Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

28

Im inneren Gefängnishof, vor dem Eingang zum White Tower, trafen sie Henry Percy, Earl of Northumberland, auf seinem täglichen kümmerlichen Nachmittagsspaziergang. Links von ihm schritt seine junge Tochter Lucy, – die unschuldige Gefangene dieses schuldlosen Gefangenen; (er zwang sie, bei ihm im Tower zu wohnen, weil er befürchtete, in Whitehall könnte sie sich von den Liebesbeteuerungen des prunkliebenden verschwenderischen Viscount of Doncaster betören lassen). Rechts vom Earl ging die Schwester seiner Frau, seine Schwägerin Lady Penelope, Countess of Devonshire, (– die noch immer den verlorenen Essexring nicht gefunden hatte! ...); ihnen folgte singend, auf seiner wiederhergestellten Gitarre arpeggierend, der Arzt und Dichter Dr. Campion, und dann, in einigem Abstand, ein geradezu fürstliches Gefolge von Pagen und Dienern. Dr. Campion sang:

In schwüler Juliglut geschah's –
Die Stunde war die elfte –
Da fand ich Phillida im Gras,
Die lachend einen Apfel aß.
Sie reichte mir die Hälfte.

Doch als es zwölf vom Kirchturm scholl,
War alles Spuk gewesen:
In hohen Lüften schimmervoll
Wie Daphne fliehend vor Apoll
Entflog das Fratzenwesen.

Kaum hatte Lady Penelope Hal und Overbury erblickt, eilte sie ihnen entgegen und küßte dem Thronfolger die Hand. Das gleiche tat Dr. Campion. So schrieb es ja die höfische Sitte vor. Auch Lady Lucy wollte des Prinzen Hand küssen, wurde aber von ihrem Vater daran gehindert; unwirsch packte er sie am Arm und hielt sie fest. Der stolze Percy hatte seinerzeit, als dem Prince de Joinville die »Löwen des Tower« vorgeführt worden waren, weder den König noch sonst jemand seines Gefolges eines Grußes gewürdigt, hatte mit Lucy Schach spielend vom Schachbrett nicht aufgeblickt. Jetzt aber prüfte er gelassen den Königssohn vom Fuß bis zum Scheitel, gleichsam verwundert, eine legendäre Gestalt im Gefängnishof zu sehn. Die Arme verschränkend fragte er:

»Heißt nicht der Schwarzgekleidete dort Aegisthus?«

»Aber Vater, das ist doch Prinz Hal!«

»Nein, Lucy, das ist Aegisthus – verlaß dich drauf! Das weiß ich besser als du! Frage Penelope: sie wird dir's bestätigen, daß ihr Neffe Agamemnon die Trojaner in Italien belagert, – viel zu lange weilt er schon dort! ... Und das Tollste ist, daß Klytaemnestra vor gar nicht lange erst vierzehn Jahre alt wurde!«

Die Lachwellen, die Northumberland diesen Worten nachsandte, brandeten an Türmen und Mauern bis zu den Dächern empor. Doch ihm blieb die Genugtuung versagt, an der Wirkung seines Giftpfeiles sich zu laben. Prinz Hal, schon seit einigen Tagen mehr als bleich, vermochte nicht noch bleicher zu werden; er lachte und sprach lebhaft mit Overbury, als hätte er den Hohn des Earls nicht gehört. Gemessenen Schrittes setzte Northumberland seinen Spaziergang durch die Höfe fort, so unbekümmert und zufrieden wie ein Elefant, der seinen Wärter totgetrampelt hat.


 << zurück weiter >>