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Um einen Vollblüter, der ihm zum Kauf angeboten war, zu besichtigen, hatte sich Lord Rochester auf den Schloßhof begeben. Während eben erst das Lever des Königs begann, war das Gewieher des feurigen Pferdes gehört worden, und James hatte seinen Liebling von den Pflichten eines gentleman of the Bed-Chamber entbunden, hatte darauf bestanden, daß er sogleich gehe, das Tier in Augenschein zu nehmen.

Es blieben, auch nachdem Rochester sich entfernt hatte, genug der Dienstbeflissenen bei der Morgenaufwartung. Robert Stanshave, einer der »Diener des Bettgemaches« half dem König beim Fußwaschen; mit Frisiermantel, Kamm und Bürste bewaffnet stand Seiner Majestät Haarkünstler bereit, über die spärlichen, grau-weißen Königslocken eine jugendlich braune Perücke zu stülpen. In Gala funkelnd hatten sich Pembroke und andere große Earls eingefunden. Man sprach von der Vermählung der Prinzessin mit dem Pfalzgrafen: bereits auf den nächsten Sonntag war das Hochzeitsfest angesetzt; und wieder wurde ein Maskenspiel einstudiert, – diesmal hatte Master Francis Beaumont das Schaustück (the Masque of the Gentlemen of Grays-Inne and the Inner-Temple) verfaßt ...

Nicht ganz so vergnügt, wie sonst beim Waschen und Frisieren, lauschte James dem Geplauder. Er war verstimmt und mußte für sich behalten, was ihn verstimmte. Er mußte sich verstellen und Jovialität heucheln, obgleich er am liebsten nach Herzenslust geflucht hätte. Am frühen Morgen – noch vor dem Lever – als er eben erwachend ein Glas Zyperwein zu sich nahm, war sein Sohn Hal an sein Bett gekommen und hatte ihm eine Szene gemacht. Eine recht fatale Szene. Dinge, von denen man nicht spricht, hatte der Junge beim rechten Namen genannt ... Pfui Teufel! sollte etwa er – James Stuart – Rechenschaft ablegen über seine Bettgeheimnisse? Wahrlich, derlei Neugier und derlei Pathos waren nicht nach seinem Geschmack. Und zurückgeblieben war ein bitterer Nachgeschmack, den nicht einmal Zyperwein hinunterzuspülen vermochte ...

Seine vergällte Laune besserte sich nicht, als gemeldet wurde, Ihre Majestät bäte um ein Gespräch unter vier Augen.

In Pantoffeln, Schlafrock und Zipfelmütze empfing er die Königin. Die Nachtmütze war aus braungelbem Samt, mit venezianischen Goldfäden bestickt.

»Was ist denn nun wieder los, Ninive? Du kommst ja wie eine Gewitterwolke hereingefegt ... und eine regenreiche Wolke, wie ich sehe!«

Die Königin war in einen Sessel gesunken und schluchzte laut.

»Nu ... nu ... Weine doch nicht gleich so! ... Ist es wegen Hal? ... Das ist doch alles nicht so schlimm.«

»Er will sich das Leben nehmen, Jimmy!«

»Blödsinn! Die Heilige Schrift verbietet den Selbstmord. Und Aristoteles sagt: es sei Feigheit, wenn – – –«

»Er wird es dennoch tun, Jimmy! Ich fühle es!«

»Weshalb denn? Das sehe ich nicht ein! Er bleibt ja königlicher Prinz und Thronfolger und bleibt mein Sohn. Was will er denn mehr? Fürchtet er, daß ich ihn enterben werde? Fällt mir doch gar nicht ein!«

»Du hast ihn auf dem Gewissen, James! Ja! Du! Du hast die Schuld, wenn er stirbt!«

»Erlaube mal, Ninive, wenn wir schon von Schuld reden, so meine ich – – –«

»Du hast es ihm bestätigt! Jawohl, das hast du! ... Es ist einfach unerhört! ...«

»Erlaube mal, Ninive, – was habe ich ihm denn gesagt? Ich habe ihm klargemacht, daß ein Vater nie wissen kann, ob er Vater ist oder nicht; ich habe ihm Beispiele aus dem Altertum aufgezählt ...«

»O du Schulmeister mit der Zipfelmütze! ein gescheiteres Trostwort fandest du nicht in deiner Almosenbüchse?«

»Du bist natürlich die Gescheitere. Das kennt man. Aber wenn du so gescheit bist, Ninive, so sage mir gefälligst, wie ich ihn hätte trösten sollen?«

»Wie? Mit einem barmherzigen Betruge! Du hättest das Blaue vom Himmel herunterlügen sollen, hättest schwören, falsch schwören, zehn Meineide schwören sollen! Das wäre deine Pflicht gewesen, wenn du ihn nicht in den Tod treiben wolltest!«

