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47

Als Lord Moray und Patrick sich in der St. Paul's Kathedrale am Gitter der Mauritiuskapelle trafen, waren seit jenen Geschehnissen ungefähr vier Jahre vergangen.

Durch die vergoldete Gittertür traten sie in die Kapelle und stellten sich neben einen Marmorsarkophag, den ockergelb, blutrot und giftgrün das Licht der Glasmalereien überhauchte.

Sie schauten sich stumm in die Augen, als wollten sie Abgründe ergründen. Dann schüttelten sie sich herzhaft die Hände.

»Wenig verändert hat sich Eure Lordschaft!« begann Patrick.

»Auch du bist derselbe noch. Und doch ein anderer. Flachsblond warst du damals.«

»Ich wollte, ich könnte meine blauen Augen ebenso schwarz färben wie Bart und Perücke, mein Lord! Schicksal und dauernde Gefahr haben mich schwarz gebrannt ... Gäbe es einen grünen Hirsch, er wäre gefeit vor dem Jäger.«

»Doch nicht vor des Jägers Hunden. Und Hunde gibt es überall, sogar in der Kirche. Ein Hirsch bleibt ein Hirsch ...«

»Ja, ein gejagtes Wild, mein Lord!«

»Als Knaben in Stirling Castle, duzten wir uns, Patrick! Du nanntest mich den langen Davy ... Entsinnst du dich?«

»Damals war ich ein Earl of Ruthven. Ein Hirsch bleibt nicht immer ein Hirsch, mein Lord. Meine Blondheit behielt ich trotz aller Barbierkünste, – mein Name aber wurde ausgetilgt!«

»Tat ich es? Bin ich ein Freund deines Feindes?«

»Man sagt so.«

»Dann sagt man Falsches. Ich verlor durch ihn meinen Vater, wie du deine zwei Brüder.«

»Meine drei Brüder –: auch Geoffrey starb durch ihn!«

»Aber nicht mit einem Fluch auf den Lippen – eher mit einem Segenswunsch!«

»Wer? Geoffrey? ... Das ist unmöglich! ...« »Doch! Ich war im Tower, kurz bevor er starb; ich war allein mit ihm. Er trug mir auf, dich aufzusuchen.«

»Wozu das?«

»Um Prinz Hal zu retten.«

»Wovor?«

»Vor dir! Du willst ihn verderben!«

»Das will ich und werde ich! – ich leugne es nicht! Und weißt du, wie ich es tun werde?«

»Solch ein Teufel kannst du nicht sein, Patrick!«

»Und ob ich's kann! Sagen und beweisen werde ich ihm, daß du sein Bruder bist!«

»Es läßt sich nicht beweisen, Patrick!«

»Auch unbewiesen wird es ihn vernichten!«

»Solange ich lebe, wird das nicht geschehn!«

»Bist du sein Schutzengel, langer Davy?«

»Ich nicht – aber Geoffrey! Dein toter Bruder hält die Hand über ihn!«

»Das soll ich glauben? ... Wie kann ich das glauben, David!«

»Ich bin kein Lügner, du kennst mich ... Dies kleine Goldkreuz hat einst Lady Gowrie, eure Mutter, am Halse getragen. Geoffrey gab es mir, damit ich es dir mit seinem letzten Wunsch überbringe, – dem letzten Willen deines sterbenden Bruders, Patrick!«

Lord Moray hielt ihm das Goldkreuz hin. Widerstrebend nahm es Patrick in die Hand. Da lag es auf seinem Handteller, umschwebt von Erinnerungsbildern, eine rührende Bestechung. Er wollte unbestechlich sein, es von sich werfen, mit den Füßen darauf trampeln, – er konnte nicht. Wie feindlich er auch hinsah, stetig gewann das Kreuz Macht über ihn und besiegte ihn. Der harte Zug um seinen Mund milderte sich, seine Augen wurden feucht.

»Wie gewann der Prinz meines Bruders Erbarmen?«

»Durch sein Erbarmen!« entgegnete Moray. Und er erzählte vom Besuch des Prince de Joinville im Tower; wie Hal seinem Vater Vorwürfe machte, wie Geoffrey besinnungslos zusammenbrach und wie Hal um den Ohnmächtigen bemüht war.

Nach längerem Sinnen sagte Patrick:

»Tigerjunge sind wie liebenswürdige Kätzchen und werden zu guter Letzt doch Bestien. Noch will ich abwarten ... Vor wenigen Tagen schon kamen mir Bedenken, als mein bester Freund, – ein Astronom, den Serjeant Crew aus der Mermaid holte, ihn als Ketzer zu verbrennen, – vom Prinzen gerettet wurde. Der Prinz versprach, ihm auch fürderhin ein Beschützer zu sein ... Solange meinem Freund nichts geschieht, werde ich den Prinzen schonen!«

Lord Moray erwiderte nichts und drückte nur Patrick's Hand. Das Kreuz hatte gesiegt.

Das Gitter öffnend, sah Moray eine Gestalt schattenhaft aus dem Seitenschiff ins Mittelschiff gleiten und hinter einem Strebepfeiler verschwinden. Patrick, der hinter ihm stand, hatte nichts bemerkt. Und da Moray nicht imstande war, den Menschen zu beschreiben – nicht einmal sein Gesicht hatte er erblickt – beruhigten sie sich dabei: es werde wohl eine Sinnestäuschung gewesen sein; sollte aber ein Lauscher versucht haben heranzuschleichen, so konnte er ja von ihrem Geflüster keine Silbe vernommen haben – es sei denn, daß er als Toter im Marmorsarkophag lag ...


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