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20

Am Dreikönigstag wurde nach der Abendtafel das Goldene Spiel – the Great Golden Play – gespielt. Sir Steffen Leyburne erbat sich vom König die Gunst, für ihn setzen zu dürfen. Das pflegten sonst Ritter des Bath-Ordens zu tun. Doch der gutgewachsene, schmucke Bruder Oriana's hatte ein brokatenes Wams an, – und daher konnte James nicht widerstehen und gab die Erlaubnis. Während die meisten Spieler verloren, gewann Leyburne für den König an die tausend Pfund Sterling. Freudestrahlend kniete er vor James hin und reichte ihm den Haufen Goldes. James kniff ihn in die Wange und schenkte ihm das Geld.

An diesem Abend ging Leyburne spät schlafen. Nach dem Großen Goldenen Spiel war er von vielen beglückwünscht worden; man trank ihm zu, und er mußte Bescheid tun. Nicht daß er benebelt war, als er sein Schlafzimmer im dritten Stockwerk betrat und die vielen Goldstücke achtlos auf den Tisch streute, so daß einige klirrend herabrollten. Aber der Kanariensekt hatte seine Glieder doch schwer gemacht. Sofort schlief er ein.

Er hatte einen merkwürdigen Traum. Als siegreicher Feldherr lebte er am Hofe des Judenkönigs Salomo ... (Wenn der Traum ihn nach Palästina führte, so lag es wohl daran, daß in den Prachtsälen, wo gespielt worden war, altflandrische Teppiche mit biblischen Darstellungen hingen; auch wollte ja James Englands Salomo sein) ... Hoch stand Leyburne in Gunst, und darum verlobte ihn Salomo mit der Königin von Saba. Zeremoniös knicksend erklärte sie sich einverstanden, Lady Leyburne zu werden; nur verlangte sie, daß ihr Verlobter die Bundeslade zurückhole, die noch immer bei den Philistern weilte. Plötzlich befand er sich neben der Bundeslade im nachtdunklen Tempel des Gottes Dagon zu Asdod, wo ein schwacher gelbroter Lichtschein mit riesenhaften Wandschatten kämpfte. Unsichtbar belauschte er eine Beratung der schneeweiß gekleideten Priester und der in bläulich schimmernde Stahlpanzer gehüllten Fürsten. Ratlos und verzweifelt jammerten sie, denn allnächtlich warf sich Gott Dagon vor der Bundeslade nieder, und das Volk der Philister wurde aufgefressen von der Pest wie Stichlinge von einem Haifisch. Und während sie das beweinten, stieg der furchtbar große, steinerne Gott Dagon vom Sockel herab, kniete ungefüge vor der heiligen Lade und berührte mit der Stirn die Erde, so daß die blinkenden Smaragde seines Halsgehänges zersprangen und klirrend über den Fußboden rollten. Da beschlossen die erschrockenen Philister, fünf goldene Pestbeulen und fünf goldene Ratten zu schmieden, und mitsamt der Bundeslade und dem gefangenen Leyburne dem König Salomo als Lösegeld und Beschwichtigung seines bösen Gottes die fünf goldenen Pestbeulen und die fünf goldenen Ratten zu senden. Jetzt erst entdeckte Leyburne, daß er schwere Ketten an Händen und Füßen trug und nicht imstande war, die umhergestreuten Smaragde, die er so gern der Königin von Saba mitgebracht hätte, vom Boden aufzuheben. Die Beulen und Ratten wurden sofort gebracht, sie waren ganz aus Gold, nur ihre überlangen Schwänze waren aus glitzerndem Silber. Und seltsam war es, daß er jetzt im Innern der Bundeslade lag, als hätte er all die Zeit dort wie in einem Sarge gelegen. Die Bundeslade war nämlich zum Sarg geworden und stand auf zwei Stühlen. Und die Priester legten die fünf goldenen Pestbeulen und die fünf goldenen Ratten auf den Sargdeckel; – das sah er ganz deutlich, obgleich er von sechs schwarzen Brettern umschlossen war. Und dann sah er, daß eine der goldenen Ratten lebendig wurde, mit den Augen blinzelte, vom Sargdeckel herabsprang und sich unter dem Sarg versteckte. Er wollte es den Priestern zurufen und konnte nicht. Es empörte ihn, zu beobachten, wie die lebendige goldene Ratte sich die umherliegenden Smaragde stahl, indem sie sie mit ihrem langen Schwanz heranholte, ohne selbst ihr Versteck zu verlassen. Hörten denn die Priester gar nicht, daß es unter dem Sarg so raschelte?

