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33

Schließlich gelangten sie auf die Cheapside. Die Juwelierläden, auch der des Master John Williams, waren alle schon geschlossen. Offen aber war an der Ecke der Friday Street, dicht neben dem Eingang zur Mermaid Tavern die Verkaufsbude eines Fumivendulus – so wurden damals die Tabakhändler genannt. Das von Raleigh in England eingeführte Tabakrauchen hatte sich in erstaunlich kurzer Zeit eingebürgert. König James allerdings, in allem Widerpart Sir Walter's, schleuderte Bannstrahle gegen die Sünde des Rauchens. In einem Pamphlet voll biblischer Belegstellen, dessen Verfasser der gelehrte Monarch war, wurde dem gefallenen Engel Mephistophilis die Erfindung des aus Mund und Nase qualmenden Gestankes zugeschrieben. In Whitehall wäre es eher angängig gewesen, sich mit dem Daumen im Munde zu zeigen als mit einer Pfeife zwischen den Zähnen.

Der spatzenhaft flinke Fumivendulus, ein altes verhutzeltes Männchen, begrüßte Overbury wohlwollend. Wie ein getreuer Eckhard bewachte er von seinem Laden aus seit drei Jahrzehnten die Tür der berühmten Schenke; er kannte alle, die dort ein und aus gingen – und die nicht mehr dort ein und aus gingen. Blieb, was selten vorkam, ihm ein Gesicht, ein Name, ein Schicksal fremd, so bereitete ihm das eine schlaflose Nacht.

»Bin erfreut, Sie zu sehn, Sir Thomas! Sie waren lange nicht in der Taverne.«

»Die ganze Welt ist eine Taverne, Master Knapton! – Man trinkt sein Glas bis auf die Neige, erhebt sich, macht anderen Gästen Platz und geht.«

»Und geht ...« wiederholte Hal, »und man sieht die Taverne nie wieder, – nie, nie, nie ... Ist das Glas Sekt den Abschied wert, Thomas?«

»Selbst wenn es ein Glas Ale oder Wasser war, mein Lord!«

Der Fumivendulus kniff ein Auge zu und betrachtete Hal von der Seite. Dann fragte er Overbury leise:

»Ist Ihr junger Freund auch ein Dichter?«

»Mein Freund ist Student in Oxford. Ich wollte ihm das Treiben in der Mermaid zeigen.«

»Recht so! Ja, ja, eins der sieben Weltwunder ist die Mermaid, es lohnt, sie zu sehn. Ein Witz nach dem anderen steigt in die Luft und bleibt in der Luft hängen wie ein ausgestopfter Vogel. Bis die Motten so einen Witz fressen, hat es gute Weile ... Übrigens sah ich eben auch einen blutjungen Oxfordstudenten in die Taverne gehn, einen Master Hobbes, – das ist so ein Neunmalweiser, der an Aristoteles kein gutes Haar läßt –; und mit ihm sah ich den Astronomen Legat – – –«

»Den Atheisten?«

»Seht! ... Seien Sie vorsichtig, Sir Thomas. Vorhin schlich Serjeant Ranulph Crew hier herum. Und wo der umherschleicht, riecht es brenzlich.«

»Sind heute viele dort?«

»Ein kleines Häuflein, Sir Thomas; ein Häuflein von einem Häuflein. Wenn ich an alte Zeiten denke! ... Doch freilich, wie viele tranken ihr Glas schon leer und gingen, gingen unter den grünen Rasen: Peele, Kyd, Green, Marlowe! ... Und die andern – wer will denn bei solcher Hundstagsglut in der Stadt bleiben! Sie haben es wahrlich schlecht getroffen heute, Sir Thomas. Shakespeare weilt in Stratford und hat Dr. Donne mitgenommen. Fletcher dichtet im Park einer Tante bei Bristol. An den Fingern aufzählen kann ich die paar, die sich in London das Gehirn schmelzen lassen: es sind nur Dekker, Middleton, Jonson, und von den Zwanzigjährigen: Massinger, Beaumont und Ford ...«

Der redselige Fumivendulus unterbrach sich und zeigte bestürzt auf die plötzlich von Fackeln beleuchtete Ecke der Bread Street (welche parallel zur Friday Street in die Cheapside mündet). Von dorther nahten im Geschwindmarsch Serjeant Crew und vier Constables, von denen zwei mit Hellebarden bewaffnet waren. Die beiden Hellebardiere blieben vor der Tür der Taverne, die zwei anderen Büttel und Crew eilten hinein.

