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Bei Sonnenaufgang – noch war die Tanzmusik des bal champêtre nicht verstummt, – bei Sonnenaufgang wurden des Königs und einiger Kavaliere Pferde gesattelt und geschirrt. Denn James hatte sich bei Pembroke eingeladen, dessen fürstliche Sommerresidenz Wilton House, – ein wahres Schmuckkästchen, erst vor kurzem im Stile Palladio's erbaut, – von Arundel's Schloß aus leicht zu erreichen war.

Das hallende Tor Wardour Castle's verlassend, ritt die kleine Kavalkade in dichten Morgennebel hinein wie in einen grenzenlosen perlweißen See. Sonnenselig, sonnenlüstern erwachte eben die Natur; Grillen zirpten; Vögel riefen einander; irgendwo, unsichtbar im Nebel, blökten Schafe. So völlig undurchdringlich war das Nebelmeer, daß von der Landschaft nichts, aber auch nichts zu erblicken war und selbst der Standort der Sonne bloß in einem milchig opalisierenden Schimmer sich erahnen ließ. Die Pferde suchten und fanden den Weg, – den Kavalieren wäre es unmöglich gewesen. Daher kam es, daß die Reitenden bald, ohne es hindern zu können, getrennt wurden. Allzu vertrauensvoll hatten sie sich auf den Instinkt der Tiere verlassen und zu spät gemerkt, daß sie in die Irre gingen. Vergeblich lauschten sie auf den Hufschlag der anderen Pferde; Zurufe erschollen, Hörner wurden geblasen; doch wo die Augen versagten, erwiesen sich die Ohren als schlechte Wegweiser.

James, der schon seit einer Weile ohne Begleitung ritt, war von der Landstraße abkommend auf eine marschige Wiese geraten. Da tauchte aus dem ihn umringenden Dunstmeer eine helle menschliche Gestalt auf. Ein Fußgänger war es, ein bleicher Jüngling. Rasch ging er auf den König zu, hob beide Arme und stellte sich dem Pferde in den Weg. Das Pferd blieb wie erstarrt stehn. Erst recht erstarrt war James, ihm rieselte es über den Rücken, auf die Stirn traten ihm kalte Schweißtropfen. Seit der Erdolchung des französischen Königs krankte er an Attentatsfurcht.

»Reiten Sie hier nicht! Kehren Sie um, mein gnädiger Lord!« sprach der Fremde.

»Warum? ... Was heißt das? ... Was willst du von mir, Mensch? Schere dich zum Teufel!«

»Ich bin ja die Lichtgöttin Diana, mein gnädigster Lord! ... Sie entsinnen sich doch ... Die Herrin der Nacht ...«

»Du hast mir hier aufgelauert, Schurke!« lallte James, bis ins Mark erschrocken. Die Zähne klapperten ihm.

»Aufgelauert? ... Bei Gott, nein, gnädigster Lord! Es ist ein Zufall, daß ich hier bin! – doch welch ein glücklicher Zufall! –: Die Vorsehung hat es so gefügt, daß es mir vergönnt ist, meinem verirrten König beizustehn! Dort links ist die Straße; – erlauben Sie, daß ich Sie auf die Straße führe, mein gnädiger Lord!«

Und er packte das Pferd des Königs am Zügel und führte es einige Schritte nach links. Das Pferd aber scheute plötzlich, sprang zur Seite und geriet mit den Hinterfüßen in das tiefe Bett eines schmalen, von Gräsern verdeckten Wiesenbaches. Wäre James nicht, wie stets, mit Riemen an den Sattel geschnürt gewesen, er hätte das Gleichgewicht verloren und wäre über die Kruppe ins Wasser gestürzt. Jetzt zweifelte er nicht mehr daran, daß er gemeuchelt, daß er ertränkt werden sollte. Heimtückisch hatte man ihn in einen Sumpf gelockt.

»Man ermordet mich!« brüllte er aus Leibeskräften. »Zu Hilfe! Zu Hilfe! ... Laß die Zügel los, Schurke!«

Der Jüngling ließ den Zügel nicht los. Weinerlich sagte er:

»Ich bin ja Sir Arthur Brett, mein gnädigster Lord – – –«

Doch schon hatte James aus der Satteltasche eine Pistole gezogen und feuerte sie auf den Jüngling ab. – – –


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