Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

31

Es gab dem Prinzen einen Stich ins Herz, als er das offne Fenster erblickte. Lärmend genug war Northumberland's Beschimpfung gewesen, den Schwalben droben am Wolkenrand mußten die Ohren gegellt haben. Es verletzte Hal, daß Raleigh sich nichts anmerken ließ und seelenruhig Keymis zurief, Wein, Gläser, Tonpfeifen und Tabak zu bringen. Unerträglich, wenn der verehrte Mann schlecht von ihm dachte; – lieber wollte er hart von ihm getadelt sein. Und mit knabenhafter Verwegenheit, um den Tadel hervorzulocken, fragte er, nachdem er sich eine Pfeife angezündet, und Keymis die Stube verlassen hatte:

»Ist Percy krank?«

»Er tut nichts als sich pflegen, der Bärenhäuter, und hat eine Bärengesundheit; – warum sollte er krank sein, mein Lord?«

»Weil er so schrie vorhin auf dem Hof und Sophokles zitierte. Hörten Sie's denn nicht?«

»Nein, mein gnädigster Lord. Ich erzählte meiner Frau eine Geschichte. Und da ich zuweilen auch Dichter bin, lausche ich meinen eigenen Worten lieber als dem Lärm anderer Leute.«

Overbury, beunruhigt durch Hal's gereizten Ton, suchte abzulenken.

»Wir haben Sie unterbrochen, Sir, wir haben Lady Raleigh und uns selbst um einen hohen Genuß gebracht. Wäre es nicht unbescheiden, würde ich bitten – – – nein, würden wir beide bitten – nicht wahr, mein Lord? ... noch einmal zu beginnen.«

»Gewiß ... Was erzählten Sie, Sir Walter?«

»Ich fing eben erst an und kann gern noch einmal anfangen, wenn Sie's nicht langweilt, mein Lord. Doch ich warne Sie, nehmen Sie es nicht für Wahrheit.«

»Sie dürfen mir auch die Wahrheit sagen, Sir Walter!«

»Was Sie aber hören werden, mein Lord, ist ein Märchen, und kein Wort davon ist wahr.«

»Um so wahrer wird der Sinn hinter den Worten sein!« lächelte Overbury. »Haben Sie es erdacht, Sir Walter?«

»Nein, mein gnädigster Lord. Auf einer Seereise hat es mir ein irischer Matrose erzählt ... Conchobar, der König von Ulad, feierte mit fünfhundert seiner Mannen ein Fest im Hause des Irla Fedlimid. Während des Banketts wurde dem Fedlimid eine Tochter geboren. Des Königs Zauberer weissagte: Unheil werde das Mädchen über Erin bringen. Und viele glaubten das, denn Conchobar war ein Usurpator, das Kind jedoch stammte vom ermordeten König Cormac ab. Trotz der Weissagung ließ Conchobar das Kind nicht töten, er übergab es einer Wärterin mit dem Auftrage, es aus Emain Macha, der Königsburg, weit weg in einen Wald zu tragen und es heimlich dort aufzuziehn. – Vierzehn Jahre waren vergangen, längst hatte der König von Ulad das Kind und die Wärterin vergessen, da wurde er an einem Wintertage von einem Jäger aufgesucht. ›O hoher König,‹ sagte der Jäger, ›ich habe den lieblichsten Blutstropfen gesehn, der je in Erin geboren ward, und wenn du ihn sähest, du würdest ihn nicht unter der Erde lassen.‹ ›Wo sahst du den lieblichen Blutstropfen?‹ fragte Conchobar. ›Gar fern von Emain Macha, und niemand außer mir könnte dich zum Blutstropfen führen!‹ Vom König ausgefragt, berichtete nunmehr der Jäger, daß er, im Schneegestöber verirrt, am Fuße eines Hügels eine Tür erblickte. Als er dort Schutz suchte, fand er sie verschlossen und sank, von Frost und Hunger erschöpft, an der Schwelle nieder. Gerührt durch sein lautes Jammern, öffnete ein schönes Mädchen die Tür und ließ ihn in die Hügelwohnung eintreten. Eine alte Frau, die mit ihr dort in zwei Erdkammern hauste, schalt sie ob ihres Mitleids und bat den Jäger, vor aller Welt geheimzuhalten, daß er die schöne Deirdre sah ...«

»Hieß sie Deirdre?« murmelte Overbury. »Ich hätte gewettet, sie hieß Arbella!«

»Ist Lady Arbella ein Blutstropfen?« fragte Hal.

»Der zauberhafteste, den die Welt sah, mein Lord!«

»Doch die Welt sieht sie ja nicht, Thomas! Lebt auch sie unter der Erde?«

»Nicht mehr. Und ich vermute, daß auch Deirdre von den Toten auferstand.«

Raleigh nickte, in eine Wolke von Tabakrauch gehüllt, und fuhr fort:

»Conchobar holte Deirdre aus dem Hügel, brachte sie nach Emain Macha und wollte sogleich Hochzeit mit ihr feiern. Sie aber erbat sich ihres kindlichen Alters wegen eine Wartefrist von einem Jahr. Und so ließ er sie denn in einem abgelegenen herrlichen Blumengarten wohnen, gab ihr Lehrerinnen und Gespielinnen ... Eines Tages ging der junge Held Náisi, der Sohn des Usnech, am Garten vorbei. Als sie ihn sah, wußte sie, daß die Sterne sie für ihn bestimmt hatten. Den Gespielinnen entlief sie, eilte ihm nach, küßte ihn und flehte ihn an, sie vor Conchobar's Liebe zu retten. Da floh er mit ihr nach Loch Etive in Schottland – –«

»War er der Sohn des Königs?« fragte Hal.

Eine Weile blieb Raleigh stumm; er trank sein Glas Malaga aus, blies große Rauchschwaden aus den Nüstern und sah den Prinzen durchdringend an. Die Frage schien ihn zu freuen.

»Nein, mein gnädigster Lord. Doch ich wünschte, er wäre der Sohn des Königs gewesen! An seinem eigenen Fleisch und Blut hätte Conchobar sich nicht so blutrünstig gerächt, er hätte Náisi und dessen Brüder und die Hälfte der Bewohner Erins Deirdre's wegen nicht ausgetilgt. Statt ein Fluch, wäre die Liebe Deirdre's ein Segen fürs Land geworden. Zerklüftet, in Parteien zerrissen war das Land. Neben Anhängern des Königs gab es Anhänger Deirdre's; – diese aber hätten sich ausgesöhnt mit dem Usurpator, wenn dessen Sohn – – –«

Mitten im Satz brach Raleigh ab. Mit flackerndem Pathos hatte er gesprochen. Jetzt schien er über seine Kühnheit zu erschrecken. Er lachte schallend. Ein wenig schauspielerhaft war alles was er tat und sagte.

»Verzeihung, mein Lord, – nehmen Sie es für Träume eines Dichters ... Wir vernünftigen Leute wissen, daß derlei nur in Märchen möglich ist!«


 << zurück weiter >>