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10

Hal blickte Overbury starr in die Augen. Sein Antlitz glühte. »Und heute hat mein Herr Vater scherzend gefragt: ob es wohl jemals wieder eine Sintflut geben wird? ... Was wolltest du ihm antworten, Thomas?«

»Gott ist barmherzig, mein Lord.«

»Amen! ... Weißt du, wie mir zumute ist? Wie einem, der eine klebrige Kröte verschluckt hat ... Die muß verdaut werden, und das will Zeit haben. Laß uns ausschreiten – das Gehn wird mir die Magensäfte anregen und die Gedanken auch.«

Schweigend gingen sie lange Zeit nebeneinander her. Dann sagte Hal: »Ins Netz der Schuld verstrickt' ... – bin ich im Netz?«

»Ich hoffe nein, mein Lord.«

»Vielleicht doch – wenn auch anders, als der Falke sich's denkt ... Pfui Teufel, der Brief hat mich königstreu gemacht! Hätte ich ein Sektglas hier, ich würde die alten Bäume und jungen Sträucher ersuchen, mit mir in den Ruf einzustimmen: Heil! Heil! Heil dem König James! ... Eine so heilsame Wirkung hat der tollwütige Independent gewiß nicht vorausgesehn, als er den bekritzelten Hosenbandorden dem Isländer an den Fuß band.«

»Ich fürchte, es ist kein Independent.«

»Sondern?«

»Ein hochadliger Verräter, der – um unerkannt zu bleiben – sich ein republikanisches Mäntelchen umgehängt hat.«

»Also –: ein Wolf im Tigerpelz?«

»Ja, mein Lord, das meine ich. Den Versuch, seine Feinde ans Messer zu liefern, wird er vielleicht wiederholen ... Wenn ich könnte, würde ich unverzüglich hinreiten, die in Baynard's Castle zu warnen. Doch Seine Majestät wird mich nicht fortlassen ...«

»Vor übermorgen schwerlich. Auch du bist also im Netz, Thomas? Seltsam, wie es mir nachgeht: ich sei ›ins Netz der Schuld verstrickt‹. Woher hat der Falke das?«

»Es ist doch nicht wahr, mein Lord!«

»Schon einmal – (es war kurz bevor uns die Totentänzer begegneten – entsinnst du dich? ...) – schon einmal fragte ich dich: hin ich ein Hochverräter? Kann ein Prinz ein Hochverräter sein? ... Doch diesmal tat ich nichts. – Daß ich nichts tat, war vielleicht meine Schuld. Ich hätte alle Glocken läuten sollen, wie bei Feuersbrunst, – als ich es erfuhr ...«

»Wie erfuhren Sie es?«

»Durch eine Dame.«

»Man wollte Sie hineinziehn?«

»Ins Netz? ... Nun ja. Aber ich bin kein dummer Fisch, Thomas. Ich habe mich liebenswürdig geweigert.«

»Die Dame war Lady Essex!«

»Warum glaubst du das?«

»Weil Lady Essex niemand auf Erden so haßt wie Sie, mein Lord! Weil sie Sie ins Verderben reißen will! ... Oh, mein gnädigster Lord, hatten Sie mir nicht versprochen, endgültig mit ihr zu brechen?«

»Du weißt, daß ich es tat. Und seitdem sind wir höfliche Kameraden. Nein, fürchte nichts, Thomas, – Frances kann mir nie wieder gefährlich werden: als Feindin nicht und erst recht nicht als Freundin. Ich bin jetzt gefeit!«

»Wodurch? Weil Sie ...?«

»Jawohl –: weil ich eine andere liebe! ... Scheue dich nicht, ihren Namen auszusprechen, Thomas. Doch du irrst – ich liebe Arbella nicht. Anbeten ist weniger als lieben ... Man friert und erfriert, wenn man allzulange vor Heiligenbildern kniet und seufzend die Hände faltet.«