»Was geht da vor?« fragte der Prinz Overbury.

»Nichts Gutes, mein Lord! Ich fürchte für Legat!«

»Du kennst ihn, Thomas?«

»Er ist der gütigste und reinste Mensch, – wenn auch ein Schüler Giordano Bruno's und ein Freidenker.«

»Bist nicht auch du ein Freidenker, Thomas? Sind wir's nicht alle? ... Ihm darf nichts geschehn, Thomas! Komm, wir müssen es hindern!«

»O mein gnädiger Lord, ich bitte Sie, lassen Sie die Hände davon! Es könnte Ihnen schaden!«

»Mir? ... In den Augen meines Vaters etwa? Oder meiner Mutter? ... In meinen eigenen Augen kann bloß Feigheit mir schaden!«

»Das Gesetz steht über Prinzen und Königen – wie die Moira über den Göttern, mein Lord!«

»Es gibt ein gefühltes Gesetz, Thomas, das über allen geschriebenen steht! Komm schnell, wir befreien ihn!«

Inzwischen hatten sich Neugierige vor der Mermaid angesammelt und schon begannen sie, ungeduldig zu werden. Ein Witzbold rief:

»Wißt ihr, warum Crew nicht wiederkehrt? Er hat mit dem Atheisten Brüderschaft getrunken und läßt sich von ihm unter den Tisch saufen!«

Der Prinz und Overbury bahnten sich einen Weg durch die Volksmenge. Als sie bis zu den Hellebardieren vorgedrungen waren, traten eben die drei anderen Polizisten – einen ärmlich gekleideten, hochgewachsenen, grauhaarigen Gefangenen in ihrer Mitte führend – aus der Tür der Taverne. Und hinter ihnen drängte sich eine Schar schreckensbleicher Männer und Jünglinge; Träger berühmter Namen unter ihnen – doch alle machtlos neben der Macht der Hellebarden. Alle zu allem fähig, nur nicht fähig, dem Freunde zu helfen. Wie durch eine gläserne Mauer getrennt, blieben sie an der Türschwelle stehn, aschfahl im Fackellicht, grelläugig vor Entsetzen. Nichts gefruchtet hatte ihre hinreißende Überredungsgabe, umsonst vergeudet waren ihre Bitten, Drohungen und Geldangebote. Ratlos verfolgten ihre traurigen Blicke den Todesgang des verlorenen Mannes.

»Lassen Sie zuerst mich versuchen, mein Lord«, flüsterte Overbury. »Noch hat niemand Sie erkannt. Und es ist besser, Sie bleiben aus dem Spiel. Nur wenn mir's mißlingt, greifen Sie ein!«

Den Degen aus der Scheide reißend, trat plötzlich Overbury Crew entgegen:

»Halt, Serjeant Crew, im Namen Seiner Majestät!«

»Sind Sie bei Verstande, Sir Thomas? Sehn Sie sich vor! Überlegen Sie sich, was Sie tun!«

»Überlegen auch Sie sich, was Sie tun, Serjeant Crew! Die Lektion, die Sie bei den Rosenkreuzern erhielten, scheinen Sie vergessen zu haben! Ich erinnere Sie daran und erinnere Sie an den Befehl Seiner Majestät!«

Jener beschämenden Ereignisse entsann sich Crew nur allzu gut. In Overbury's Hause hatte er Oriana's Freundin Janet Williams, die Goldschmiedstochter, als Hexe festnehmen lassen; von Overbury war er überredet worden, in die Katakombe der Rosenkreuzer hinabzusteigen. Und immer seither betrachtete er es als einen ihm von Overbury gespielten Streich, daß sein Versuch, des Magiers Forman habhaft zu werden, mißlang, daß er vom vergifteten Rauch betäubt, drei Tage im Regenwasser hatte schlafen müssen und so schmutzstarrend vor den König geführt worden war ... Längst stand sein Entschluß fest, den bösen Streich hundertfach zu vergelten. Freilich, wie groß seine Rachgier war, seine Furcht vor dem Freund des Thronfolgers war noch größer.

