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38

Das Audienzzimmer – the Presence Chamber – hatte für diese eine Nacht des Königs Befehl in ein Brautgemach umgewandelt.

Verstummt war die Tanzmusik, der Kerzenschein erloschen. Das langhaarige Elfenvolk, von Puck geführt, hatte den Rundgang durch die verdunkelten, verwaisten Säle, Galerien und Treppen, segnend und Traumblumen streuend, angetreten. Dann wich auch das »stille Volk«, verscheucht von den ersten Sonnenstrahlen.

Moray öffnete Fenster und Fensterladen, Morgenluft und Gold fluteten herein. Während seine junge Frau noch schlief, hatte er sich heimlich erhoben. Vögel zwitscherten draußen, von einem der Gartenteiche her schrillte Froschgequak; und horch! die Nachtigall schluchzte ihr Nachtlied noch immer ... Da entsann sich Moray, daß er Anne Gordon mit einer grauen, unscheinbaren Nachtigall verglichen hatte. Huntley, ihr Vater, war seines Vaters Mörder gewesen; – und dennoch – lieb war ihm der unscheinbare Vogel ...

Er wandte sich nach ihr um. Sie war erwacht. Wie wunderschön leuchteten ihre Augen! ...

»David ...«

»Ja, mein Lieb?«

»Bin ich dein Lieb? Bin ich's wirklich?«

»Fühlst du es nicht?«

»Es ist so selig, es zu glauben ... und doch so schwer! ... Man hat mich gelehrt, daß wir uns hassen müssen.«

»Hat dein Vater dich das gelehrt?«

»Nicht solche Falten, Liebster! Glätte die Stirn! ... Immer, wenn ich fragte, erfuhr ich bloß, warum wir Gordons euch Morays verabscheuen müßten. Ich weiß, daß auch ihr Grund hattet, uns zu hassen; – doch man verschwieg mir, warum!«

»Laß die Toten die Toten begraben, Anne! Wir sind Lebende, wir sind Liebende, unsere Leiber und Seelen verschmolzen ...«

»Eben deshalb, David, darf kein Schatten zwischen unsern Seelen stehn! Sage mir, was man mir verschwieg! Was es auch sei, – wir sind doch gefeit jetzt!«

»Sind wir's? Mir kommt's vor, als wären wir wie kleine Kinder, die ahnungslos aus einem Sandhaufen Totengebeine herausschaufeln, – bis rächende Gespenster emporsteigen ... Doch gut, ich will es tun. Erst aber sage du mir den Haß der Gordons, – der ist ja auch das Leid der Gordons!«

»Wozu?«

»Weil man mit dem Anfang anfangen muß – sonst entwirrt man das Gespinst der Parzen nicht.«

»Ich wurde in England erzogen, David, – du in Schottland. Dir ist es doch öfter und richtiger erzählt worden als mir. Wozu also? Und alles das ist ja so lange her!«

»So lange, mein Lieb, daß es schon zur Ballade wurde. Die gerade möchte ich aus deinem Munde hören, denn sie entlastet deinen Vater und alle Gordons.«

Er hatte sich auf den Bettrand gesetzt und spielte mit ihren feingliedrigen Fingern. Was sie berichtete, war ein schwarzes Blatt aus Schottlands schwarzen Annalen.

Ein Imker, der mit geschicktem Griff die Bienenkönigin in die Hand nimmt, trägt bald das ganze Bienenvolk wie einen großen braunen Klumpen am Arm und kann es führen, wohin er will. Ihr Urgroßvater, Marquis of Huntley, hatte es den Imkern nachmachen wollen, als er den Versuch machte, der noch unvermählten, kurz zuvor aus Frankreich herübergekommenen Königin Mary Stuart habhaft zu werden. Obgleich damals noch Mündel ihres Bastardbruders, des Earl of Moray, beherrscht von ihm und streng bewacht, stand sie in heimlichem Einverständnis mit dem Marquis, dessen Sohn, John Huntley, ihr Geliebter war. In einem rings von Sümpfen umgebenen Wald trafen sich die beiden Heere. Durch eine Kriegslist Moray's wurden die Gordons in den Morast getrieben. Der alte Marquis of Huntley, beleibt und schwerfällig, erstickte dort. Seine gefangenen Söhne wurden tags darauf in Aberdeen öffentlich hingerichtet. Und der Earl of Moray zwang die Königin Mary, zum Hochgericht zu kommen, den schimpflichen Tod ihres Liebhabers – denn er starb am Galgen – mitanzusehn ... Ein schottisches Volkslied sang hiervon:

Fünf edle Gordons wurden gehenkt,
Und die Königin mußte – weil's Moray gebot –
Der Getreuen Tod sehn, tränengetränkt
Auf dem Galgenfeld sehn des Geliebten Tod.

