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6

Fast eine Woche war seit dem Schneebruch vergangen, Tauwetter hatte inzwischen den grausamen Frost abgelöst; da verließ Sir William Seymour am frühen Morgen Ashby und ritt in Begleitung eines Dieners in südöstlicher Richtung einem geheimnisvollen Ziele zu. Er unternahm die Reise auf Wunsch von James.

Dessen Anweisung lautete: Seymour solle ein vergessenes Lustschlößchen einstiger Könige – Cymry Castle – ausfindig machen. Dort solle er sich unter einem Vorwand einführen, solle genau beobachten, wie es im Schlosse zugehe, und ihm darüber Bericht erstatten.

Obgleich zum Schweigen verpflichtet, weihte Seymour Overbury ein in der Hoffnung, von ihm über das rätselhafte Cymry Castle etwas zu erfahren. Denn sogar James wußte nur, daß das Schloß irgendwo in einem Walde in der Gegend etwa von Hastings gelegen sei. Auskunft vermochte Overbury nicht zu geben; wohl aber dessen Diener Jasper, der Cymry Castle zu kennen behauptete und sich als Führer anbot. Auf Overbury's Vorschlag wurden die Diener getauscht: der Seymour's blieb bei Overbury, während Jasper Sir William begleitete.

Die Strecke von Ashby bis zur südlichen Meeresküste hätte bei anderer Jahreszeit ein geschwinder Reiter in vierundzwanzig Stunden zurücklegen können. Doch der teils geschmolzene, teils vereiste Schnee erschwerte das Vorankommen; und da die Wintersonne spät kam und früh ging, und daher früh in dem meist waldigen Gelände die Pfade unerspähbar wurden, waren die Reisenden gezwungen, zweimal zu übernachten. Seymour drängte auch gar nicht zur Eile, – um so weniger, als Jasper ein unterhaltsamer Weggenosse war, ein lustiger pfiffiger Gesell, zu Hause in den Wäldern, als wäre er in einem Fuchsbau zur Welt gekommen. Ihm vertraut waren die verrufenen Orte in den Forsten, allerlei wußte er von Raubüberfällen und Mordtaten zu berichten, die erst jüngst, – eben dort, wo sie ritten, – sich zugetragen hatten. Und das Schaurige würzte er mit seinem Mutterwitz.

Kaum eine Stunde vom Reiseziel entfernt, sahn sie ein weibliches Wesen vor sich her gehn. Es mußte wohl ein junges Mädchen sein, – so rüstig schritt es aus. Die Pferde waren freilich schneller. Als das Mädchen das Stampfen der Hufe vernahm, blickte es sich scheu um und beschleunigte seinen Gang.

»Das ist ja Moll Cutpurse!« rief Jasper aus. »Kennen Sie Moll, Sir?«

»Nein. Wer ist das?«

»Das lustigste und listigste Fräulein in den drei Königreichen. Eine, die die Flöhe husten hört. Welches Gewerbe sie treibt, besagt ja ihr Name zur Genüge.«

»Sie ist also eine Beutelschneiderin?«

»Richtig geraten, Sir! Oder fast richtig geraten. Spitzbüberei ist einer ihrer Berufe.«

»Hat sie andere noch, das junge Ding? Ist sie eine Hure?«

»Dazu fehlt ihr's an Zeit – sonst wäre sie vielleicht eine. Nein, nein, sie gehört einer besseren Gilde und einem höheren Stande an: sie ist Königin.«

»Und wo ist ihr königliches Gefolge? Wo sind ihre Untertanen?«

»Das sind die Schmuggler, zu denen sie eilt. Denn was hätte die Meisterdiebin sonst wohl im verschneiten Walde zu suchen – Pilze und Brombeeren doch gewiß nicht.«

Ohne sich die Erlaubnis zu erbitten, sprengte Jasper keck voraus und holte Moll ein. Verwundert sah Seymour, daß sie sich herzlich wie alte Bekannte begrüßten. Auch sah er, daß Jasper nach ihm hinzeigte, wahrscheinlich, um über ihn Auskunft zu geben.