»Ist das nicht Glücks genug, mein Lord?«

»Auch du bist verliebt in sie, Thomas! Ich weiß es ja; warum es leugnen? Bei Raleigh damals sagtest du, sie sei der zauberhafteste Blutstropfen, den die Welt sah ... Von den Indern erzählt man, daß sie Blumen anbeten ... Wir beide stammen also vom Ganges her, Thomas, – nicht wahr?«

Sie hatten den Wald durchschritten. Zu ihren Füßen sahen sie in einer Talmulde ein Dorf liegen. Es war ein hübscher Blick: weiß die niedrigen Häuser, grün die Fensterläden, dunkelbraun die sauberen Strohdächer; von den Giebeln einige mit Storchnestern gekrönt; efeuüberwachsen die gotische Kirche. Die Entfernung verkleinerte und verniedlichte das Dorf, als wäre es ein Riesenspielzeug.

»Wozu hinabsteigen, mein Lord. Aus der Höhe betrachtet ist die Welt schöner.«

»Auch die Liebe, Thomas!«

Sie schritten am Waldesrand entlang. Plötzlich zeigte Hal auf eine Eiche. Und er fragte beklommen, obgleich er sich selbst die Antwort hätte geben können:

»Was ist das Dunkle da am Ast?«

»Ein Gehenkter, mein Lord ... Lassen Sie uns umkehren! Das ist kein Anblick für Prinzenaugen!«

»Doch! Gerade! ... Ein Prinz muß wissen, wie die Welt aussieht – nicht bloß aus der Höhe ... Mir hielt man alles fern bisher, – auch das ...!«

Hal nahm grüßend den Hut ab.

»Sie grüßen einen Galgen, mein Lord?«

»Nicht wie Carolus Quintus – das glaube mir! Und auch nicht wie seine wahnsinnige Mutter, deren Freude es war, Gehenkte zu betrachten ...«

Jetzt standen sie dicht vor der Eiche. Der Gehenkte war ein Zigeuner, er trug die Tracht seines Volkes. Man hatte es nicht einmal für nötig gehalten, eines Zigeuners wegen einen Galgen zu errichten –: an den ersten besten Baum hatte man ihn aufgeknüpft.

Dunkelhäutig und schwarzsträhnig war er, ein Mann in den besten Jahren, muskulös, groß und schwer. Wie ein langes und schmales Hufeisen hing der Schnurrbart an den Mundwinkeln bis zum Kinn herab. Schon hatten Insekten ihre ekle Brut in das Fleisch der nackten Füße, der Hände und des Gesichtes gelegt, so daß auf der toten Haut sich schwärende grüngelbe Beulen zeigten. An den ein wenig geöffneten verglasten Augen hatten bereits Vögel gepickt.

»Kommen Sie weg, mein Lord.«

»Das wäre Flucht, Thomas! Flucht vor dem wahren Antlitz des Lebens!«

»Des Todes wollen Sie sagen, mein Lord!«

»Nein, des Lebens, Thomas! Denn das faulende Fleisch da lebt ja – siehst du das nicht? In Leben verwandelt sich das eben geschwundene Leben. Nenne es nicht verächtlich ›Gewürm‹; – was sind wir Menschen anderes auf der Haut und im Haar der Erde! Zwei Augen hat jede Schmeißfliege genau wie wir. Aus zwei Augen die Welt anschauen, heißt Leben; – aber auch: von Totem sich ernähren. Selbst Shakespeare tut es, selbst seine Kunst tut es ... Auf das Tote stürzt sich das Leben gierig wie auf eine Jagdbeute ... Was meinst du, würde das Leben ehrfurchtsvoll Einhalt tun, wenn ein Prinz hier hinge?«

»Man hängt zum Glück keine Prinzen, mein Lord.«

»Freilich, – meine Großmutter wurde nur geköpft ... Der arme Bursche da war vielleicht ein Dieb, ein Pferdedieb – kein Länderdieb wie mancher König ... Doch mag er auch der Elendeste der Elenden gewesen sein, – dieses Bild erschüttert und durchschauert mich mehr als ein Kruzifix. Zu alltäglich haben Pfaffen uns das Kreuz gemacht. Die Menschen sollten alle Kreuze wegschließen und sie bloß in heiligen Stunden aus den Truhen hervorholen und anschauen ... Oh, Thomas, dies ist für mich eine heilige Stunde! Mir ist die Ahnung aufgegangen, was mir Golgatha bedeutet ... Mir – wohlverstanden!«