»Wären Sie es nicht, Sir Thomas, – jeden anderen hätte ich von Hellebarden durchspießen lassen wie einen Rostbraten! ... Von welchem Befehl sprechen Sie?«

»Seine Majestät will, daß die Londoner sich mit Hahnenkämpfen und Stierkämpfen zufrieden geben; – Scheiterhaufen verpesten die Luft einer Stadt – meint Seine Majestät!«

»Das war damals, Sir Thomas; lange vor dem Königsmord in Frankreich. Die jüngste Verordnung, unterschrieben von Seiner Majestät, lautet ganz anders. Ketzer kommen auf den Holzstoß!«

»Master Legat ist kein Ketzer!«

»Hüten Sie sich, Sir Thomas! Wer für einen Ketzer eintritt, macht sich verdächtig. Am Ende sind Sie selber ein Atheist?«

»So wenig wie Master Legat.«

»Ob viel, ob wenig – es genügt. Sie haben sich selbst denunziert. Es tut mir leid für Sie, Sir Thomas, aber sogar die Magna Charta könnte nicht –«

Aus der Volksmenge, wo er bis dahin unbeachtet gestanden hatte, kam jetzt der Prinz ruhigen Schrittes an Crew heran und stellte sich, henkelförmig beide Arme in die Flanken stemmend, lächelnd vor ihn hin.

»Gestehen Sie, Serjeant Crew, Sie haben vorhin in der Mermaid Kanarienwein getrunken, – mehr als Sie vertragen können. Und daher toben Sie, mehr als ich vertragen kann.«

»Wer ist der Gelbschnabel? Was nimmt der Bengel sich heraus?!« brüllte Crew, blaurot im Gesicht.

Doch im selben Augenblick hatten die an der Tavernentür stehenden Dichter den Prinzen erkannt. Von furchtbarer Beklemmung befreit, brachen sie jubelnd in die Rufe aus: »Da ist ja der Prinz!« »Heil, Prinz Hal!« »Heil! Heil! Heil! All Heil! ...« Und auch die scheu zurückweichende Volksmenge bemühte sich durch dröhnende Heilrufe wettzumachen, daß sie (infolge der Dunkelheit) den Königssohn in ihrer Mitte übersehn hatte ... Vernichtet, schlotternd, wie vom Blitz gerührt, stand Crew da. Der Prinz lächelte ihn an.

»Ich wiederhole meine Frage, Serjeant Crew, haben Sie sich in der Taverne Wein geben lassen?«

»Keinen Tropfen, mein gnädigster Lord ...«

»Es war also die weingeschwängerte Luft, die so benebelnd gewirkt hat? Ich will es zu Ihrer Entschuldigung annehmen, – denn sonst wäre Ihr Mißgriff unentschuldbar. Sie haben einen frommen Mann für einen Atheisten gehalten. Wissen Sie überhaupt, was ein Atheist ist?«

»Ein Mohammedaner«, stammelte Crew.

Die Lachsalve, mit der diese Antwort begrüßt wurde, brachte ihn gänzlich aus der Fassung. Auf seine Fußspitzen blickend, wagte er nicht mehr, aufzusehn. Er zuckte zusammen, als Hal ihn anherrschte.

»Es wird Zeit, daß Sie Ihr Unrecht gutmachen.«

Im Nu wurden dem Verhafteten die Handschellen abgenommen. Eine noch größere Demütigung blieb Crew nicht erspart: auf Wunsch des Prinzen mußte er Overbury und Legat um Verzeihung bitten. Er tat es knirschend und so leise, daß kaum ein Wort zu verstehen war. Dann trollte er mit seinen vier Constables ab und verschwand mit ihnen in der Old Jewry Street.


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