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11

Die weißen Sterne Wega, Deneb und Atair funkelten über dem Schindeldache Whitehall's. Heller und heller waren sie geworden, während von den Lichtern des strahlenden Palastes eins nach dem andern erlosch. Das langhaarige Elfenvolk, von Puck geführt, hatte den Rundgang durch die erdunkelten Säle, Galerien und Treppen, segnend und Traumblumen streuend, längst angetreten.

In seinem Arbeitszimmer wachte noch der Lordkanzler Robert Cecil mit seinem Sekretär Levinus Monke, einem ältlichen, krummschultrigen, käsebleichen Menschen. Schon vor einer Weile hatte es zwei Uhr geschlagen, und noch harrte ein Berg von Papieren der Erledigung.

Ein Fenster stand auf. Dem in Finsternis gehüllten Lande summte draußen die Sommernacht ihr Schlummerlied. Aber ruhelos hier im kerzenerhellten Zimmer wachte und dachte das Hirn des Landes.

Der Hufschlag eines herangaloppierenden Pferdes wurde vernehmbar, übertönte das Gezirp der Erdgrille. Levinus Monke blickte hinaus. Zwei Wachtposten senkten die Hellebarden gegen einen späten Gast. Doch er gab sich zu erkennen, und sie ließen ihn ein, öffneten ihm das Portal.

Bald darauf pochte es an der Zimmertür. Ein junger Offizier von der schottischen Nachtwache kam dem Lordkanzler melden: aus Newmarket sei Sir Thomas Overbury soeben eingetroffen und bitte Seine Lordschaft, ihn trotz der späten Stunde zu empfangen, da er eine eilige Botschaft von Seiner Majestät überbringe. Cecil nickte. Overbury trat ein. Der junge Offizier und Levinus Monke entfernten sich.

Wohlvertraut war Overbury das geheimnisvolle Zimmer des geheimnisvollen klugen Zwerges. Er war vor Jahren eine Zeitlang der Vorgänger des Levinus Monke gewesen. Wenn er auch Cecil nicht ergründet hatte – (wer konnte das!) –, so hatte er doch in Abgründe geblickt, die andern ewig verborgen blieben. Eine gewisse Intimität war damals zwischen dem alten Politiker und dem jungen Höfling entstanden und nie seither geschwunden. Man hätte es Freundschaft nennen können, hätte Cecil Zeit für seelische Regungen gehabt, und wäre nicht jeder Mensch, – Overbury nicht ausgenommen, – eine Schachfigur in seiner Hand gewesen. Vor ihm, dem Mysteriösen, den alle fürchteten, den sogar der König und, was mehr noch besagen will, sogar die Königin fürchtete, – vor ihm blieb Overbury stets unbefangen und äußerte rückhaltlos, was er dachte. Das gefiel Cecil, und daher nahm auch er kein Blatt vor den Mund, wenn er mit Overbury sprach.

Als nach hastiger Begrüßung Cecil das Handschreiben des Königs entsiegelt und gelesen hatte, saß er längere Zeit sinnend, wortlos da. Nichts in seinen rotumränderten Augen, nichts in seinen ermüdeten Gesichtszügen verriet, was hinter seiner Stirn vorging. Dann verbreiterte ein Grinsen den weißumbarteten Mund; und beide Arme hebend, griff er sich mit komischem Pathos an die Schläfen.

»Uff! ... Bei Jupiter! Ich bin nicht zu beneiden, Thomas! ... Ich soll donnern – und ich habe doch keinen Blitz –: keine Flotte ... Wie donnert man ohne Blitz? Kannst du mir das sagen, Thomas?«

»Das hätte auch Jupiter nicht vermocht, mein Lord.«

»Zwischen dem Kroniden und mir besteht überhaupt eine Ähnlichkeit: denn oft genug hat Seine Göttlichkeit sich lächerlich gemacht. Und wenn ich auch kein Schwan und kein Stier und kein Goldregen bin, so verlangt doch Seine Majestät, daß ich mich vor allen Diplomaten diesseits und jenseits der Alpen lächerlich machen soll ... Ich würde es nicht für möglich halten – (obgleich ich mich daran gewöhnt habe, alles für möglich zu halten!) – stünde es nicht hier schwarz auf weiß. Da – schau!«

Er reichte Overbury das Handschreiben hin. Der las:

»Mein lieber kleiner Spürhund!

