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Noch in der gleichen Woche endete eine der öden Unterrichtsstunden des Königs wie das Finale eines Kasperletheaters.

James ließ Arbella Verse Catull's übersetzen:

Da mi basia mille, deinde centum,
dein mille altera, dein secunda centum,
deinde usque altera mille, deinde centum –

und während er sie nach Subjekt und Prädikat fragte, hölzern und gelehrt wie immer, legte er hinterrücks den Arm um ihren Busen, riß sie an sich und küßte sie auf ihre herrlich geschwungenen Lippen. Wenn er sich auch sonst nichts aus Frauenschönheit machte, – hier hatte er allmählich doch Feuer gefangen: der morbide Liebreiz seiner Schülerin bezauberte ihn, wie wenn sie eine Knäbin wäre.

»Harpy!« seufzte er. (Es war nicht das erstemal, daß er ihren Namen so verballhornte; – aus Arbella hatte er Arby und daraus Harpy gemacht. Kosenamen zu finden, war seine Manie; und auf diesen war er besonders stolz.)

Aber weder tausend noch hundert Küsse ihr zu geben, gelang ihm. Mit einer Muskelkraft, die er ihrer Zierlichkeit nicht zugetraut hätte, stieß sie ihn krampfhaft lachend von sich. Er erschien ihr unendlich lächerlich und zugleich gefährlich, ein melancholischer Orang-Utan. Sie hörte vor Angst nicht auf zu lachen. Und als er den Herrn herauskehrte und brutal einen zweiten Angriff wagte, ohrfeigte sie ihn.

Ihn, den Gesalbten Jehovas! ... Das war ihm noch nie geschehn! Sogar Ninive hatte derlei denn doch nicht gewagt! Und das unterstand sich eine, die bis dahin kindlich schüchtern zu ihm aufgeblickt hatte, stets fleißig die von ihm diktierten grammatischen Regeln auswendig gelernt hatte. Ein so folgsames Kind – jählings in eine Harpyie verwandelt! ... Unfaßbar! Unerhört! ... Rachsucht umnebelte seine Sinne wie ein grauer Dunst.

Und plötzlich entsann er sich, daß er auf dem Wege zu Arbella, dicht vor Ambergate Park, dem Wagen der Lady Moray begegnet war, die zu einer in Geburtswehen liegenden Pächtersfrau fuhr. Und Lord Moray befand sich schon seit mehreren Tagen in London. Arbella war also in dieser Stunde ohne Schutz ...

Sie hatte sich, vom Stuhl aufspringend, an die Wand gestellt. Ihre Hände flatterten vor Erregung. In ihren großen grauen Augen strahlte Freude über sich selbst, daß sie den Mut gefunden hatte, ihn zu schlagen. James lächelte schlangenhaft.

»Für den Schlag müßte ich Ihnen den Kopf vor die Füße legen, Harpy. Doch damit würde ich Sie mir rauben. Ich werde Sie anders bestrafen – indem ich Ihnen mein Herz vor die Füße lege! ... Warum wollen Sie sich von mir nicht küssen lassen?«

»Weil ich keine Dirne bin!«

»Sie waren also eine, als Sie sich in Cymry Castle von Lord Seymour liebkosen ließen? Zwar heißt es: volenti non fit injuria – trotzdem verstehe ich nicht, warum Sie nicht auch ihn verprügelt haben, Notre-Dame-des-Vertues?«

»Weil er mein Vetter ist.«

»Donner und Blitz! auch ich bin Ihr Herr Vetter, edle Lady! Wenn Sie keine besseren Gründe haben ... Mich schlagen Sie und ihn küssen Sie! Warum?«

»Nun denn, damit Sie's wissen: weil ich Sie verabscheue, mein gnädiger Lord, und weil ich ihn liebe!«

»Schön. Das wollte ich hören. Sie geben mir das Mittel in die Hand, Sie gefügig zu machen. Entkleiden Sie sich, süße Lady!«

»Ich soll mich ausziehn? ...«

»Jawohl, Harpy. Bis aufs Hemd. Und auch Ihr Hemd werden Sie fallen lassen.«

»Das werde ich nie tun.«

»Doch, Ihr König befiehlt es Ihnen!«

»Dazu kann kein König mich zwingen.«

»Doch. Wenn Ihnen Lord Seymour lieb ist, werden Sie sich ausziehn, andernfalls büßt er für Sie! ...«

Statt in Tränen auszubrechen, lächelte Arbella. Wie er vorhin, lächelte sie schlangenhaft.

»Sir William's wegen will ich's tun. Doch hören Sie, mein gnädiger Lord, was eine Zigeunerin mir geweissagt hat: Todbringend werde ich dem ungeliebten Mann sein! ... Darum lassen Sie sich warnen, – kommen Sie mir nicht nah, während ich mich entkleide!«

Zuerst löste sie ihr Haar. Und dann warf sie ihre Kleider ab. Dezent, als trüge sie ein Ballkleid, stand sie im Hemd vor ihm, gleich einer heiligen Maria Aegyptiaca umhüllt von der herabrieselnden Flut der gelbroten Strähnen.

»Herunter mit dem Hemd, Arbella!«

»Nein, ich will Sie nicht töten, mein Lord!«

Grätschbeinig hinkend und vor Gier keuchend, stürzte er auf sie zu. Eine Messerklinge blitzte in ihrer Hand, sie zielte auf seine Brust. Er packte sie am Handgelenk und blieb unverletzt.

Da wurde die Tür aufgerissen. Robert Cecil und Overbury stürmten herein. Sie hatten mehrmals geklopft. Doch dem König und dem Mädchen hatten die Dämonen des Zorns die Ohren verstopft, und daher war das Pochen überhört worden.


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