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Aus einer Gartentür des Audienzzimmers in Whitehall waren zwei junge Kavaliere David Earl of Moray und Sir Thomas Overbury auf die Terrasse hinausgetreten und stiegen die granitene, von zwei Sphinxen flankierte Treppe hinab dem großen Park zu, der damals noch das Königsschloß umgab.

Der unschöne Sohn des schönen vom Marquis of Huntley ermordeten Lieblings der Schotten und der Königin, des unglücklichen Earl of Moray, war den Abend zuvor erst in London eingetroffen, um die vom König anbefohlene Hochzeit mit Anne Gordon, des Mörders Tochter, zu feiern. Er war vom König in der Presence Chamber huldvoll empfangen und eines kurzen Gesprächs gewürdigt worden. Dann hatte James aus der Schar der in der angrenzenden Great Chamber harrenden Höflinge Overbury herangewinkt und ihm befohlen, Moray in den Park zur Königin zu führen.

Sympathisch und grotesk sah Moray aus. Anziehend waren seine blauen sinnenden Augen. Einen Abglanz der Schönheit seines Vaters ließ sein flachsbärtiges gutartig-grimmes Gesicht wohl erkennen. Doch sein zu kleiner Kopf stak auf einem viel zu langen, spindeldünnen Körper; seine in Turnieren gestählten Arme und Beine erinnerten – sobald er, wie jetzt, nicht im Sattel saß – an die Gliedmaßen einer schlenkerig laufenden Spinnenkrabbe.

Overbury war in allem sein Gegenspiel, ein kultivierter Höfling vom Scheitel bis zur Sohle. Er, der in Italien gereist war, verachtete die aus Spanien stammende martialische Barttracht und rasierte sein blasses, langes, rassiges Gesicht. Wenn jener flachsblond war, so war er braunhaarig. Wenn jener als Meister des Florettkampfes galt, so war Overbury's Waffe das Denken – und er konnte zuweilen ein meisterlicher Fechter sein.

Das riesige Parkgelände war Blumengarten nur dicht beim Palast mit Fontänen, Heckenwänden, Laubgängen und Alleen, sonst aber Forst voll greiser Baumriesen, teils urwaldhaft, teils gelichtet, überraschend durch ungeahnte, plötzlich sich öffnende Ausblicke auf Schilfteiche oder Wiesen, ein tags von Hirschen, nachts von Dachsen, Uhus, Titanias Elfenschar und vom blödäugigen, zottigen Einhorn bewohnter Zauberwald.

Zu einem der Ausblicke führte Overbury den Schotten. Sie standen erhöht auf welligem Boden, der, über den Trümmern einer Umwallung aus Normannenzeit, dicht überwachsen und überwuchert, sich dort zu einem niedrigen Hügelzug wölbte. Die Zweige des Unterholzes beiseite schiebend zeigte Overbury auf einen weiten Rasenplatz, wo einige zwanzig reichgekleidete Menschen saßen und standen, deklamierten und zuhörten, sangen und lachten, – ein buntscheckiges, grellfarbiges Bild, umrauscht von einem ebenso buntscheckigen, grellstimmigen Klanggewirr. Die Königin übte dort – wie schon seit Wochen täglich – mit Hofdamen und Hofherren »Hymens Maskenspiel« ein. Weil eine Störung während der Probe von der Königin stets übel vermerkt wurde, hatte Overbury den Gast auf den erhöhten Platz geführt, wo sie zuschauend und beobachtend abwarten konnten.

Moray's erste Frage war, ob seine Braut Anne Gordon unter den Hofdamen sei. Overbury verneinte: so viel er wisse, werde Anne Gordon erst zum Hochzeitstag erwartet.

Bedrückt schwieg Moray eine Weile. Man hatte ihm nicht einmal ein Bild des unbekannten Mädchens geschickt, das er haßte und das ihn doch rätselhaft anzog und beschäftigte; – nicht der alten Familienfehde wegen, sondern weil ihm zumute war, als werde er in ein stockfinsteres Zimmer geführt und müsse ein Ungeheuer umarmen, welches vielleicht – vielleicht – bei Lichte gesehen – sich als liebreizendes Feenkind entpuppen könnte ...

Wer die Königin sei, fragte Moray nicht: ihre Brillanten verrieten sie. Voll Bitterkeit betrachtete er das fette, plumpe, glitzernde Weib: das also war die einst so schlanke, in Liedern besungene Dänische Anna, um derentwillen sein Vater ... Sind Frauenaugen den Tod eines Mannes wert? ...

Von seinem Begleiter ließ sich Moray die Namen der Damen und Kavaliere nennen. Nur wenigen darunter, allzu wenigen, hatte die chronique scandaleuse nicht eine Narrenschelle oder Schandglocke angehängt – mochten sie Pembroke, Southampton, Doncaster, Montgomery heißen oder steinreich sein wie Lady Bedford, Lady Rutland, Lady Compton und andere.

»Wer kriecht da auf allen vieren herum?«

»Das ist unser Nebukadnezar – er frißt Gras wie ein Ochse zum Vergnügen der jungen Ladies. Vordem hieß er Lord Compton.«

»Vordem? ...«

»Ja, vordem jüngst sein Schwiegervater, der Wollhändler Spencer, starb und er erfuhr, wie unermeßlich groß die Erbschaft ist. Vor Glück ist er etwas übergeschnappt. Nicht ganz, denn er kann auch Kaviar essen – und auf zwei Beinen gehn. Wenn er von einem schwarzen Schoßhündchen hört, fährt er sechsspännig hin und ersteht, ohne zu handeln, für jeden Preis das Tier. Er soll bereits siebenhundert Schoßhündchen haben ...«


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