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25

Nicht etwa, daß er sich aufgegeben hätte. Nur der körperliche Schmerz trieb ihn hinaus. Die Ärzte, Doctor Craig und Doctor Hamond und der Hofapotheker John Wolfgango Rumlero, mühten sich um den König ab; – von ihnen waren Linderungsmittel jetzt nicht zu erbitten. Draußen aber lag der Schnee fußhoch. Das Höllenfeuer seiner Hand im Schnee löschen wollte Helways.

Doch als er hinaustrat, fühlte er sich beobachtet. Der Kälte wegen trug er Hut und Mantel, – glaubte man etwa, daß er zu fliehen gedächte? ... Vor dem Hauptportal standen junge und alte Pagen, die verwundert ihm nachgafften, ein Wachtposten glotzte seine mißhandelten Finger an, hinter den Fensterscheiben gespensterten Frauengesichter ... Er ging in den Garten, wo Bäume und Hecken ihn schirmten. Ein Rundell war dort, in dessen Mitte eine bronzene, grünbraune Nymphe stand. Zu frösteln schien sie, die Ärmste: auf ihren Haaren, ihrem Nacken, ihren Brüsten lagen große Tupfen von frischgefallenem Schnee, dicken Wattebauschen ähnlich. Im Licht der Mittagssonne schnitt ihr Schatten eine blaue Kerbe ins leuchtende Weiß des Rundells. Die Blumenpracht, die sommers die Nymphe umduftete, schlief den Winterschlaf unter der eisigen, von Diamanten glitzernden Decke. Und auch die dunklen Hecken rings trugen die gewichtlose Last mächtiger, weißleuchtender Ballen.

Helways tauchte seine Hand in den jungfräulichen Schnee – und ihm war, als zischte sein wundes Fleisch, so wie das glühende Eisen zischt, das ein Schmied ins Wasser senkt. Der Schmerz steigerte sich, wich dann aber einem wohligen Gefühl. Der an der Hitze zerschmolzene Schnee wusch die Wunden rein. Mit seinem Taschentuch wollte Helways sich einen Verband machen. Das immer noch sickernde Blut mußte er freilich erst stillen. Wie sehr er sich auch abmühte, es gelang ihm nicht.

Da schlug ein helles Mädchenlachen an sein Ohr. Neben dem Sockel der Nymphe wurde ein schöner blonder Frauenkopf sichtbar.

»Wer sind Sie, Lady? ... Ich sah Sie nicht ...«

»Weil die Nymphe mich verdeckte. Ich lag dort im Schnee und schlief.«

»Sie schliefen im Schnee, Madam ...?!«

»In meinen Fuchspelz warm eingewickelt – das versteht sich. Sonst wäre ich ein Eisblock jetzt und könnte Sie nicht auslachen.«

»Warum lachen Sie über mich?«

»Weil Ihr Blut eigensinnig ist und Ihnen nicht gehorcht. Mir wird es gehorchen.«

»Wie wollen Sie es stillen?«

»Durch einen Zauberspruch!«

Aus dem Schnee erhob sie sich, eine schön gewachsene, üppige Gestalt, in einen kleidsamen Pelz gehüllt. Sie streckte ihre Hand über seine Hand und murmelte:

Beim Herzen Satans, bei der Brunst
Der Hölle, und bei meiner Kunst,
Die alles zaubert, was sie will –
Befehle ich dir, Blut, –: steh still!

War es nun ein Zufall oder war es die seelische Erregung, die auf den Körper einwirkte, – tatsächlich hörte das Blut auf zu sickern. Und während sie die Wunden verband, fragte sie ihn, was seinen Fingern geschehen sei. Um sein Verbrechen nicht eingestehen zu müssen, erfand er ein Lügenmärchen. Einst habe er in der Trunkenheit Sir Steffen Leyburne beleidigt und seinen Haß sich zugezogen. Unsichtbar wie eine glühende Kohle unter der Asche sei bisher der Haß gewesen. Heute aber sei er wild aufgeflammt, weil Sir Steffen über Nacht Günstling des Königs geworden sei und nun glaube, sich alles erlauben zu dürfen. Nicht nur die Hand habe er ihm übel zugerichtet – auch die Ehre.