Daß die Holländer republikanische Schweine sind, habe ich immer gewußt. Aber einer solchen Schweinerei hatte ich sie denn doch nicht für fähig gehalten, daß sie einen Vorstius, einen Halunken, der die Erbsünde leugnet, einen Hohlkopf, der die Gnadenwahl anzweifelt, kurz und gut einen Manichäer, einen arminianischen Erzketzer und Atheisten, – statt ihn zu verbrennen – zum Professor der Theologie ernennen könnten. Fordere gleich morgen die Generalstaaten auf, den schuftigen Esel abzusetzen. Und solltest Du, was ich nicht hoffe, auf Widerstand stoßen, so drohe der Republik mit meiner königlichen Ungnade!

Nicht nur die Holländer haben mich enttäuscht, auch meine untreuen Engländer; und sogar mein getreuer kleiner Spürhund. Den Fehdehandschuh hat mein Volk mir hingeworfen; – gut, ich hebe ihn auf ... Wie aber kommt es, daß mein kleiner Spürhund, der doch sonst das Gras wachsen hört, nichts gehört hat? Oder hast Du es mir verheimlicht, daß heutzutage noch – wie dazumal – die Elohimsöhne zu den Menschentöchtern herabsteigen und Giganten erzeugen Αληγοριχωσ accipe: (Sir Thomas wird Dir erklären, was damit gemeint ist) ... Woher ich das weiß? Von Eglamour, meinem isländischen Falken, der meinen kleinen Spürhund an Spürsinn übertrifft: den Fehdebrief der Rebellen überbrachte er mir. Wir haben also Krieg im Lande. Doch nicht umsonst heiße ich Jacobus Pacificus: Frieden zu schließen bin ich bereit, wenn mein Volk mir meinen höchsten Wunsch erfüllt und den Unauffindbaren findet. Dir, mein lieber Spürhund, brauche ich ihn nicht zu nennen, um den die Nymphe Echo sich abhärmt und hinschwindet. Denn wo gibt es noch ein Echo?

Meine Bücher haben nie ein Echo gefunden bei diesem undankbaren Volke. Das soll mich nicht hindern, ein Buch gegen Vorstius zu schreiben und darin auch ein saftiges Kapitel den Holländern zu widmen, denen ich nachweisen werde, daß sie keine Protestanten mehr sind und daß überhaupt zwischen einem Republikaner und einem Gottesleugner kein Unterschied besteht.

James.«

Den Kopf hin und her wiegend schwieg Overbury. Dann sagte er:

»Eigentlich ist er eine tragische Gestalt, wenn er einem auch oft genug grotesk erscheint. Lachen und weinen zugleich möchte man über ihn. Von ihm zu seinem Volk führt keine Brücke. Ja, eigentlich tut er mir geradezu leid. Er hätte Schullehrer werden sollen.«

»Die armen Schüler! ... Nein, Thomas, in die Schule hätte ich meine Söhne nicht geschickt ... Was ist's mit den Giganten? Meint er unsern Hochadel damit?«

»Nein, Bauern, mein Lord.«

»Vielleicht doch den Hochadel?«

»Warum glauben Sie?«

»Nicht den Brief des Falken hast du Seiner Majestät vorgelesen. Den des Bauern Agricola improvisiertest du!«

Starr vor Staunen blickte Overbury Lord Cecil an.

»Sind Sie mit Bäumen und Büschen befreundet, mein Lord?«

Cecil lachte.

»Oh! ich habe auch unter Bäumen und Büschen Freunde, vielleicht auch hinter Bäumen und Büschen ... Noch über anderes bin ich unterrichtet. Und ich will es dir sagen, um dir die Zunge zu lösen. Da sieh den Stoß Papiere: es sind Berichte meiner Kundschafter über Baynard's Castle ... Du verrätst also niemand, wenn du mit mir darüber sprichst.«

»Sie waren unterrichtet, mein Lord? ... Und dennoch? ...«

Die spöttischen Mundwinkel Cecil's verzogen sich zur Grimasse, eine Antwort aber blieb aus. Nicht unberechtigt war Overbury's Staunen. Warum hatte Cecil teilnahmlos die Saat heranreifen lassen? Auf wessen Seite stand er? Als des Königs unbequemer Mentor, der er war, und vor allem als Freund der protestantischen Partei hätte er am geplanten Hochverrat teilhaben können; als Lordkanzler hätte er mit eisernen Fäusten dreinschlagen müssen. Keins von beiden hatte er bislang getan, hatte sich unwissend gestellt und abgewartet ...

Da er nicht gleich antwortete, fuhr Overbury zu fragen fort.

»Wenn Sie es nicht hinderten, so billigten Sie es also?« ...

