Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

24

Zwei Stunden später war Leyburne zum Viscount Egremont ernannt, mit einer unschätzbaren Perlenkette und dem Landgut Blackheath beschenkt worden. Und dann – im Verlauf kaum einer Stunde – hatte die Königsgunst wie ein zersprungenes Glas einen Riß bekommen, der sich nie wieder kitten ließ.

Und das kam so. Vollzählig war die Menge der Würdenträger und Höflinge im Großen Saale erwartungsvoll versammelt, während im kleineren Audienzsaal König James, unter vier Augen mit dem soeben kreierten Viscount Egremont, eine Flasche Frontignac leerte, auf sein Wohl anstieß und – unbekümmert um die Ungeduld der draußen harrenden Peers – gemächlich plauderte und scherzte.

Im Großen Saal gab es nun freilich keinen Muskatwein und auch nicht Stühle zum Sitzen, flüsternd geplaudert und gescherzt wurde aber auch dort; und daß die Scherze allmählich bösartig wurden, verschuldete die gefolterte Ungeduld, die gemarterte Neugier ... Da – endlich! – ging die Tür auf. James humpelte herein, gestützt auf den Arm seines neuen Günstlings. James strahlte. Er wollte sich's nicht nehmen lassen, Leyburne dem Hofe als Viscount Egremont vorzustellen. Er wollte die Glückwünsche hören, die Bücklinge sehn, die heute nicht ihm – dem Stellvertreter Gottes – sondern seinem schönen Freunde galten. Und während er zur Hofgesellschaft sprach, ließ er die Augen nicht ab vom Antlitz des Freundes, zwickte ihn in die Wangen und strich ihm übers Haar. Da drängten sie sich schon alle heran, wie eine Hundemeute um den Jäger, der einen Knochen zu verschenken hat. Der Erzbischof von Canterbury umarmte den Favoriten, der achtzigjährige Earl of Dorset drückte ihm die Hand. Jeder wollte der erste sein. Der älteste Adel war nicht zu stolz, sich dem jüngsten Adel zu beugen. Weder neidlos noch selbstlos klangen die Wünsche, wenn auch devot genug. Denn wie ein Kalenderheiliger den Weg zum lieben Gott, so bahnt ja ein Günstling den Weg zum Herzen des Königs ...

Doch zu viel der Gratulanten waren es; und wenn des Königs Begeisterung nicht ermüdete, so ermüdeten doch seine unbeholfenen schwächlichen Beine. Er ließ sich von Leyburne ins Audienzzimmer führen. Ohne James kehrte Leyburne sofort in den Großen Saal zurück, seiner Pflicht zu genügen, lange und kurze, feste und weiche, trockene und feuchte, warme und kalte Hände zu schütteln, lange und kurze, warme und kalte Reden über sich ergießen zu lassen.

Sir Lewis Lukenor – der königliche Oberzeremonienmeister – mußte seine Autorität, seine Manneskraft, seine Bärenstimme aufbieten, den lebensgefährlichen Andrang zurückzustauen. Er teilte in Gruppen ein und ließ die Gruppen einzeln herantreten; nur so war es möglich, die über Nacht entdeckte Begeisterung und Liebe einzudämmen und zu verhindern, daß der Favorit angesichts des Königs – denn die Tür des Audienzzimmers war weit offen und James schaute schmunzelnd herüber – von den entzückten Beglückwünschern zerquetscht wurde.

Alles endet einmal, auch die Begeisterung und das selige Martyrium, Begeisterung entgegennehmen zu müssen ... Sir Lewis Lukenor hob schließlich zum letztenmal den langen Elfenbeinstab, und nun näherte sich die letzte der Gruppen – Mitglieder der Familie Howard – und verneigte sich vor dem Glückbegnadeten. Und so aufstrahlend wie dieser schon Hunderte von Händen geschüttelt hatte, drückte er jetzt die Hand des Earl of Arundel und des Earl of Northampton und des Earl of Suffolk und des Lord Waiden und des Viscount Andover ... Immer wieder lustvoll strahlte bei jedem Handdruck sein Gesicht auf – bis plötzlich eine Wolke über seine Züge glitt und das Gestrahl in Düsternis verwandelte. Vor ihm stand liebenswürdig lächelnd Sir Gervaise Helways und streckte ihm eine mit weißem Handschuh bekleidete Hand entgegen. Die stechenden Augen des Diebes aber lächelten nicht und schienen herausfordernd zu sagen: Du kannst mir ja doch nichts nachweisen ...!

