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26

Als Lady Moray's Kalesche von der Spazierfahrt zurückkehrte, stand Arbella vor der Villa und fütterte den weißen Pfau, als wäre nichts vorgefallen. Von der Dienerschaft erfuhr Lady Moray, Cecil und Overbury seien dagewesen, und Seine Majestät habe früher als sonst Ambergate Park verlassen. Arbella, die hinzukam, bestätigte und ergänzte es; sie erzählte von Ravaillacs Attentat und daß die Lateinstunde infolge der Aufregung Seiner Majestät abgebrochen werden mußte. Mehr erwähnte sie nicht.

Und Lady Moray stellte auch keine Fragen weiter, obgleich sie ihrer jungen Freundin anmerkte, daß sie etwas verschwieg, etwas Bedrückendes, Geheimnisvolles. Lady Moray hielt es für geraten, nicht zu drängen, sie wollte abwarten, daß Arbella von selbst sich offenbarte. Doch der Nachmittag und der Abend vergingen, ohne daß es geschah.

Gegen zehn Uhr sagten sich die Freundinnen gute Nacht. Das Schlafzimmer betretend, hieß Lady Moray auch ihre Zofe zu Bett gehn. Sie selbst kramte noch eine Weile in ihrem Wäscheschrank, wo in einem Abteil viele Kinderhemdchen auf getrockneten Rosen und Lavendelblüten geschichtet waren. Und dann setzte sie sich ans offene Fenster und nähte im Zwielicht, – beim Schein etlicher Kerzen und des goldblanken Vollmondes, – an einem noch unfertigen Kinderhemd.

Sie war schwanger: in zwei Monaten sollte sie Mutter werden. Und sie jubelte ihrer schweren Stunde entgegen als dem Höhepunkt ihres Glückes. Die Blutschuld der Gordons und der Morays tilgte das werdende Kind, in dessen Adern das Blut der Morays und das Blut der Gordons vermischt war. Wie heiß liebte sie es bereits, das noch Ungeborene, und ebenso seinen Vater, den gutherzigen, grundehrlichen David Moray ...

Eine Stunde lang mochte sie genäht haben. Da hob sie mit einem Ruck den Kopf. Mehr verwundert als erschrocken, horchte sie. Es war ein Geflüster, das die Traumstille der Nacht ihr zutrug.

Sie ergriff einen Leuchter und begab sich auf den Gang hinaus. Deutlicher vernahm sie es jetzt. Sie ging einige Schritte, blieb stehn und lauschte wieder. Ihr schien, es käme aus Arbella's Schlafzimmer. Die Tür war nicht verschlossen. Leise aufklinkend sah sie das Bett leer und unberührt. Aber die Balkontür war offen, und dort stand mondbestrahlt Arbella, lehnte sich über die Brüstung und sprach mit einem jungen Menschen, der vom Garten her bis zu ihr emporklomm.

Lady Moray hatte den Leuchter auf den Tisch gestellt und näherte sich geräuschlos dem Balkon. Feenhaft webte die Nacht, die Parklandschaft war glashell und doch vom polarisierenden Mondlicht weißgrau überschleiert. Ein Käuzchen schrie.

Das hübsche Gesicht des jungen Menschen meinte Lady Moray schon einmal erblickt zu haben. Doch wo? ... Und plötzlich entsann sie sich: das war ja Lord Seymour, der damals bei der Aufführung von Ben Jonson's »Masque of Hymen« in der vordersten Stuhlreihe neben Seiner Majestät gesessen hatte! ... Jetzt flüsterte er:

»Weine nicht, kleine Schwester. Ich werde einen Priester bestechen. Dann bist du gepanzert gegen solche Angriffe, dann bist du gefeit gegen das Scheusal: die Gattin eines Pairs von England anzutasten, wird er nicht wagen! ...«

»Arbella!« rief Lady Moray.