Als Seymour herankam, warf Moll ihm einen prüfenden Blick zu. Das Examen ihrer mißtrauischen Augen schien er gut bestanden zu haben, denn plötzlich lächelte sie ihn an und machte, wenn auch etwas spöttisch, einen tiefen Knicks vor ihm.

»Denken Sie, mein Lord, ich hatte Angst vor Ihnen!«

»Sehe ich so schrecklich aus, Mistris?«

»Oh, gar nicht, mein Lord, – im Gegenteil! ... Aber erst glaubte ich, Sie wären einer von Murdac's Knechten.«

»Murdac? Ist das ein Name des Teufels?«

»Nicht des Teufels, mein Lord, – sondern eines Teufels. Der freilich ist teuflischer als alle Teufel und macht uns armen Schmugglern das Leben recht sauer. Er hat kein Verständnis für unseren menschenfreundlichen Beruf.«

»Menschenfreundlich, Mistris?«

»Allerdings, mein Lord. Ich verschaffe dem armen Volk Branntwein und Tabak zu spottbilligen Preisen; ich erspare dem Volk die Akzise, die ja doch nur in die Tasche Lord Northampton's fließen würde. Sagen Sie selbst, – verdiene ich nicht den Hosenbandorden dafür?«

»Das möchte ich sehn,« rief Jasper, »wie du den Hosenbandorden tragen willst, Moll!« Und er flüsterte ihr etwas ins Ohr, worüber sie hell auflachte.

Seymour, dem Zoten verhaßt waren, wurde ungeduldig und wünschte weiterzureiten.

»Ist es wirklich nur noch eine Stunde bis Cymry Castle, Mistris?«

»Was wollen Sie dort, mein Lord? Das ist ein verrufenes Schloß, gemieden wie ein Gespensterhaus ...«

»Seine Majestät schickt mich.«

»Lassen Sie sich warnen. Murdac ist Schloßvogt dort.«

»Dem Vetter des Königs wird er nichts antun.«

»Glauben Sie? Was aber, wenn er ein Wahnsinniger ist, wie von ihm behauptet wird? Einen meiner Kameraden ließ er Hungers sterben ... Er ist übrigens nicht der einzige dort, vor dem ich Sie warnen muß.«

»Vor wem sonst?«

»Vor einem Mädchen. Und sie ist vielleicht gefährlicher als er.«

»Warum?«

»Weil sie so unbeschreiblich schön sein soll.«

Vorlaut bemerkte Jasper:

»Es haben nicht alle Herzensköniginnen so lange Finger wie du, Moll!«

Seymour lachte belustigt. Er – sich verlieben! ... Die Wissenschaft war seine Hetäre, ein anderes Lieb hatte er nicht. Und er gedachte Alkyones – der rätselhaften Maske, die ihn am Abend der Doppelhochzeit an der Fontäne geküßt hatte, ohne ihren Namen zu nennen. War es tatsächlich Elinor, die Schwester des jungen Robert Essex gewesen? ...

»Ich lasse mir das Herz nicht aus dem Leibe ziehn wie eine Börse! So alt bin ich noch nicht und bin auch nicht mehr jung genug dazu.«

»Sie sind jünger als die Schöne, mein Lord; und die ist noch ein Kind.«

»Sie beleidigen mich, Mistris, – ich werde zweiundzwanzig ...«

»Folglich sind Sie jünger als ein sechzehnjähriges Fräulein! Das eben ist die Gefahr: schöne Kinder zieht es zu schönen Kindern ...«

»Wer ist denn die Sirene? Ist Murdac ihr Vater?«

»O nein! – ihr Peiniger, ihr Folterer! Doch wer sie ist und von wo sie stammt, weiß niemand. Eine Sirene ist sie keinesfalls – ein bedauernswertes Kind vielmehr. Zwei vergebliche Fluchtversuche hat sie gemacht.«

»Woher wissen Sie das, Mistris?«

»Weil sie bis ins nächste Dorf floh. Die Bauern hatten Mitleid mit ihr und hätten sie gern beschützt. Doch Murdac holte sie mit Gewalt zurück und ließ sämtliche Fenster des Schlosses vergittern. Seitdem ist es bekannt, wie einzig schön sie ist.«


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