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22

Die ersten Maitage des Jahres 1610 waren sommerlich heiß. Die Kristallglocke des flirrenden Äthers wölbte sich italienisch blau über Ambergate Park, dem einige Stunden südlich von Oxford gelegenen Landsitz des Earls und der Lady Moray, welchen ihnen James am Morgen nach der Doppelhochzeit zum Geschenk gemacht hatte. Italienisch wie der Himmel war auch der an Zypressen reiche Park und die im Stile Palladios erbaute Villa – mit einer Säulenhalle und mehreren Balkonen – ein Werk des Palladio-Schülers Inigo Jones.

Des Frühlings Liebessehnsucht schwirrte in den Lüften. Falter verfolgten einander, Zikaden zirpten, Vögel schmetterten Liebeslieder, lockten, begannen Nester zu bauen. Zwischen den Blumenbeeten vor der Säulenhalle schlug zitternd, zuckend, ruckweise sich drehend, ein weißer Pfau ein Rad; doch gekränkt gab er es bald auf, weil menschliche Zuschauer, die seine Eitelkeit angespornt hätten, nirgends sich blicken ließen. Mißmutig schleifte er seinen herabgesunkenen Schweif wie eine von einem Spitzenschleier bedeckte Brautschleppe hinter sich her.

Sein Weibchen war vor kurzem eingegangen; eine neue weiße Gefährtin für ihn aufzutreiben, war Lord Moray bisher nicht gelungen. Vereinsamt, vom Frühling beunruhigt, stieß der Pfau seinen krächzenden Lockruf aus und erhielt keine Antwort.

Da plötzlich wandte er rasch den zierlichen, gekrönten Kopf und schaute mit steinernem Blick in die Ferne. Eine Antwort, ein Pfauenruf, war an sein Ohr gedrungen. Und horch! nochmals, nochmals rief es ihn.

Gravitätisch schritt er über Blumen hinweg zu einer Rasenfläche. Als breiter grüner Streifen, von Laubbäumen umsäumt, klomm der Rasen einen Hügel empor bis zum Zaun, der den Park begrenzte. Wohl eine Viertelstunde brauchte der Pfau, hinaufzugelangen. Eine Enttäuschung erwartete ihn oben: die Gefährtin blieb unsichtbar. Dafür lagen viele Körner ins Gras gestreut umher. Und da er hungrig war, ließ er sich's schmecken.

Aus der Säulenhalle trat Arbella und stieg die Freitreppe hinab in den Park. Sie trug eine Schale mit Körnern für ihren weißen Pfau. Ihn täglich um diese Stunde zu füttern, war eine der wenigen Freuden, die ihre Schwermut erhellten, seitdem der König sie aus Cymry Castle geholt und in Ambergate Park heimlich untergebracht hatte. Nicht nur weil dem Befehl des Königs zu trotzen unmöglich gewesen wäre, hatten Lord und Lady Moray Arbella bei sich aufgenommen; sie hofften auch, daß sie unter ihrem Dach besser behütet sein würde als anderswo. Außer ihnen und Overbury wußte niemand, wo sie verborgen lebte. Der den König bei Ausritten begleitende alte Groom – (der mit der Flasche griechischen Weines am Busen) – war zu Schweigsamkeit verpflichtet und hätte, selbst wenn er gewollt hätte, nicht sagen können, was James in Ambergate Park trieb. Alle vierzehn Tage nämlich erteilte James seiner Präsumtivmätresse lateinischen Unterricht.

Den Pfau im Blumengarten nicht findend, erspähte ihn Arbella als silberweißen Fleck auf der grünen Matte am Parkzaun. Sie lief den Hügel hinauf.


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