»Ich? ... Weil ich nicht mit Kanonen nach Spatzen schoß? Die Spatzen taten mir leid, Thomas ... Und was ich vorausgesehn, ist eingetroffen. Heute ist diese Verschwörung nur noch ein unschuldiger Zeitvertreib, Schlemmerei und Sauferei – gefährlich für keinen, weder für den König, noch für die Verschwörer ... Doch nun erzähle mal – nicht dem Lordkanzler, sondern deinem alten Gönner und Gaukelspieler; – denn nicht alles, was während der Jagd geredet wurde, haben meine Freunde, die Bäume und Büsche, hören können.«

Und Overbury berichtete vom Falken Eglamour und las auch dessen Gedicht vor. Lord Cecil's schmunzelndes Gesicht wurde beinahe ernst:

»Du bist des Prinzen Freund; – darum will ich dir mit einer naheliegenden Frage keine Verlegenheit bereiten ... Aber sage deinem Freund, daß die beste Schatzkammer für Schriftstücke ein Kamin ist. Wer gefährliche Papiere aufbewahrt, zieht Giftschlangen groß, die sich eines Tages gegen ihn wenden können ... Der König hat nichts übrig für seine Kinder.«

»Auch Ihre Majestät liebt ihre Kinder nicht.«

»Zum Glück habe ich den Beweis in Händen, daß Ihre Majestät sich um die Entthronung ihres Gemahls fleißig bemüht hat. Sie ist kompromittiert, und das ist – für mich – die ernste politische Seite dieses Narrenspiels. Ihren Widerstand gegen das Verlöbnis ihrer Tochter mit dem Pfalzgrafen hoffe ich nun endlich brechen zu können ... Bei Hahnenkämpfen mit seiner Ninive hat noch jedesmal König Jimmy Federn lassen müssen. Fast möchte ich annehmen, daß dies einer der Gründe war, weshalb er sich blind stellte.«

»Blind, mein Lord? Sie meinen – weitsichtig?«

»So nannte er es. Man darf ihn nicht für dumm halten, Thomas. So schlecht sind seine Augen nicht. Er wird schon gemerkt haben, daß der Brief lang und in Versen geschrieben war, er wird ihn auch durchflogen haben ... Vergiß nicht, er ist ein hochbegabter Schulmeister; – aber er ist maßlos indolent. Fünfzig Mitgliedern des Hochadels die Köpfe abzuschlagen ist eine große Anstrengung, Thomas!«

»Und Sie glauben, mein Lord, daß er es durchschaut hat? ... Dann bin ich verloren!«

»Durchaus nicht! Im Gegenteil, – er wird dir für den Betrug dankbar sein.«

»Aber alle sind ja verloren, die im Gedicht des Falken genannt sind ...!«

»Ich werde sie retten, – und es wird im Sinne des Königs geschehn. So wie ich ihn kenne, hat er mit Vorbedacht dich als Boten gewählt und zu mir geschickt. Sein Handschreiben zeigt ja die goldene Brücke, die er dem Adel baut. Wenn der Adel ihm Narziß zuführt, soll alles vergeben und vergessen sein.«

»Die in Baynard's Castle werden sich weigern ...!«

»Ich werde sie zwingen! Der Falkenbrief wird sie zwingen!«

»Zu kuppeln, mein Lord?«

»Politik ist nicht zimperlich ... Hand aufs Herz, haben wir nicht alle schon gekuppelt? – auch du, Thomas? Wozu holten wir denn Lady Arbella aus Cymry Castle her? ... Freilich jenes mißlang – und seitdem fehlt dem englischen Hof ein neues Idol. Jeder Papist wird dir bestätigen können, welche Vorteile es hat, daß zwischen dem Himmel und ihm ein Heiliger als Mittler steht: die Petitionen gelangen schneller hinauf und werden schneller erledigt ...«

»Und wenn er kein Heiliger ist? Wenn er die Macht an sich reißt? ...«

»So wird dennoch mehr Macht als er derjenige haben, der ihn beherrscht. Und das wirst du sein, Thomas.«

»Ich?«

»Ja, du! ... Er ist gefunden, der Narziß. Northampton hat ihn aus der Gosse aufgelesen, ihn waschen, säubern und frisieren lassen, und hat ihn als Gast in sein Haus genommen ... Da – verkramt in meinen Papieren – habe ich den Lebenslauf dieses Menschen. Du hast ihn einst gekannt, Thomas. Er war dein Schulkamerad. Er heißt Robert Car.«


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