Leyburne verlor die Selbstbeherrschung. Sein Schwager Overbury hatte sich neben ihn gedrängt und flüsterte ihm etwas zu. Doch Leyburne hörte nicht, wollte nicht hören.

»Ihre Hand trägt eine weiße Maske, Sir! Fürchtet Ihre Hand, ihr wahres Gesicht zu zeigen?«

Es wurde plötzlich merkwürdig still im großen Saal.

Beinahe zärtlich entgegnete Helways:

»Warum sollte sie, mein edler Lord? Meine Hand ist rücksichtsvoll und will Ihnen einen häßlichen Anblick ersparen –: ich trage, weil mein Daumen schwärt, ein unschönes Pflaster unter dem Handschuh ... Doch den Glückwunsch wird der freundschaftliche Druck meiner Hand auch durch die weiße Maske hindurch Ihnen sagen!«

Da ergriff Leyburne die behandschuhte Hand und drückte sie erbarmungslos, lange, lange. Wie mit Eisenklammern zerdrückte er das wunde Fleisch, das er durch die Lederhülle hindurch lebenswarm und schmerzdurchzuckt sich krampfen fühlte. Er wußte, daß die Wunden der Finger nicht vernarbt sein konnten und daß er sie zermalmend von neuem zum Bluten brachte.

Kreideweiß wurde Helways. Nicht lange gelang es ihm, den Schmerz zu verbergen – er begann zu ächzen, dann zu brüllen.

»Lassen Sie los! ... Um Christi willen ...!«

»Dieb! Dieb! Dieb!« schrie Leyburne gellend. Er stieß Overbury, der ihn hindern wollte, zur Seite und apostrophierte die rings erstarrt blickenden Höflingsgesichter. Eine ungehemmte Flut von wirren, unzusammenhängenden Worten entströmte seinen bebenden Lippen. Unsinnig, unklug, sich selbst mehr als dem Feinde schadend, berichtete er von der Königin von Saba, von der goldenen Ratte, vom schwarzen Fuß unter dem Bett, vom schwarzen Teufel, mit dem er an der Tür rang ... Keiner der Hörer begriff, was er eigentlich wollte. Wie ein kaum sichtbar aufsteigender Nebel wurde eine feindliche Stimmung im ganzen Saal spürbar.

Und immerzu hemmungslos redend, hielt und drückte und zermalmte Leyburne die Diebeshand. Der weiße Handschuh bekam karminrote Flecke.

Jetzt huschte ein Gemurmel durch den Saal: »Seine Majestät! ...«

Und tatsächlich, James hinkte heran, gestützt auf Lord Pembroke's Arm.

Overbury schüttelte Leyburne an der Schulter: »Wahnsinniger! Erwache! Der König! ...«

Nicht sofort ließ Leyburne los. Er lockerte aber die Umklammerung. Und dann riß er mit einem Ruck den Handschuh herunter von der Hand.

Wie eine mit Rotwein gefüllte Karaffe war der Handschuh mit Blut gefüllt. Es rieselte daraus herab auf den Teppich.

Und jetzt geschah etwas Unerwartetes. Mit vor Zorn gerötetem Gesicht war James genaht, und niemand konnte wissen, ob sein Zorn sich gegen Helways oder Leyburne entladen werde. Zum Erstaunen aller aber sagte er kein Wort, als er herangekommen war, sondern stierte auf die Blutlache, fing an zu zittern und verfärbte sich. Er, der in Schottland – mehr als sonst einer seiner Vorfahren – Blut gesät und Blut geerntet hatte, konnte den Anblick von Blut nicht ertragen. Er wurde so weiß wie Helways im Gesicht und fiel in eine tiefe Ohnmacht.

Eine unbeschreibliche Aufregung bemächtigte sich der Anwesenden. Im Nu waren die beiden Streitenden vergessen. Wie in einem aufgestocherten Ameisenhaufen liefen alle kopflos durcheinander. Nach Ärzten wurde gerufen. Man trug den immer noch ohnmächtigen König in sein Schlafgemach.

Helways verließ unbehelligt das Schloß.


 << zurück weiter >>