»Stellen Sie sich vor, edle Lady, – einen Diebstahl, von dem er geträumt hat, warf er mir vor! Und wissen Sie, was ich gestohlen haben soll?«

»Einen Kuß seiner Liebsten?«

»Nein, weit gefehlt! Die goldene Ratte der Königin von Saba!«

Das lustige Auflachen, das er nach diesen Worten erwartet hatte, blieb aus. Ernst fragte sie:

»Und er lebt? Sie haben ihn nicht getötet?«

»Vor versammeltem Hof ... den Günstling des Königs ...«

»Einerlei! Sie haben nicht sofort das Rapier gezogen und ihn durchstochen?«

»Wie konnte ich! In Gegenwart Seiner Majestät ...!«

»Sie müssen und werden ihn töten, Sir Gervaise!«

Machtvoll wie vorhin ihr Befehl an das Blut klang dieser Mordbefehl. Verwundert und erschreckt sah Helways sie an.

»Sie kennen meinen Namen, süße Lady?«

»Ich bin nur eine Mistris, – obgleich ich mich bei Hofe besser auskenne als manche Lady ... Sie sahn mich nie, Sir Gervaise, – ich aber sah Sie öfter schon.«

»Wo?«

»In Northampton House und in der Apotheke meines Gatten Doctor Turner.«

Das also war die vielgerühmte Schönheit, von der Helways im Palast seines Gönners mehr als einmal hatte sprechen hören. Ja, sie glich in der Tat einem Madonnenbilde. Er wußte, daß sie Ann Norton geheißen und bei der Countess of Suffolk eine bevorzugte Stellung als Oberhofmeisterin innegehabt hatte, daß sie die Geliebte des alten Earl of Northampton geworden war, der sie schließlich – vor kurzem erst – an einen Apotheker namens Turner verheiratet hatte. Er wußte auch, daß in der Hofgesellschaft das Gerücht umging, Northampton verlasse zuweilen das Schloß, um sich mit seiner Freundin heimlich im Park zu treffen.

»Sie erwarten wohl den alten Earl hier in Eis und Schnee?«

»Wo soll man Eis und Schnee besser erwarten als – in Eis und Schnee? ... Weil er nicht kam, legte ich mich schlafen auf das weiße Laken dort – und habe mir die Füße erfroren.«

»Auch das Herz, Mistris?«

»Mein Herz ist zu heiß ... den alten Fuchs fand ich nicht, – dafür fand ich einen jungen ...«

»Sie sind eine Zauberin, Mistris. Mein Blut gehorcht Ihnen ... Kennen Sie noch mehr solcher mächtigen Sprüche?«

»Ich kenne einen noch viel mächtigeren Zauberspruch. Doch den zu hören ist gefährlich für Sie.«

»Warum?«

»Wenn Sie sich die Worte merken, können Sie sie weitergeben. Vergessen Sie sie aber, so bleiben die Worte in Ihnen und zerstören Sie.«

»Ich fürchte mich nicht ...«

Leise im Beschwörerton sagte sie:

Schmerzdurchbohrt wie von den sieben
Schwertern in Marias Brust
Sollst du meine Augen lieben
Und mein Brüstepaar. Du mußt
Dir ersehnen stöhnend, ächzend
Meines Purpurmunds Triumph,
Der dich lockt, nach Küssen lechzend,
Wie das Irrlicht lockt am Sumpf.
Sei mir, was dem Blick der Tag,
Was dem Hungernden das Brot;
Nie getrennt –: ein Sarkophag
Bettet uns, eint uns im Tod!

Ein Schauer überrieselte Helways. Hatte er ihr zuviel Macht über sich gegeben? Und wenn auch! dachte er ... Da begriff er, daß er keinen Angstschauer, daß er einen Wonneschauer fühlte. Und weil sie kühn ihn ansah, blickte auch er ihr kühn und frech in die Augen.