»In den Tod treiben! ... Kein Mensch denkt daran! – Und er selbst auch nicht, – da gehe ich jede Wette ein!«

»Du wirst ja sehn! ... Wir zwei sind seine Mörder, Jimmy, du und ich! ... Oh! ich verdiene die Strafe Gottes! – Womit aber hat er das verdient!«

»Heule doch nicht so wie ein Hofhund, Ninive ... Viel Liebe hast du bisher nicht für ihn gehabt ... Und jetzt plötzlich ...«

»Du lügst! Du lügst! Warum straft Gott ihn, – warum nicht dich und mich? ...«

»Der Allmächtige wird schon wissen, warum er ihn prüft. Es geschieht immer zu unserm Besten.«

»Sei barmherzig, Jimmy! Hilf mir, mein Kind am Leben zu erhalten!«

»Mir liegt ebensoviel daran wie dir, Ninive; wenn ich auch nicht glaube, daß – – –«

»Es gibt nur eins, was ihn ans Leben binden kann.«

»Was?«

»Daß er Arbella heiratet ... Nein, widersprich nicht gleich, höre mich erst ruhig an. Harpy stammt von den Tudors ab und ist eine Stuart. Hal's und Harpy's Kinder, – deine und meine Enkelkinder, – würden Stuarts sein ... Und Hal vergöttert Harpy; – wenn er zwischen dem Tod und ihr zu wählen hat, so wird er sie wählen ... Sei gut, Jimmy, – erlaube es! ...«

»Niemals! ... Übrigens, daß ausgerechnet du – – – Wer war es denn, der sich die Infanta als Schwiegertochter wünschte? Etwa ich? Aber jetzt Spanien vor den Kopf stoßen ..., – nein! das tue ich nicht!«

»Mit einem Toten kann die Infanta nicht Hochzeit feiern. Wenn Hal am Leben bleibt, heiratet er ja doch Arbella oder keine ... Begreifst du denn nicht, daß bloß Harpy ihn retten kann! Also erlaube es, gib deine Einwilligung, James!«

»Nein! Ich denke nicht daran! Eine Königsmörderin! Eine Madame Ravaillac! ...«

»Aber James! Bist du bei Verstand?!«

»Sie hat mir auf der Nase herumgetanzt! ... Wie meine Tochter! Nein! Niemals! Niemals! Niemals!«

Die Königin sprang vom Sessel empor. Ihre Demut sank ihr wie ein Bettlermantel von den Schultern.

»So? Niemals? Wirklich niemals? Warten wir ab! Oder willst du seinen Tod? Weil er schön ist und du ein Krüppel? Weil das Volk ihn mehr liebt und mehr ihn um jubelt als dich? – ist es so? Ich weiß ja, wie tödlich du ihn hassest! Ich weiß ja, daß dein Lustknabe ihn haßt! ... Mit dir muß man deutlich reden! Gut! Morde ihn! nimm es auf dein Gewissen! – Aber wundere dich nicht, wenn ich dann den Mund auftue (den ich achtzehn Jahre lang verschlossen hielt, Hal zuliebe!), wundere dich nicht, wenn dann ganz Europa durch mich erfährt, welch ein Unmann du bist! welch ein Hahnrei du bist! welch ein scheußlicher Sodomit!«

»Ach, Ninive, – majus est iram continere quam miracula facere. Ich bin Jacobus Pacificus. Laß uns Frieden schließen, Ninive. Setze dir meine Nachtmütze auf den Kopf, von der du ja behauptest, sie sei meine eigentliche Krone. Du warst wieder einmal die Stärkere ... Gut, gut also, ich willige ein.«

»Wir müssen die Hochzeit beschleunigen, Jimmy. Ich habe nämlich hinter deinem Rücken William Seymour einen Wink gegeben, zurückzukehren. Ich wollte, ich hätte es nicht getan; doch nun ist's nicht zu ändern: Seymour kann jeden Tag eintreffen. Hal und Harpy müssen Mann und Frau sein, bevor er kommt.«

»Eigentlich sollte ich zürnen, Ninive; – doch wie kann man dir zürnen! ... Tu, was du für klug hältst, du Kluge, – an meinem Segen soll es nicht fehlen – – –«

In diesem Augenblick trat Rochester ein. Er hatte als einziger das Vorrecht (oder nahm es sich), ohne Anmeldung ein und aus zu gehn.

»Ah! Da ist ja Zissy! ... Höre, lieber Zissy, Ihre Majestät und ich haben beschlossen, daß Prinz Hal Lady Arbella heiraten soll, und zwar bald: nächsten Sonntag schon. Wir feiern wieder einmal eine Doppelhochzeit! Was sagst du dazu?«

»Sollen wieder Gordons und Morays versöhnt werden, mein gnädiger Lord? Ich erhoffe gleichen Erfolg wie damals und küsse mit heißen Wünschen den glückstrahlenden Eltern des Prinzen die Hände!«


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