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9

Der Speisetisch war in der Halle für nur zwei Personen gedeckt. Als Seymour sich dem Bailiff gegenüber setzte, blickte er sich um im kahlen, großen, wenn auch nicht hohen, Raum und gewahrte Einzelheiten, die ihm bei der ersten Begrüßung entgangen waren. Einen verwahrlosten Eindruck machte die Halle, von einstiger Herrlichkeit zeugten nur noch einige zerschlissene Wandteppiche. Hie und da entdeckte man einen Sessel, einen Krüppel von einem Sessel, mit lahmem Bein oder gebrochener Lehne. Dem Eingangstor schräg gegenüber loderte ein Kaminfeuer, und dort auch, an der kalkig getünchten Längswand stieg eine vom Alter geschwärzte eichene Treppe empor zu einer Galerie, die in Höhe des ersten Stockwerkes drei Seiten der Halle einfaßte. Durch das Geländer hindurch zeigten sich dunkelgrüne verschlossene Türen, trotzig, abweisend, unzugänglich. Unterhalb der Treppe schien eine Tür zur Küche zu führen, denn von dort her wurden die Speisen hereingetragen. Den Fußboden der Halle bildeten rote Kacheln, die meisten freilich hatten Sprünge oder waren ausgebrochen, und die schlimmsten Löcher wurden von zertretenen, zerfetzten Bärenfellen verdeckt. An der einen Schmalwand – dem Gastzimmer gegenüber – stand eine Tür offen und gewährte Einblick in ein nicht erleuchtetes Zimmer, das wohl die Bibliothek sein mochte. Rechts und links vom Eingangstor war die Längswand von vier Spitzbogenfenstern durchbrochen. Zahlreiche Blumentöpfe drängten sich da auf dem Fensterbrett. Ein Kronleuchter in Gestalt einer Seejungfrau schwebte an einer Kette von der verrußten Balkendecke tief über den Eßtisch herab. Bloß eine dicke Wachskerze brannte auf dem Goldhaar der Seejungfrau, emsig bemüht, die staubgraue Luft des Raumes mit trübseligem Geflacker zu erhellen.

Zwei Diener bedienten bei Tisch. Nachdem sie die Speisen gebracht und Wein eingeschenkt hatten, entfernten sie sich. Mit unguten Augen schaute Murdac ihnen nach.

»Wissen Sie, Sir, was die da sind?«

»Ich verstehe Ihre Frage nicht, Sir.«

»Nun ja, ich konnte mir es denken, daß Sie es nicht raten würden. Puritaner sind es. Sehr fromme Leute ... Auch ich bin fromm. Wundert Sie das?«

»Warum sollte mich das wundern, Sir?«

»Man muß mit den Wölfen heulen. Man wird allmählich selbst zum Wolf ... Das sind nämlich meine Spione und Sklaven.«

»Haben Sie nur die zwei Diener im Schloß?«

»Nein, drei. Stets ist einer von ihnen draußen im Walde, – sie lösen einander ab. Und der, an dem die Reihe ist, lauert Schmugglern auf, um es mir zu melden, wenn welche in der Umgegend sind. Oft werde ich um Mitternacht geweckt, muß mich flink ankleiden und wappnen und mit meinen in Soldaten verwandelten Dienern den Schmugglern nachsetzen. Das läuft selten ohne Blutvergießen ab, und zuweilen vergeht mehr als eine Woche, ehe wir nach Hause zurückkehren.«

»Jetzt verstehe ich, Sir, warum Sie von Spionen sprachen.«

»In doppeltem Sinne meinte ich es: auch mich belauern die Kerle auf Schritt und Tritt. Den Sonntag muß ich heilig halten – ob ich will oder nicht; nicht einmal meine Blumen darf ich Sonntags begießen ... Ja, Knecht meiner Knechte bin ich.«

»Solche Knechte würde ich zum Teufel jagen, Sir!«

»Würden Sie? ... Leute, mit denen Sie täglich und nächtlich in Lebensgefahr schweben? – Lassen solche sich verjagen? ... Blut kittet zusammen und macht abhängig. Die da helfen mir nicht nur gegen die Schmuggler, Sir, sie stehn mir auch bei, wenn das Mädchen kommt ...«

»Welches Mädchen, Sir?«

»Das Mädchen und die wilde Jagd. Was reißen Sie die Augen so auf, Sir? Ja, ja, Cymry Castle ist ein verwunschenes Schloß, Sir! ... Vielleicht erleben Sie es in einer dieser Nächte ...«

Er versank in dumpfes Schweigen. Gern hätte Seymour mehr aus ihm herausgelockt, doch einige Fragen, die er behutsam stellte, blieben ohne Antwort. Schließlich verstummte auch er.

Nach einer ganzen Weile fuhr Murdac wie erwachend auf und brach in ein grelles Lachen aus.

»Sie halten mich für nicht ganz richtig im Kopf. Gestehn Sie nur!«

»Es gibt viele verwunschene Schlösser in England, Sir ... Und warum sollte es nicht auch Gespenster geben? ...«

»Eine geschickte Antwort! – aber eine ausweichende! Wozu das? Ich hätte die Wahrheit ertragen, denn sie wäre ziemlich wahr gewesen: da sehn Sie sich meine Stirnwunde an!«

Er streifte sich die schwarzen Strähnen aus der Stirn und zeigte auf eine klaffende fingerlange Narbe.