»Sie haben mich behext, Mistris!«

»Können Sie den Spruch wiederholen?«

»Nein Mistris. Der Zauber bleibt in mir. Doch das wird für Sie gefährlicher sein als für mich.« »Wenn Sie mein Sklave werden? Sind Sie's nicht schon?«

»Ich bin's. Sie wollten, daß ich ihn töte. Gut – ich gehe ...«

»Wohin? Ins Schloß? Was wollen Sie dort?«

»Von Ihrem alten Freund mir Rat holen.«

»Der nennt mich seine Egeria. Also können Sie sich den Weg sparen! ... Übrigens wollten Sie gar nicht zu ihm – sondern zu Leyburne!«

»Sie befahlen mir es ja! Darum –«

»Halt, Sir Gervaise! Bleiben Sie hier! Ins Schloß können Sie nicht mehr – Sir Lewis Lukenor würde Sie höflich ersuchen, Hampton Court Palace bis auf weiteres zu meiden.«

»Glauben Sie? ... Bis auf weiteres? Bis wann?«

»Bis Gras darüber wuchs!«

»Über einem Grab! ... Da sehen Sie: ich muß –«

»Nicht heute und nicht hier! Ich verbiete es Ihnen!«

»Zu befehlen haben Sie die Macht, Mistris, – aber nicht zu verbieten.«

»Nun so befehle ich Ihnen: reiben Sie meine erfrorenen Füße mit Schnee!«

Sie zog ihren Pelzmantel aus und breitete ihn wie eine Decke über die Schneefläche. Und auf dem Pelz gitzend zog sie sich flink die Schuhe und die Strümpfe aus. Ohne Befangenheit ließ sie Helways ihre Beine bis zu den Strumpfbändern oberhalb der Knie sehn. Nicht erfroren waren ihre Füße und Zehen, aber doch erstarrt und ganz durchsichtig weiß vor Frost.

Und während Helways, neben ihr kniend, ihre Füße mit geballtem Schnee scheuerte und rieb, sagte sie:

»Als Apotheker mußte mein Mann in London bleiben, mich aber hat er in Richmond vor der Pest in Sicherheit gebracht. Das Häuschen, wo ich wohne, hat Platz genug, – wenn Sie zu mir ziehen wollen – – –«

Mit leidenschaftlichem Dank küßte Helways ihre rotgeriebenen Füße. Sie fuhr fort:

»Die Seuche hat sich ausgetobt – bald wird man in London wieder wohnen können. Unser Haus hat vier Stockwerke ...«

Eben beugte sich Helways wieder, ihr den Fuß zu küssen, da durchzuckte es ihn wie ein Blitz –: Northampton kam heran, war schon nahe. Und der Earl lachte meckernd, wie er es immer tat, wenn er in Wut geriet.

»Hahaha! Gehören Ihnen diese hübschen Beine, Sir? Sie vergreifen sich an fremdem Eigentum!«

Sanft, demütig und wehmütig erwiderte Helways:

»Daß auch Sie, mein Lord, mich für fähig halten ...«

»Zu allem halte ich Sie für fähig, Mensch! Zu allem! ... Seine Majestät rast – und ich habe es auszubaden, weil ich Ihr Beschützer war! ... Seine Majestät hat den Narren Leyburne und auch Sie vom Hofe verbannt! Verduften Sie, wie der Gottseibeiuns, – nichts Klügeres können Sie tun! Mir aber kommen Sie nie wieder vor die Augen! Gehn Sie! Gehn Sie! Gehn Sie!«

Seine Greisenstimme überschlug sich, sein ausgestreckter Zeigefinger zitterte. Ann Turner zupfte Helways am Ärmel, ihre Augen verboten ihm, zu antworten. Und da sie des Earls Schwerhörigkeit kannte, sagte sie eindringlich und dezidiert:

»Geh, Freund Gervaise! Ich will es, – gehorche mir. Wir sehn uns bald wieder!«

Schnell entfernte sich Helways und verließ Hampton Court.


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