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30

Fledermäuse flatterten im dunklen Kristall des Himmels, Huren und Diebsgesindel wagten sich wie Nachtgetier aus ihren Höhlen, das Gegröl der Trunkenbolde vor den Tavernen vermischte sich mit fernem Gitarrengezirp und mit hallenden Schritten verspäteter Bürger, die heimwärts trollten. Bald waren nur noch in den Hauptstraßen Jammer und Freude bunt und laut. Über den Dächern der Mond, gleichgültig für Jammer und Freude, blinkte und blickte in die ausgestorbenen Gassen. In einer der stillsten – der Cullum Lane – sah er zwei vermummte Männer Steinstufen hinabsteigen zu einer Kellertür. Auf ihr Klopfen wurde geöffnet und nach dem Erkennungszeichen gefragt. Sie zeigten es vor und wurden eingelassen.

Der Kellerraum, den Overbury und Serjeant Crew betreten hatten, war schummerig von einer Stallaterne erhellt. Allmählich erschimmerte Wachslichterglanz. Einige dreißig Menschen warteten dort, barfuß, mit Kerzen in den Händen, die sie an der Laterne entzündeten. Jedem Eintretenden wurde eine Kerze gereicht. Die Frauen trugen dichte Schleier, den Männern verhüllten spitze, lochäugige Kapuzen Kopf und Gesicht. Denn niemand außer dem Meisterbruder und den wenigen, welche alle Initiationsgrade bis zum fünfundzwanzigsten Grad bereits erworben hatten, kannte die Namen der Mitbrüder und Mitschwestern; – das sicherte vor dem möglichen Verrat noch schwankender Neophyten und gewährleistete die fides silentii.

Ein Triangelschlag ertönte. Ein Zug bildete sich; – und in langsamer Lichterprozession je zwei und zwei, schritten alle den hinteren Räumen zu, die zum Tempel führten. Ein entgegenströmender modrig-kalter Luftzug drückte die Kerzenflammen nieder, so daß sie wagerecht flackernd fast erloschen. Der Weg – Sinnbild des mystischen Weges – war eine allmählich ansteigende Brücke, von deren Geländer man hinabschauen konnte in seltsam schaurige Kellerkammern. Die Pein des Anblicks sollte die Seele purgieren. Fünf solcher Qualkammern waren es; – unsichtbar blieb die Lichtquelle, die sie sichtbar machte. Unklar blieb auch, im dämmrigen Halbdunkel, ob die lebensgroßen Gestalten, die man mehr ahnte als sah, gemeißelt aus Stein oder geknetet aus Wachs waren. Oder stellten lebende Menschen dort lebende Bilder? ...

Das Wort »Vanitas« prangte in goldenen Lettern über der ersten Kammer. Ein Elfenbeinbett schimmerte dort mit seidenen Kissen, und darauf lag, flirrend von Edelsteinen, ein hüllenloses Weib. Selbstgefällig prüfte sie ihre Schönheit in einem Spiegel – der aber spiegelte ihr einen morschen Totenkopf zurück.

Das Wort »Ultio« leuchtete über der zweiten Kammer. Dort hielt ein langnäsiger grinsender Greis Pinsel und Palette und bemalte Zauberpuppen. Er malte Krankheit, Hunger, Wahnsinn, blödes Lachen und Grausen auf die kleinen Gesichter.

Das goldene Wort der dritten Kammer war »Aviditas«. Aus einem offenen Königssarg hob sich ein gekröntes Gerippe und hielt ängstlich mit beiden Knochenhänden sein prächtiges Diadem fest, das eine Lemure ihm vom Schädel reißen wollte.

»Dolus« hieß das Symbol der vierten Kammer. Auf einem Dreifuß hockte ein Priester mit Beffchen und predigte. Die Andächtigen rings um ihn her waren menschengroße Kröten, die fromm die Hände falteten.

Über der fünften Kammer stand »Stultitia« geschrieben. An den Haaren aufgehängt war dort ein junges nacktes Mädchen; und mehrere pedantische, philisterhafte Hexenrichter stachen ihren Körper mit Nadeln, um das Stigma diabolicum an ihrer Qual und Nichtqual nachzuweisen.

Die Brücke mündete in ein rundes, kuppelförmiges, von siebenarmigen Leuchtern erhelltes Zimmer. Die Lichterprozession strömte hinein und löste sich, den Raum füllend, auf. Man befand sich im Vorzimmer des Heiligen Gemaches. Eine Stimme von irgendwoher sprach: »Laßt das Böse, das euch schreckte, hinter euch, wenn ihr den Tempel betretet!«

Eine sehr breite Schiebetür schob sich auseinander. Noch wagte keiner der Eingeweihten sich hinein in das strahlende Gemach. Overbury und Serjeant Crew standen an den Türpfosten, so daß nichts ihren Augen und Ohren entgehen konnte.

