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9

Nach dem Abendessen zog sich James in seine Gemächer zurück, das Buch des Vorstius zu Ende zu lesen. Da es noch hell war, schlug der Prinz Overbury einen Spaziergang vor.

Die sinkende Sonne, obwohl ziemlich hoch noch über dem Horizont, war verdeckt, hinabgetaucht in dunkelblaue Wolkenballen, die im Westen regungslos wie Raubtiere auf der Lauer lagen. Schwül und windstill die Abendluft. Die Schwalben schossen niedrig über den Boden dahin. Irgendwo in weiter Ferne rollte und grollte es.

Der Prinz sprach kaum ein Wort, solange sie im Bereich des Jagdschlosses gingen. Als sie in einen Waldpfad einbogen, blieb er mißmutig stehn.

»Ich bin nicht so weitsichtig wie mein Herr Vater. Ohne Brille habe ich gesehn, daß du uns genasführt hast, Thomas. Der Brief des Falken war in Versen geschrieben!«

»Gute Augen haben Sie, mein Lord! Hörten Sie auch, wie mein Herz geklopft hat?«

»Und warum klopfte dein Herz, Thomas?«

»Weil ich einen erfundenen Brief vorlesen mußte.«

»Das merkte ich ... Ein Glück, daß mein Vater es nicht gemerkt hat! ... Warum aber mußtest du?«

»Die besten Peers von England mußte ich vor dem Tode bewahren, mein Lord.«

»Wer sind unsere besten Peers? ... Schwärmer, die sich an rheinischem Wein und britischen Worten berauschen? ... in Baynard's Castle?«

»Davon wissen Sie, mein Lord?!«

»Nicht durch dich ... Auch nicht durch Lord Moray, wie du vielleicht glaubst ... Mir verschwiegt ihr es, – ihr, meine treusten Freunde!«

»Durften wir Ihnen den Schlaf der Nächte rauben, mein Lord? Und wofür? Für eine Fata Morgana, die bestenfalls Narrentum ist, wenn nicht Hochverrat!«

»Solange es nicht geglückt ist. Glückte es jedoch, so gibt man dem Kind einen andern Namen ... Laß mich den Falkenbrief sehn!«

Overbury reichte ihm die Papierrolle. Der Prinz las:

Eigenwillig, ohne Urlaub, flog ich, König, dir davon,
Wie ein dunkler Dämon flog ich unheimlich durch Albion.

Unsichtbar ist meine Beute, unsichtbar enttropft ihr Blut:
Keinen Reiher fing ich, König, sondern deines Volkes Wut.

Meine Fänge hätten deines Volkes Liebe gern umkrallt, –
Doch die wohnt im Sarg, geschändet, eine grüne Dunstgestalt,

Spuk, der umgeht nachts und klagend dir die schwarze Fahne schwenkt ...
Nicht weil deiner Laster Schale übervoll sich niedersenkt,

Nicht weil du, gleich einem Henker blutbesudelt, Haß erregst, –
Nein, verhaßt bist du dem Volke, weil du eine Krone trägst;

Weil du König bist und deinen Aussatz deckst mit Hermelin;
Weil dein Goldthron ein Armsünderstuhl ist unterm Baldachin;

Weil du Hof hältst und nicht fühlst, dein Flitterprunk sei Possenspiel ...
Mit euch Herrschern würfelt Satan, – bis der Unglückswürfel fiel,

Bis das Frührot ein Schafott gehämmert sieht durch Volkes Fluch,
Und ein Haupt, wie eine Kugel, blutig rollt auf schwarzem Tuch ...

Weißt du, daß der Tag nicht fern ist? Weißt du, was dir Hexen brau'n?
Hörst du nicht die Erde beben unter dir? ... Wem kannst du trau'n?

Den Verhungernden, die schuldlos Opfer sind des Weltbetrugs?
Reichen Bürgern, deren Wohlstand aus dem Leid der Armen wuchs?

Könige beschirmen Wohlstand, weil er ihr Brokattuch webt; –
Wenn sie straucheln, ist's der Bürger, der zuerst den Stein erhebt ...

Oder meinst du, daß der Adel treu für dich die Klinge zieht?
Weißt du, Ahnungsloser, was in Baynard's Castle jetzt geschieht?

Dich entmannen Gäste Pembroke's, tafelnd dort um Mitternacht.
Ratten gleich benagen sie die Leiche deiner Königsmacht.

Sie verschenken – weil zu hart für Nagezähne – deinen Thron;
In das Netz der Schuld verstricken sie dein Weib und deinen Sohn.

Wie der Teufel bei Belsazars Gastmahl, hab ich sie umkreist;
Flatternd lauscht ich Frevelrednern, und ich weiß, wie jeder heißt.

Schreib dir in dein Hirn die Namen: Dorset, Denbigh, Shrewsbury,
Oxford, Arundel, Southampton, Devonshire, Montgomery ...

Sei ein Ungewitter, König, triff sie wie ein Donnerkeil!
Laß des frechen Adels Hälse mähen mit dem Henkerbeil!

Tritt der Schlange auf den Kopf, die sterbend dir die Ferse sticht!
Keine Schranke trennt dich dann vom Volke und – vom Hochgericht!


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