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11

Eine der verschlossenen Türen im ersten Stockwerk hatte sich nach dem letzten Aufschrei Murdac's geöffnet. Zwei Frauen traten verängstigt auf die Galerie heraus und lugten über das Geländer. An ihnen vorbei schlüpfte ein großes graues Windspiel aus dem Zimmer und lief die Treppe hinunter. Sein Gebell übertönte die Worte, die Murdac an das Gespenst richtete.

»Wo ist mein Kaninchen hin? Es entschwand! Der Köter hat es verscheucht!«

Wütend gab er dem Windspiel einen Fußtritt. Das Tier heulte und sprang flüchtend über den Sessel; dabei riß es das Pomeranzenbäumchen um. Das Bäumchen fiel zu Boden, der Topf brach in Scherben. Die beiden Frauen oben schrien entsetzt auf, und Seymour sah, daß sie stumm miteinander rangen.

Nun hatte die Raserei des Irren keine Grenzen mehr. Er hob den Degen vom Boden auf, er wollte den Hund durchbohren. Der aber war flinker als er, sprang aus einer Zimmerecke in die andere und ließ sich nicht aufspießen.

Die jüngere der beiden Frauen hatte sich losgerissen von der Umklammerung der anderen, die sie hinderte, in die Halle hinabzusteigen. Jetzt eilte sie die Treppe hinunter. Und jetzt erst, als sie in den Lichtkegel des Kerzenscheines trat, gewahrte Seymour, daß sie ein etwa sechzehnjähriges Mädchen von berückender Schönheit war. Von einer Schönheit, der sogar die Leidenschaft, die ihr blutloses Gesicht verzerrte, nicht Abbruch zu tun imstande war. Das Mädchen schrie Murdac an:

»Strafen Sie mich, Sir, denn ich ließ den Hund hinaus!«

»Wart es nur ab! Die Reihe kommt auch an dich! Wer hat dir erlaubt, dein Zimmer zu verlassen?«

»Ich mir selbst! Denn Sie sollen meinen Hund nicht töten, Sir!«

»Schön! Also wirst du ihn töten!«

»Dazu können Sie mich nicht zwingen!«

»Oho! Und ob ich das kann!«

Murdac rannte in das dunkle Bibliothekzimmer und kam mit einer Pistole zurück, die er ihr hinhielt.

»Da nimm die Pistole, – erschieße den Hund! – oder ich erschieße dich!«

Das Mädchen schüttelte den Kopf und blickte ihn mit funkelndem Haß an.

»Ich nehme die Pistole nicht! Lieber lasse ich mich erschießen! So tun Sie's doch, Sir!«

Herausfordernd und wild lachte sie ihn an. Da zielte er auf ihre Brust. Seymour wollte hinstürzen – doch schon krachte der Schuß los. Das Mädchen wankte, hielt sich an einer Stuhllehne fest, griff nach ihrer Brust. Seymour stand jetzt neben ihr; sie aufzufangen, legte er den Arm um ihre Schulter. Doch sie brach nicht zusammen. Noch betäubt murmelte sie:

»Nichts ... Kein Blut ... Mir ist nichts geschehen ...«

In ein infernalisches Lachen brach Murdac aus.

»Pulver lud ich ohne Kugel, – ich wollte dich nur schrecken!«

»Mich können Sie nicht schrecken, Sir!«

»Wirst schon mürbe werden! Paß auf! Das nächste Mal werde ich dir die Waffe in die Hand zwingen – und zwar eine mit einer Kugel!«

»Dann werde ich Sie erschießen, Sir!«

Inzwischen war eine ältere Frau die Stufen herabgeeilt und riß das Mädchen weg – gerade noch zur rechten Zeit, da Murdac eben einen Weinkrug ergriffen hatte, um damit seiner Feindin den Schädel einzuschlagen. Die Frau und das Mädchen flohen die Treppe hinauf in ihr Gemach, wohin auch das Windspiel ihnen folgte. Schon im Begriff, den Krug ihnen nachzuschleudern, hielt Murdac inne, führte ihn an seine Lippen und trank ihn gierig leer. Und unvermittelt gleichmütig, als hätte der Wein allen Groll hinweggespült, wandte er sich an Seymour und bemerkte mit spöttisch-melancholischem Tonfall:

»Kindererziehung ist eine verteufelt schwere Sache, Sir! ... Den Rat gebe ich Ihnen, wünschen Sie sich, wenn Sie mal heiraten, tote Kinder! Nur tote Kinder gehorchen aufs Wort!«


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