Eine lange beklommene Stille folgte dem Ausruf. Drei junge Herzen pochten unbändig, drei Augenpaare zuckten hierhin und dorthin voll Entsetzen. Dann senkte sich das hübsche Jünglingsgesicht unter den Rand der Brüstung. Behutsam glitt der Lord hinab in den Garten und entschwand hinter schwarzen Büschen. Arbella rührte sich nicht. Willenlos ließ sie's geschehn, daß Lady Moray sie am Arm faßte, sie ins Zimmer hineinzog und die Balkontür hinter ihr schloß.

Auf den Band des Bettes setzte sich Arbella, unsäglich traurig, hilflos und verstört starrte sie zu Boden, nahm stumm die Vorwürfe hin und ebenso stumm alle Fragen. Nur zuweilen hob sie den Blick und funkelte die Freundin trotzig und finster an. Etwas Ungebändigtes war an ihr, die Wildheit eines jungen Raubtieres, das fern von den Menschen in einer Wüste aufwuchs ... Durch ihr hartnäckiges Schweigen gereizt, schalt ihre Freundin um so erregter:

Sie sei es gewesen, auf deren Bitte hin der König nach Cymry Castle gekommen sei, den Quälereien Murdac's ein Ende zu machen. Als Fürsprecherin fühle sie eine Verpflichtung, als Gastgeberin fühle sie eine Verantwortung – nicht nur gegen die Schutzbefohlene, auch gegen Seine Majestät den König, der die Gnade hatte, die von ihm Gerettete im Ambergate Park unterzubringen.

Fast eine Viertelstunde lang kämpfte Lady Moray mit diesen und ähnlichen Argumenten gegen das verstockte Schweigen des Mädchens an. Erst als sie die vielen Wohltaten des Königs – (den sie sonst immer zu bespötteln pflegte) – aufzuzählen anfing und die Dankesschuld Arbella vorhielt, sprang diese wild vom Bette auf und schrie:

»Wer hat mich sieben Jahre lang eingekerkert? Was weißt du überhaupt von dieser Vogelscheuche? Hat er dich lateinische Regeln gelehrt? Hast du stundenlang neben ihm sitzend seinen stinkenden Atem riechen müssen? Hat er dir unter den Rock gegriffen? Hat er dich gezwungen, dich splitternackt vor ihm auszuziehn? Hat er dich zur Mätresse ausersehn – wie mich? ... Du reißt die Augen auf? Dir hat er von seiner Schändungsabsicht nichts verraten, das glaube ich gern; – aber frage Sir Thomas Overbury, der mich in Cymry Castle heimlich warnte ... Und du sprichst von meiner Dankesschuld! Da hast du meine Dankesschuld! Da hast du deinen König!«

Sie warf sich aufs Bett, vergrub sich in den Kissen, von Schluchzen geschüttelt. Widerstandslos ließ sie zu, daß die Freundin ihr den Scheitel streichelte. Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, begann sie mit heiserer Stimme, scheu, stockend und kindlich von ihrer Liebe zu sprechen, vom weißen Pfau und der Begegnung am Gartenzaun. Ausführlich beschrieb sie, was während Lady Moray's Spazierfahrt geschehn war, welche Brutalitäten der König sich erlaubt hatte; – nur durch das Dazukommen von Robert Cecil und Overbury sei sie vor dem Schlimmsten bewahrt worden ...

Mit unendlich gütigem Erbarmen beugte sich Lady Moray über sie und küßte sie auf die Stirn.

»David darf es nicht wissen. Er ist geradsinnig und treu; er könnte zum Königsmörder werden, er könnte aber auch sich verpflichtet fühlen, den König zu benachrichtigen, obgleich er ihn ebenso verachtet wie wir beide ... Noch nie habe ich ein Geheimnis vor David gehabt; dies aber muß ich ihm verschweigen, so schwer es mir fällt ... Ich wünschte, du hättest einen männlicheren Helfer als diesen blutjungen Seymour. Gern will ich glauben, daß er es jetzt ernst mit dir meint. Sein Plan ist gut, ist der einzige Ausweg für dich – falls es glückt ... Und selbst, wenn es glückt, bleibt es ein gewagtes Spiel: Nicht nur Seymour kann dafür in den Tower kommen, – auch du! ... Und auch ich, denn ich werde euch behilflich sein!«


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