Leyburne erwachte jählings. Irgend etwas Unheimliches bewegte sich unter seinem Bett. War eine leibhaftige Ratte oder Maus, die dort geraschelt, der Anlaß seines Traumes gewesen? ...

Im Rücken hatte er die Wand, seine rechte Wange ruhte auf dem Kissen, er konnte ins dämmerdunkle Zimmer blicken, vage die Gegenstände erkennen. Durchs Fenster bleichte ein erster Schimmer des Frühlichts, verstärkt durch den Widerschein der Schneelandschaft draußen. Instinktiv blieb er nach dem Erwachen eine Zeitlang regungslos und atmete gleichmäßig, hörbar, wie wenn er schnarchte. Dann beugte er unendlich vorsichtig seinen Kopf über den Bettrand. Kalt überlief es ihn, sein Herz flatterte unbändig, denn er gewahrte dicht unter seinem Gesicht einen nicht großen, rabenschwarzen Fuß. Unendlich vorsichtig legte er seine Wange wieder aufs Kissen. Während er sich schlummernd stellte, erwog wild erregt sein Gehirn alle Möglichkeiten. Zu früh Lärm zu schlagen, schien nicht geraten; klüger war, abzuwarten ...

Durch die Ritzen seiner halbgeschlossenen Augen sah nun Leyburne, wie ein schwarzes Etwas – sachte, sachte – unter dem Bett hervorkroch bis etwa in die Mitte des Zimmers. Dort erhob es sich neben dem Tisch, auf welchem die Goldstücke einen kleinen Berg bildeten. Ein menschliches Wesen war es, kaum mittelgroß, äußerst mager und vom Scheitel bis zur Sohle rabenschwarz. Das Antlitz verhüllte eine schwarze Maske, das strähnige Haar war schwarz, in schwarzen Strümpfen steckten die Füße, in schwarzen Handschuhen die Hände, und nichts außer einem schwarzen Trikot bekleidete den überaus schmächtigen Körper. Leyburne konnte nicht erkennen, ob ein Erwachsener oder ein Kind, ein Mann oder eine Frau der schwarze Teufel sei.

An den vier Enden faßte der Teufel die Tischdecke, knotete die Enden über dem Goldhaufen zusammen, warf sich das schwere Bündel über Schulter und Rücken und schlich der Tür zu. Jetzt zog Leyburne einen Dolch unter seinem Kopfkissen hervor. Er sprang aus dem Bett und sprang in zwei Sätzen wie ein Pardel zur Tür, als der Fremde sie eben geöffnet hatte. Hoch in der Rechten den Dolch haltend, krallte er die Finger seiner linken Hand in die seidene schwarze Gesichtsmaske, um sie herunterzureißen. Es ging nicht ums Gold, es ging um die Maske – das wußte auch der Fremde: im Nu hatte er das Goldbündel fallen lassen, um mit der freigewordenen Hand seine Maske vor dem wütenden Zugriff zu schützen; mit der andern Hand suchte er, den Dolch abzuwehren. Doch da all sein Sinnen und Trachten auf die Maske gerichtet war, verfehlte seine Linke das Handgelenk des Gegners und packte statt dessen die Dolchklinge, so daß er sich den Daumen und Mittelfinger blutig schnitt. Die Maske zu behalten, gelang ihm nicht – sie blieb in Leyburne's Händen. Schon triumphierte dieser, – da duckte sich der glatte gelenke Teufel und glitt unfaßbar wie eine große schwarze Eidechse unter dem dolchbewehrten Arm zur Tür hinaus. Dann raste er den Korridor entlang und entschwand im Dämmer.

Erst versuchte Leyburne ihm nachzujagen, gab es aber bald auf. Nachts schweiften die Hunde der Hekate umher, – nicht aber gesittete Menschen wie er. Der Möglichkeit, von der einen oder andern aus dem Schlaf geschreckten Hofdame so – (im Nachthemd mit nackten Füßen laufend!) – erspäht und bespöttelt zu werden, mochte er sich nicht aussetzen. Auch war es aussichtslos, der Vorsprung zu groß, das Schloß ein Labyrinth. Wozu aber auch! Entlarvt – im wörtlichen Sinne entlarvt – hatte er ja den rätselhaften Dieb: hatte, als er ihm die Maske vom Gesicht gerissen, trotz der Dunkelheit und obgleich jener blitzschnell sich abwandte, sein Profil erkannt: nur ein Mann in Hampton Court besaß eine so messerscharfe Nase und ein so weichliches Apfelkinn. Niemand anders konnte der Dieb sein als der kleine schmächtige Sir Gervaise Helways!


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