»Was, mein Lord?«

»Mehr als das silberne Skelett bei den Gastmahlen in Memphis – das kannst du mir glauben! ... Doch du bist ein Heide und wunderst dich vielleicht, daß dein Schüler –«

»Gewiß nicht, mein gnädiger Lord. Aber hat das Leben nicht auch ein anderes Gesicht?«

»Eine lächelnde Larve – ja; – und reißt man sie weg, sind wimmelnde Larven darunter! Gegen dies Grausen gibt es nur eine Medizin: Golgatha!«

»Einst nannte man es Eleusis.«

»Mag sein. Man braucht auf die Arznei nicht zu schwören – (tu ich es denn?) – das aber steht fest: wer sie einnimmt, genest und lernt erkennen: Schein ist die Larve, Schein sind die Larven, sind nichts als Aggregatzustände des gespenstischen Lebens; – wirklich ist nur das Symbol, das über den Tod sowohl wie über das Leben triumphiert ...«

»Sehr wahr, mein Lord, –: wirklich ist nur das Unwirkliche!«

»Oh, Thomas, belehrt und bereichert hat mich der armselige Pferdedieb ... In einer so heiligen Stunde darf man nicht lügen, wie ich es vorhin getan. Ich log, als ich sagte, daß ich Arbella nicht liebe, daß ich hoffnungslos zu ihr wie zu einem Heiligenbild aufschaue ... Sie ist kein Heiligenbild. Oh, gar nicht! Sie hat, wie ich, das wilde Blut der Stuarts in den Adern. Doch sie ist stärker als ich und kämpft gegen ihre Leidenschaft an ... gegen ihre Liebe zu mir, Thomas! ... Hier angesichts des Toten will ich dir alles sagen. Wir sind in Schuld verstrickt, wir sind im Netz, Arbella und ich! ... Nein, erschrick nicht. Was ist denn unsere Schuld? Daß ich zuweilen ihr heiß die Hände küsse? Als ich es neulich tat, weinte sie bitterlich und nahm mir das Versprechen ab, es nie wieder zu tun. Doch tags darauf erlaubte sie es wieder. War das eine Schuld, daß ich das Versprechen brach? ... Einst sah ich eine wahnsinnige Lady, die sich für die Tochter Karls des Großen hielt. Genau so hält sich Arbella für Lady Seymour. Es ist heller Wahnsinn, – doch ich kann es ihr nicht ausreden.«

»Ist sie nicht doch Lady Seymour, mein Lord?«

»Nein, nein und tausendmal nein! Meine Mutter unterbrach damals die Trauung, die Sternkammer hob sogar das Verlöbnis auf. Es ist unfaßlich, daß Arbella trotzdem an Seymour gebunden zu sein glaubt. Sie leidet unsäglich, sie behauptet, er stünde wie ein Gespenst zwischen ihr und mir.«

»Hat sie das gesagt?«

»Wörtlich so: wie ein Gespenst zwischen ihr und mir! Und dann fügte sie hinzu: sollte das Band, das sie kettet, jemals reißen, – denselben Tag noch werde sie die Meine werden.«

»Oh, mein gnädigster Lord, war das Los der armen Lady nicht traurig genug bisher?«

»Kann es trauriger sein, als es jetzt ist?«

»O ja, mein Lord! Seine Majestät hat der Lady schon einmal mit dem Tower gedroht.«

»Und wenn Arbella meine Frau wird?«

»Fragen Sie das alte Gemäuer des Tower, ob es nicht auch Prinzen beherbergt hat!«

»Suche dir einen andern Freund, Thomas! Dein Gönner ist nichts als ein Prinz, ein machtloser, einflußloser Prinz! Dreh den Mantel nach dem Wind, alter Freund! –«


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