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Der Pfau pickte emsig die Körner aus dem Grase und ließ sich durch das Herannahen seiner Herrin nicht stören. Verwundert sah sie, daß ihm Futter gestreut war, daß er also dorthin gelockt worden war. Und auch sie war durch den weißen Vogel dorthin gelockt worden.

Leise hörte sie sich beim Namen rufen. Hinter dem Zaun, gedeckt durch einen Rotdornbaum, stand Lord Seymour. Voll Freude, Furcht und Trauer erkannte sie ihn. Einen ängstlichen Blick hinab auf die Villa werfend, ging sie auf ihn zu und reichte ihm durch das Gitter die Hand.

James hatte ihm verboten, Oxford zu verlassen; – dennoch hatte er es gewagt. Als damals in Cymry Castle der Degenkampf der beiden Mädchen durch das plötzliche Erscheinen der Kavaliere beendet und auch Sir William aus dem Fußblock befreit worden war, hatte James sich zwei Tage im Schloß aufgehalten, um sich von der Strapaze zu erholen; – schwor er doch per Jovem! er sei nicht wie der säuselnde Gott Zephirus, der Bote des Frühlings, sondern wie Boreas, der König der Winde, geritten. Über Murdac saß er erst am Morgen nach der Schreckensnacht zu Gericht und verurteilte ihn zu lebenslänglichem Aufenthalt in Bedlam, dem Tollhaus; – wohin auch der Irre unverzüglich geschafft wurde. Moll Cutpurse, obgleich Schmugglerin, gewann sich des Königs Wohlwollen durch ihren Mutterwitz. Es wurde während der zwei Tage königlich getafelt und pokuliert. Zwischen den Mahlzeiten examinierte James Arbella in Sprachen und Theologie. Bedauernd stellte er fest, daß sie von der lateinischen Grammatik keine Ahnung mehr hatte ... Obgleich James Arbella von Morgen bis Abend kaum aus den Augen ließ, fand Seymour Gelegenheit, sie allein zu sprechen, ihr von der Hornisse zu sprechen und anderen Jugenderinnerungen; er nannte sie seine »kleine Schwester«, – was sie ihm nicht verwies, wenn es ihr auch die Röte in die blassen Wangen trieb. James überraschte die beiden, als sie sich küßten. Er verbot seinem Neffen, je wieder ein Wort an Arbella zu richten, und verbannte ihn nach Oxford. Ohne von Arbella Abschied genommen zu haben, mußte Seymour sogleich Cymry Castle verlassen. Erst nach seiner Abreise glückte es Overbury, die Warnung in Arbella's Ohr zu flüstern.

Ein Vierteljahr lang waren alle Bemühungen Seymour's, das Versteck der Geliebten ausfindig zu machen, ergebnislos geblieben. Er hätte es vielleicht nie entdeckt, wäre nicht kürzlich von einer Freundin Moll's, einer hausierenden Zigeunerin, Arbella in Ambergate Park beobachtet worden, wie sie auf der Freitreppe sitzend einem weißen Pfau den Schleppenschweif glättete. Moll Cutpurse, die seit den in Cymry Castle gemeinsam erlebten Schrecken eine Zuneigung für die unglückliche Prinzessin gefaßt hatte, teilte die Beobachtung der Zigeunerin Sir William mit. Sie auch war es, die ihm den Rat gab, die Pfauenstimme nachzuahmen.

Durch das Zaungitter hindurch hielt und streichelte er jetzt glücklich Arbella's Hand.

»Wir fanden uns wieder, kleine Schwester, wir werden uns nie wieder verlieren! ...«

Gesättigt schlug der Pfau ein Rad, glitzernd im Sonnenlicht wie Filigran aus durchscheinendem Alabaster. Doch der wunderschöne Kuppler war nicht mehr vonnöten. Die Undankbaren sahn sich in die Augen und bewunderten ihn nicht.


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