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Eine ganze Weile noch dienten die blinkenden Hellebarden lediglich zur romantischen Verschönerung der Inselödnis. Die Meeresbrandung und das Geschnatter der Eidergänse übertönten das fromme Murren. Bis das Murren zum Gebrüll geworden, nicht überhört werden konnte. Da traten die Waffen in Aktion.

Als der Schiffsbau schon fast beendet war – viele Monate nach dem Walfischkampf – geschah es, daß in einer Nacht bei Beginn der Morgendämmerung Helways einen, neben einer Weymouthsfichte wachestehenden Posten ablösen mußte. An den Stamm der Fichte war mit dicken Stricken Dr. Forman gebunden. Fieberkrank und delirierend verbrachte dort Dr. Forman seine letzte Nacht, denn er war von Sir George Somers zum Tode verurteilt und sollte bei Sonnenaufgang gehenkt werden.

Zum drittenmal im Verlauf kurzer Zeit hatte der Admiral sich genötigt gesehn, ein Todesurteil zu fällen. Seine Strenge war eine Folge seiner zu oft gezeigten großen Langmut. Mehrmals hatte er sich erbitten lassen, Verdikte zurückzunehmen. Er wollte, so lange es ging, durch die Finger sehn. Als einmal ein schon auf der Leiter des Galgens Stehender von puritanischen Kameraden befreit wurde, erließ er dem Befreiten wie auch den Befreiern die Strafe. Da wurde ein Komplott entdeckt. Ein alter Schuster, ein Knopfmacher, ein Koch und etliche andere, die stets für Israel begeistert, Zion und El Eljon im Munde führten, verschworen sich, den Admiral zu ermorden. Durchs Los fiel die Ausführung der Tat einem sechzehnjährigen Knaben namens Henry Paine zu. Der Admiral ließ Henry Paine erschießen.

Bei allen war der hübsche, gutherzige Henry Paine beliebt, besonders bei den Frauen. Vor der Hinrichtung sprach er so rührend von seiner in Bristol lebenden Mutter, daß kein Auge trocken blieb. Alle, auch die Gegner der Puritaner, flehten den Admiral an, ihn zu begnadigen. Diesmal fruchteten die Bitten nichts. Sir George's Schwäche hatte sich in halsstarrige Härte verwandelt. Er ließ den Knaben töten. Es war geradezu ein Mord, ein Kindesmord.

Forman – d. h. Patrick Ruthven –, dem während des Schiffbruchs ein Fuß zerschmettert worden war, und der seit Monaten an perniziösem Fieber krank daniederlag, geriet außer sich über die Erschießung Paine's. Infolge seines Fiebers steigerte sich seine Wut zur Raserei. Ohne auf die Warnungen seines Freundes Legat zu hören, verließ er sein Krankenlager, schleppte sich – es war nach Sonnenuntergang – in die laubüberdachte Kneipe der Matrosen und Arbeiter und wiegelte sie gegen den blutrünstigen Admiral auf. Ein Waffendepot wurde gestürmt, doch nur wenige Flinten fielen den Aufständischen in die Hände.

Kaltblütig ging der Admiral dem brüllenden Haufen entgegen. Eine Kugel pfiff an seinem Ohr vorbei, durchbohrte die Krämpe seines Hutes. Im Nu umzingelten seine weit besser bewaffneten Anhänger die Meuterer. Diese warfen, den Kampf verloren gebend, ihre Flinten von sich, bloß Patrick behielt sein Gewehr im Arm. Den Aufrührern wurde eine Viertelstunde Zeit gelassen, den Schuldigen – den, der auf Sir George geschossen, – auszuliefern, andernfalls sollten sie samt und sonders am Galgen büßen.

Die schlotternde Angst der Umzingelten entlud sich gegen Patrick. Er war keiner der ihren, er sprach nicht die Sprache der Bibel. Ins Verderben hatte er sie gebracht mit seiner Aufwiegelei. Hysterisch weinend und jammernd schrien sie ihn an, ballten die Fäuste gegen ihn. Ekel und beinah Mitleid erfaßte ihn vor so abgründiger Feigheit. Die Frist lief ab. Um nicht ausgeliefert zu werden, stellte er sich freiwillig.

Während des Kriegsgerichts – (so wurde es genannt, obgleich nur den Schildkröten der Krieg erklärt war) – beantwortete Patrick keine der von Sir George an ihn gerichteten Fragen. Während der Verlesung des Urteils schlief er ein. Man weckte ihn unsanft.

»Kann mir jemand sagen, für wen ich sterbe?« fragte er bitter lächelnd.

»Für die Gerechtigkeit, Master Forman!« erwiderte mit strengem Stirnrunzeln Sir George und setzte sich feierlich den durchlöcherten Admiralshut auf, den er des Todesspruchs wegen abgenommen hatte. »Gott sei Ihrer Seele gnädig! Es tut mir leid um Sie!« fügte er hinzu.

»Und mir tut es leid um Sie, Sir George! Sie würden den Hut tief vor mir ziehen, wenn Sie wüßten ... was Sie nicht wissen!«


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