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15

Einen Jugendfreund hatte Overbury gehabt und verloren. Seltsamerweise wurde dieser entschwundene, unwiederbringlich verlorene Freund zum Kuppler zwischen ihm und Oriana.

Auf der Schulbank in Eton College war Overbury einst von einer geradezu krankhaften Schwärmerei und Liebe zu einem Mitschüler namens Robert Car erfaßt worden. Der Bildhauerin Natur war freilich selten ein so schönes Kunstwerk wie dieser Knabe geglückt. Overbury dichtete ihn an, und in mancher Nacht träumte er vom Freund, wie wenn es ein Mädchen wäre. Unzertrennlich wurden sie. Keine höhere Seligkeit kannte Overbury, als Robert Car sein Innerstes aufzudecken, seine Knabenseele – gleichsam als läge sie auf einem Tisch im Anatomiesaal – aufzuschneiden, sein pochendes Herz ihm hinzuhalten ... Robert Car erwiderte Gleiches mit Gleichem nicht, blieb verschlossen, lächelte undurchsichtig; – ein Unbekannter blieb er trotz aller Treueschwüre. Auch gab sich Overbury keiner Täuschung hin, schmerzlich wurde es ihm nach und nach bewußt, daß er sich vergeudete an einen, der nur durch seines Körpers und Antlitzes zauberhafte Schönheit fesselte, dessen Geist und Herz jedoch taube Blüten waren. Aber gerade die Unbegabtheit Robert Car's weckte in ihm, dem Hochbegabten, ein Mitleid und ein Bestreben, ihm beim Lernen behilflich zu sein, sein Mentor zu werden. Die Launen des Freundes, seine Unwahrhaftigkeiten, seine Unerzogenheit bewiesen ja nur, wie sehr er eines Führers bedurfte.

Mehrere Jahre vor Overbury mußte Car die Schule verlassen: der für ihn sorgende und zahlende Vormund war gestorben – mittellos stand der Knabe in der Welt und mußte, wollte er nicht verhungern, eine Pagenstelle beim schottischen Earl of Dunbar annehmen.

Später, als sich Overbury bereits in Oxford das Bakkalaureat erwarb, kamen ihm böse Gerüchte zu Ohren: Car habe versucht, die Tochter des Earl of Dunbar zu vergewaltigen, und sei mit Schimpf und Schande aus dem Schloß gejagt worden ... Wieviel daran wahr sei, vermochte Overbury, trotz redlichen Bemühens, nicht aufzuhellen; nur die Tatsache wurde ihm bestätigt, daß Car im Schloß Dunbar nicht mehr weilte.

Erst in Rom erhielt er einen aufklärenden, wenn auch kaum etwas erklärenden, Brief – und zwar von Car selbst. Dieses erste Lebenszeichen seit der Schulzeit war unbeholfen im Stil, lügnerisch, hämisch: Wäre er weniger stolz, hätte er längst geschrieben und sein Leid geklagt. Das Leid eines armen Pagen – könne ein Bakkalaureus das verstehn, ein von Fortuna verhätschelter Bakkalaureus? Die Metze Fortuna verfolge ihn mit ihrem Haß; Schloß Dunbar habe er verlassen, weil zehn Jungfrauen ihn küßten und er zehn Wochenbetten aus dem Weg gehn mußte. Jetzt sei er in London und habe sich selbst zum Bakkalaureus der freien Künste ernannt, als Seiltänzer, als Balladensänger, als Schauspieler im Globe-Theater, als Parfümeur, als Marktschreier, als Hahnenkampfleiter ... Das hübsche Stück Geld, das er sich verdient und erspart hatte, sei ihm nun kürzlich von einer Freundin und Meisterdiebin, Moll Cutpurse – der berühmten Moll Cutpurse –, gestohlen worden. Ratzekahl ausgeplündert, habe er sich gezwungen gesehn, wieder – obgleich wahrlich kein Kind mehr – als Page zu dienen. Wenn Overbury aus Italien heimkomme und Fortunas Lächeln ihn nicht zu hochmütig gemacht habe, möge er im Hause des Earl of Southampton nach dem Pagen Robert Car fragen. Es würde ihn freuen, Overbury die Hand zu drücken und ihn mit seiner entzückend frechen Freundin Moll Cutpurse bekannt zu machen.

Daß Car im Globe-Theater aufgetreten sei, war ebenso unwahrscheinlich, wie die zehn gleichzeitig ins Wochenbett steigenden Mädchen. Doch mochte der Brief noch so verlogen sein, mochte ein Schamgefühl den Weg zum Earl erschweren (ein Schamgefühl, dessen Overbury sich schämte), – stärker als die Hemmungen war die ehrliche Freude, den schönen Menschen endlich wiedersehn, ihm vielleicht aus dem Sumpf heraushelfen zu können.

Nach London heimgekehrt, kam Overbury nicht gleich dazu, den Pagen aufzusuchen. Seinen eigenen Schicksalsgang mußte er in jenen Tagen gehn. Zum erstenmal atmete er Hofluft und ließ sich von ihrem Ambraduft umnebeln. Schicksalsvoll betrat er Whitehall, wie Tannhäuser den Venusberg, um dem Hof nie mehr Valet zu sagen. Der Audienzsaal wurde ihm zur Zauberhöhle ...

Bald hatte er Wurzel geschlagen im neuen Erdreich. Seine Absicht, in Whitehall gesprächsweise Southampton über Car auszukundschaften, ließ sich nicht ausführen, da Southampton gerade damals in London blieb, allabendlich die Schauspielhäuser der Bank-Side – des rechten Themseufers – besuchte, mit Dramatikern in Falkon Inn zechte, jedoch nach Whitehall nicht kam, vom Bannstrahl der erzürnten Jungfräulichen getroffen wegen seiner heimlichen Ehe mit der Hofdame Elizabeth Varnon. Strenger als einst strafte die alternde Königin alle Liebesvergehen.

Wochen vergingen. Da fand Overbury, in alten Papieren kramend, zufällig ein Gedicht, das er als Knabe an jenen Knaben gerichtet hatte. Und plötzlich stand in seltsamer Greifbarkeit und doch Ungreifbarkeit, wie ein Nachtnebeln entsteigendes Phantom, das vergessene Bild vor ihm. Mochte das Gedicht auch kindlich und unschuldig entstanden sein, – ihn, den Herangereiften, berührte es wie der Hauch einer Giftblume, die ja auch unwissend und unschuldig blüht – und betäuben kann ... Eine Glut war in den unbeholfenen Versen, – eine Glut, die dem sündigen grünen Feuer der Shakespeare-Sonette fast gleichkam. Overbury erschrak über sich selbst. Die Hölle hielt ihm den Spiegel vor. War er das? ... War er so? ... Das hatte er nicht gewußt oder bereits vergessen, daß er so hatte empfinden können ... Er fühlte, wie seine Wangen sich röteten. Nein, es war doch klüger, den Pagen nicht aufzusuchen ...

Einige Tage später änderte er seinen Entschluß, der ihm nachträglich als Feigheit erschien. Jenes Kind war ja geschwunden wie der vorjährige Schnee, und am verlotterten, erwachsenen, bärtigen Robert Car erinnerte schwerlich noch irgendwas an jenes sylphenhafte Geschöpf ... Von plötzlicher Sehnsucht erfaßt, begab er sich in Southampton's Haus. Er traf den Earl nicht an; der Haushofmeister aber teilte ihm mit, der Page Car sei schon vor längerer Zeit wegen liederlichen Lebenswandels verabschiedet worden und habe England verlassen, um in Spanien Kriegsdienst zu suchen.


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