»Was glauben Sie, von wem ich dieses Andenken habe?«

»Von einem Schmuggler?«

»Nein, von einem Katholiken.«

»Machen Sie auch auf Katholiken Jagd?«

»Nicht mehr. Das war einmal. Bevor ich hier Bailiff wurde, war ich Generalprofoß in Cornwall. Die guten Leute dort hatten aufgemuckt, weil man ihnen ihre Kirchenglocken und Kruzifixe wegnahm und den vertriebenen Nonnen mit glühenden Stempeln die zarten Hände verbrannte ... Eine lustige Geschichte könnte ich Ihnen davon erzählen – wollen Sie sie hören?«

»Wenn sie lustig ist, mit Vergnügen.«

»Bezweifeln Sie's?«

»Die lustigsten Geschichten sind zuweilen die traurigsten.«

»Meine nicht, – die ist von Anfang bis zu Ende spaßig; und das Ende ist das spaßigste daran ... Als wir in die Stadt Bodmin einzogen, lud ich mich selbst beim Bürgermeister zum Mittagessen ein. Während wir uns zu Tisch setzten, sagte ich ihm, ich hätte meinen Leuten Auftrag gegeben, auf der Straße das Nötige herzurichten für das Gerichtsverfahren, das ich als Profoß gleich nach dem Essen würde leiten müssen. Er bewirtete mich aufs glänzendste, setzte mir die teuersten Speisen vor: Schnepfenpastete, Truthahnküken, gerösteten Reiher ... Lieben Sie gerösteten Reiher?«

»Leidenschaftlich, Sir!«

»Ich auch ... Und wie verstand er, mich zu unterhalten! Er war voller Schnurren – ein reizender, alter, dicker Herr. Wir freundeten uns geradezu an ... Nach dem Essen begleitete er mich auf die Straße hinaus. Da sah er, daß gerade vor seinem Haus ein Galgen errichtet war. ›Was denken Sie,‹ fragte ich ihn, ›sind die Balken nicht zu schwach für das Gewicht eines Mannes?‹ Vor sich hin pfeifend prüfte er den Galgen mit Kennerblicken und schüttelte den Kopf. ›O nein,‹ meinte er, ›die Balken sind solide, – die könnten sogar einen dicken Mann tragen.‹ ›Ei wirklich? Das will ich sogleich ausprobieren! – und zwar mit Ihnen, Sir!‹ versetzte ich und winkte meinen Leuten. Bevor er sich vom Schreck erholt hatte, hing er bereits ... Ist das nicht spaßig?«

Kalt rieselte es Seymour über den Rücken. Sein Gastgeber war wahnsinnig. Er selbst aber war in seine Hand gegeben und mußte sich hüten, ihn zu reizen. Abscheu und Entsetzen durfte er sich nicht anmerken lassen. Zu einem höflichen Lächeln sich zwingend, erhob er sein Glas und trank dem Irren zu.

»Auf Ihr Wohl, Sir! Sie haben dem armen Dicken die Todesangst erspart und ihm den Appetit nicht verdorben! Auf den gerösteten Reiher sind weder kalter Schweiß noch heiße Tränen getröpfelt! Das haben Sie elegant gemacht!«

Geschmeichelt füllte Murdac sein Glas bis zum Rande, stieß an und goß sich den Wein gierig in die Kehle, als müßte er Feuerbrände in seinem Innern löschen. Er hatte bereits weit mehr als sein mäßiger Gast getrunken. Beängstigend anzusehn war es, wie sein Gesicht allmählich sich veränderte, wie sein erhitzter Kopf zu lohen schien. Nervös bemühte sich Seymour, das Gespräch in harmlose Bahnen zu lenken.

»Sie erwähnten mehrmals Ihre Blumen, Sir. Sie sind ein Blumenfreund?«

»Wenn man freundlos ist, macht man sich Blumen zu Freunden. Die wenigstens sind nicht untreu wie die Menschen.«

»Gewiß, es gibt aber auch Tiere, Sir, die treuer sind als wir Menschen. Hunde zum Beispiel.«

»Ich hasse Hunde! ... Nur Blumen sind anhänglich. Glauben Sie's mir: in jeder Blume wohnt eine Nymphe und lohnt es einem, wenn man sie pflegt ... Wollen Sie meine Blumen sehn?«

»Gern, Sir. Mich wundert's, daß Sie ohne Orangerie hier welche züchten können.«

Wie Murdac hatte auch Seymour sich vom Tisch erhoben und folgte ihm zu den Fenstern. Die Scheiben waren doppelt, die Rahmen mit Werg verstopft.

Nachdem Murdac die bizarren Gestalten und glutvollen Farben seiner Tulpen gepriesen, von ihnen behauptend, in Amsterdam würden sie mit Gold aufgewogen – (einem Schmuggler hatte er die Zwiebeln abgejagt) –, wies er auf ein kleines Pomeranzenbäumchen hin und versicherte, daß schöner als die schönsten Tulpen – für seinen Geschmack – Pomeranzenblüten seien; zwar blühe leider zu dieser Jahreszeit das Bäumchen nicht, dafür trage es sieben entzückende Früchte.

Auf einen Sessel, den er an den Eßtisch heranschob, stellte er liebevoll und behutsam das Pomeranzenbäumchen. Und als er und Seymour ihre Plätze am Tisch wieder eingenommen hatten, sagte er:

»Meine Tochter speist ja doch nie mit mir. Und wenn ich so allein mein Mahl einnehme, stelle ich das Bäumchen meist auf den Sessel. Es ist mir dann, als säße eine Geliebte mir gegenüber.«


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