Auf einem Tisch lag, in ein Leichentuch gewickelt, Jaïris Töchterlein. Neben der Toten stand Jesus und hielt ihre Hand. Die wehe Glut seines Blickes drang durch ihre geschlossenen Augenlider und weckte sie. Ein Atemzug hob ihre Brust, sie schlug die Augen auf. Ihre kalten Blicke erwärmten an seinen. Zuckend hob sich ihr Oberkörper, sie setzte sich auf. Eine Stimme von irgendwoher sprach: »Erweckung ist das Ziel des Kreuzes und der Rosen.«

Das Licht im Heiligen Gemach erlosch. Und als die samtene Schwärze neuem Lichte wich, wurde ein Thron sichtbar, und darauf saß ein Mann, der Jesus ähnlich sah. In der Rechten hielt er eine Schlange aus gehämmertem Kupfer.

Und der Mann sprach: »Ist einer unter euch, der die Schlange an die Brust drücken will, damit sie ihm aus der Brust den Dämon reiße?«

Da bahnte sich eine der Verschleierten einen Weg durch die Schar der Kultgenossen im Vorraum. Sie trat ins Heilige Gemach und vor den Thronenden hin. Die Schlange, die er ihr gab, hielt sie an die Brust.

»Ich kenne deinen Namen, Mädchen, – du brauchst ihn nicht zu nennen«, sagte der Thronende. »Auch andere Namen sollst du nicht nennen. Wie kamst du ins Boot? Erzähle!«

Schlicht sagte das Mädchen:

»Wir liebten uns seit einem Jahr. Mein Vater verbot mir, ihn zu sehn. Doch als mein Vater nach Holland reiste, schrieb mir mein Freund und lud mich zu einem Ausflug nach Richmond ein. Unfern von Richmond ließen wir das Boot am Ufer und schweiften den ganzen schönen Sommertag durch Wiesen, Felder und Wälder, froh wie Schmetterlinge. Wir verspäteten uns –«

»Wie kam's, daß ihr euch verspätetet?«

»Wir fanden unter einem Baum ein aus dem Nest gefallenes Käuzchen, flaumig, noch gelb am Schnabel. Ich wollte es nach Hause nehmen, es großziehn und zähmen; und da mein Freund meinte, so junge Eulen nährten sich von Heuschrecken, fingen wir an, Heuschrecken zu fangen, und kamen weit ab von der Themse. Es war finstere Nacht, als wir zurückruderten. Da näherte sich ein anderes Boot und legte sich quer vor die Spitze des unseren, so daß wir nicht vorbeikonnten. Der Mensch in jenem Boot forderte meinen Freund auf, sich mit ihm zu duellieren. Und als mein Freund das ablehnte, rief er: ›Nun denn – Duell oder nicht – nennen Sie es, wie Sie wollen, Sir, – jetzt aber verteidigen Sie dieses Fräulein, das meine Beute wird, wenn Sie sterben!‹ Das zwang meinen Freund, emporzuschnellen und den Degen zu ziehen. Der andere stieg zu uns ins Boot und zog gleichfalls den Degen. Was half mein Angstgeschrei – kein Retter war in der Nähe! ... Im schwankenden Boot, in schwarzer Finsternis fochten die beiden. Da fiel, mit durchstochenem Herzen, mein Freund rücklings hin ... Mich aber schleppte jener in sein Boot –«

Bisher hatte Serjeant Crew sich seinem Versprechen gemäß still verhalten. Denn wenn er auch – den Eid jesuitisch auslegend – nicht auf die Absicht verzichtete, den Hexenpfaffen Doctor Forman festzunehmen, so hatte das ja bis nach der Mysterienfeier Zeit. Seine Gedanken wurden indessen in andere Richtung gelenkt durch den Bericht vom Duell im Boot, – er geriet in eine Erregung, wie ein Spürhund, der eine Schweißfährte riecht. Seine Polizeiseele ertrug nicht, daß durch Verschweigen der Namen der Tatbestand verschleiert wurde, und er vergaß seinen Eid, oder dachte, dem Teufel brauche man keinen Schwur zu halten.

»War es Sir Gervaise Helways? Sie müssen es doch wissen, Mistris!«

»Schweigen Sie!« fuhr Overbury entsetzt ihn an.

Wie wenn ein Windstoß Seewellen peitscht, ging ein Wogen und Rauschen durch die Versammlung – ein wortloses, finsteres Grollen. Der Thronende erhob sich und sagte, nachdem es leichenstill geworden war:

»Die Mysteriennacht hat er entweiht! Schafft ihn hinaus!«

Mehrere der vermummten Adepten wollten Crew packen. Doch er eilte ins Heilige Gemach und holte aus seiner Wamstasche eine Pfeife. Sein gellender Pfiff wurde auf der Cullum-Straße gehört. Dort standen seine Constables, denen er aufgetragen hatte, ihm und Overbury heimlich zu folgen.

Und plötzlich ertönten von dort her Axtschläge – die verschlossene Kellertür wurde erbrochen.

Das Heilige Gemach hatte zwei Seitentüren. Aus diesen traten, sofort nach dem Pfiff, zwei fackeltragende Adepten. Sie schwangen die vergifteten Fackeln um den Kopf Crew's. Der fiel – betäubt vom Gifthauch – besinnungslos zu Boden. So schlafend wurde er weggetragen; – nach drei Straßen hin hatte der unterirdische Tempel Ausgänge.

Als die Büttel eindrangen, fanden sie Würfel, Kugel, Kreisel und Siegel – jedoch kein lebendes Wesen in den Räumen der strahlenden Magie.


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