Anne schloß ihre Erzählung mit den Worten:

»Mein Vater hat mir oft gesagt, John Huntley habe so schön auf dem Schafott ausgesehn, daß alles Volk laut weinte; – er war der Liebling des schottischen Volkes.«

»Auch mein Vater war schön und war der Liebling des schottischen Volkes.«

Beinahe feindlich klang diese Bemerkung. Sie faßte seine Hand und sah ihm erschreckt in die Augen.

»Bist du böse auf mich? Kann ich dafür?«

»Kann ich dafür, Anne? Laß uns doch lieber herzhaft lachen! Ein Urgroßvater! ... Wir beide haben sechzehn Urgroßväter! Stell dir das vor! Und einer von den sechzehn ... Lachen ist heilsam und befreiend, Anne! Was scheren uns die vermoderten Urgroßväter und ihre Aderlässe!«

»Vielleicht mußten sie verbluten, damit wir es besser haben.«

»Doch mir scheint, dein Herz blutet immer noch.«

»Ich kann nicht lachen, David, auch wenn es befreiend wäre. Laß uns lieber uns aneinanderschmiegen, wie man's tut, wenn man Gespenstergeschichten lauscht und sich fürchtet.«

»Was fürchtest du?«

»Die Wahrheit, die mein Vater mir verschwieg.«

»Anne, ich riet dir ab, Gespenster zu rufen!«

»Ausreden kannst du es mir nicht, David, – ich will wissen, was nach dem Tod der fünf Gordons geschah.«

Da erzählte er ihr von der grausigen Rache der Gordons.

»Von den Tränen einer Königin sprachst du, Anne, und auch ich weiß von den Tränen einer Königin. Wenig abwechslungsreich ist die Welt – alles wiederholt sich ... Wir haben gestern die Göttin Juno gesehn ... Glaubst du, daß sie einst schön war?«

»Sie muß sich wohl noch für schön halten ...«

»Du meinst, weil sie sich so – (wie soll ich sagen?) – so griechisch zur Schau stellt? ... Und doch muß sie in der Tat einst bezaubernd schön gewesen sein, sonst hätten nicht so viele um ihretwillen den Tod gelitten.«

»Um ihretwillen? ... So viele? ...«

»Bekannt ist es nur wenigen, daß sie eine Männermörderin war. Ich weiß es und kenne die Namen ... Auch mein Vater war ein Opfer ihrer Liebe ... Seine Schönheit wurde ihm zum Verhängnis.«

»Ich dachte, daß mein Vater –«

»Dein Vater war nur das Werkzeug in den Händen anderer. König James benutzte den Haß der Gordons und Morays, um den Durst seiner Eifersucht zu stillen.«

»Wann war das?«

»Ein Jahr nach der Hochzeit Ihrer Majestäten und fast ein Jahr vor der Geburt des Prinzen Hal.«

Anne riß die Augen weit auf. Lange schwiegen beide.

»Undenkbar, David! ... Das ist ja unausdenkbar! ... Das kann nicht sein! ...«

»Doch, Anne!«

»Erzähle! Erzähle!«

»In Schloß Dombristle wurde mein Vater von Huntley's Kriegshaufen überfallen. Da er sich zu ergeben weigerte, wurde das Schloß in Brand gesetzt. Mein Vater, der sich einen Weg durch die Feinde bahnte, wäre entkommen, hätte seine Helmfeder nicht Feuer gefangen. Betäubt vom Rauch, brach er zusammen. Mit einem Dolch zerfetzte ihm Huntley das Gesicht. Da sagte ihm mein Vater bitter lächelnd: ›Ein schöneres Antlitz als deins hast du verdorben! ...‹ Ein zweiter Dolchstoß traf ihn in die Brust und machte ihn stumm.«

»David! ... Und du hast mich geheiratet – die Tochter des Mörders!«

»Seine Majestät war der Meuchelmörder, Anne! Nicht die einzige Schandtat ist es, die sein Gewissen beschwert!«


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