf seinem rechten Bein.

Ihn aus dem Scherbenhaufen herauszuholen, war keine leichte Aufgabe, die noch dadurch erschwert wurde, daß er, – als Krüppel, der er war, – stets, wenn er ausreiten wollte, sich an den Sattel anschnallen ließ.

Nach langem Mühen gelang es Overbury und Seymour endlich, ihn zu befreien und ihn mitten auf der Fahrstraße auf Schnee zu betten. Jetzt schämte er sich seines weibischen Gewinsels und wollte es durch Galgenhumor wettmachen. Schwer genug kam ihn das heldenmütige Passionsgelächter an. Doch seinen Begleitern war das Lachen vergangen, sie hörten gar nicht hin, was er bitter kichernd vor sich hinmurmelte. Helfer mußten geholt werden, vor allem ein Arzt. Seymour jagte galoppierend nach Ashby.

Noch war Seymour keine dreißig Schritt entfernt, als aus dem Wald ein sonderbarer Mensch trat und die Straße dicht vor dem König überquerte. Für einen Holzbauer war sein Aufzug zu städtisch, für einen Städter zu verwildert. Man hätte ihn für einen Waldgeist oder Waldgott halten können, hätten seine blauen Augen nicht einen so knabenjungen Glanz gehabt. Sein breitkrämpiger Hut glich denen der Puritaner; ob auch seine Tracht einst puritanisch gewesen war, ließ sich nicht mehr erkennen, da sie fast nur aus Flicken bestand – aus plump zusammengenähten Fellen von Hasen, Füchsen, Maulwürfen und Eichhörnchen, die ein merkwürdiges buntfarbiges Pelzmosaik bildeten. Strohgelbes Haar, seit Jahren nicht geschnitten, fiel überlang und strähnig auf die schmalen Schultern herab.

Mit einem gütigen jenseitigen Lächeln auf dem ausgemergelten Gesicht ging er geradeaus seinen Weg, ohne sich um den ausgestreckt daliegenden König zu kümmern. Erstaunt über solche Verträumtheit – oder war es respektloser Gleichmut? – rief James ihn an:

»Heda, Bursche, kommst du nicht helfen? Bist du blind? Siehst du nicht, daß ich verunglückt bin?«

Nervös, merklich erschrocken, flüsterte Overbury:

»Lassen Sie ihn seine Straße ziehn, mein Lord! Er ist ein armer Narr, hat seine fünf Sinne nicht beisammen und kann uns ja doch nicht helfen.«

»Wenn er ein Narr ist,« entgegnete James, »so kann er uns die Zeit vertreiben! ... Heda, du Blinder, komm mal her!«

Der Waldmensch blieb stehen.

»Ich bin weniger blind als du!«

»Oho! Das lügst du, Bursche! Denn wärst du nicht stockblind, so wüßtest du, daß ich dein König bin!«

»Bist du wirklich der König? Lob und Preis sei dem Herrn Zebaoth, der dich mir in den Weg geführt hat!«

»Höre mal, Bursche, du hast doch nicht etwa den Baum angesägt, damit ich – –?«

»Das tat Jehova! Scharfe Sägen hat Jehova!«

»So? ... Und warum tat das Jehova?«

»Damit ich dich finde! Denn ich bin der Mann, der neunundneunzig Schafe in der Wüste ließ und hinging, das verirrte Schaf zu suchen!«

Lachend wandte sich James an Overbury:

»Wie findest du das, Thomas? Er nennt mich ein Schaf! Wußtest du, daß ich ein gekröntes Schaf bin? Der Mensch ist wirklich ein Witzbold, er sticht Archie aus! ... Hast du mich in Whitehall gesucht, Bursche?«

»Die Amalekiter ließen mich nicht vor.«

»Wer sind die Amalekiter?«

»Die Sünder und Sünderinnen bei Hofe. Doch der Sündigste ist der König.«

»Schau einer an! Soll man's für möglich halten! Der König – ein armer Sünder? ... Da nimm meine Geldbörse, Freund! Den Haufen Goldstücke hast du redlich verdient – denn dein Witz hilft mir meine scheußlichen Schmerzen zu vergessen! ... Was weißt du sonst noch Gutes vom König zu sagen?«

»Um Zions willen darf ich nicht schweigen! Jehova trug mir eine Botschaft auf an dich!«

»Jetzt bin ich aber neugierig, Thomas! Was mag das sein?«

»Aberwitz wird es sein, mein gnädiger Lord, – Traum und Schaum eines kranken Gemütes, – nicht wert, daß mein gnädiger Lord hinhört.«

Doch James blickte den Waldmenschen listig und amüsiert an:

»Heraus damit, Bursche! Stecke das Gold ein, das dir gehört, und sage dein Sprüchlein her!«

»So redet durch meinen Mund der Herr der Heerscharen: Weil du Knaben liebst, o König, verwerfe ich dich und dein Haus vor meinem Angesicht! An deinen Kindern wird deine Sodomiterei gestraft werden bis ins dritte und vierte Glied!«

James stieß einen erstickten Wutschrei aus. Sein eben noch lachendes Gesicht verzerrte sich, wurde zur schreckerstarrten Fratze. Der junge Puritaner schritt in den Wald hinein und entschwand bald den Blicken. Das Gold lag, als wäre es Dreck, auf dem reinen Schnee.


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