Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

22

Nach dem Traum von der sabäischen Königin und den fünf goldenen Ratten fand Sir Steffen Leyburne keinen Schlaf mehr in jener Nacht. Ohne Ruh und Rast spähte er nach dem schneeverwehten Fenster hin, ob der Tag nicht schon käme, lauschte er von Stunde zu Stunde auf die Schläge der Schloßglocke. Wie wenn der sich erhellende Morgenhimmel auch sein Denken erhellte, kam ihm klarer und klarer zum Bewußtsein, daß er die Verfolgung des fliehenden Diebes nicht hätte aufgeben dürfen. Hätte er ihm wenigstens nachgeschrien, – vielleicht wäre die eine oder andere Tür geöffnet worden, außer ihm hätten auch andere den Flüchtling erblickt, und dank dem Lärm wäre vielleicht ein Posten oder die Ronde dem Rennenden entgegengetreten ...

Fertig angekleidet erwartete Leyburne die achte Stunde – denn früher als das konnte er nicht gut den Lord Oberrichter Sir Edward Coke aufsuchen, ihm das unheimliche Erlebnis anzuvertrauen, sich Rat und Mithilfe von ihm zu erbitten.

Jetzt ertönten endlich die acht Glockenschläge. Gleichzeitig pochte es leise an der Tür. Und herein trat William Fowler, der kleine pausbäckige Sekretarius der Königin Anna, befrachtet mit einem gewaltigen Rosenstrauß und einem kalligraphisch geschriebenen Poem. Mehr als feierlich überreichte er beides dem übernächtig und verständnislos dreinblickenden Leyburne. »Ist das keine Verwechselung?«

»O nein, Sir. Der Mont Blanc läßt sich nicht verwechseln!«

Leyburne ärgerte sich. Dem Puttengesicht des Schreibers war nie anzusehn, ob er seine Hyperbeln ernst oder ironisch meinte.

»Was soll ich mit diesen Blumen?«

»An ihnen riechen, Sir. Berauscht werden von ihrem Nektarduft, Sir; dankbewegt sie entgegennehmen als einen Morgengruß und Segenswunsch meiner hohen Herrin, Sir, als ein Wahrzeichen dafür, daß Ihre Majestät einverstanden ist mit dem Aufstieg des strahlenden Meteors am Himmel von Hampton Court. Ihre Majestät billigt die Wahl Seiner Majestät.«

»Welche Wahl?« ...

»Ihre Majestät verspricht, den Furien keinen Einlaß in ihr königliches Herz zu gewähren.«

»Zum Teufel, lieber Herr, ich verstehe kein Wort. Sprechen Sie doch bitte etwas weniger poetisch!«

»Ich kann es nicht ändern, mein Lord. Das Gedicht wird eine deutlichere Sprache sprechen, obgleich es von mir stammt und noch weit poetischer ist als ich! ... Leider muß ich jede Gelegenheit und Ungelegenheit mit Tinte – mit gereimter Tinte – begießen ... Ich kann es nicht ändern!«

»Auch ich nicht! Was soll das?« knurrte Leyburne. »Machen Sie sich über mich lustig?«

»Über mich, Sir, nur über mich! ... Doch geben Sie her, ich lese Ihnen die Verse vor.«

Und er las:

Rabenlocken im Genicke,
Schwebt und tänzelt die galante
Göttin auf des Würfels Kante,
Fäden knüpft sie, Zauberstricke,

Zwingt den König, daß er Blicke,
Feurige und unverwandte,
Hefte auf die gottgesandte
Schönheit, und daß er ihr nicke,

So wie Hadrian dem losen
Lieblichen Antinous,
Der sich opferte im Nil.

Meine Herrin sendet viel
Blumenwünsche ... Kein Verdruß
Pulst im Herzblut ihrer Rosen!

Die Verse bestätigten, was Leyburne längst begriffen hatte. Das Glück begann ihm zu Kopf zu steigen, überwältigte ihn, machte ihn schwindlig. Er stammelte:

»Des Königs Favorit?! ... Ich?! ... Warum ich? ... Man meinte doch, daß Pembroke ...! Warum nicht der? ...«

»Weil der ein Bärenhäuter ist und die Stunde verschlafen hat, Sir. Zwar besitzt er alles Erforderliche, die schöne Gestalt, das rosige Gesicht, die tadellose blinkeblanke Kleidung; – kurz, alles, was Seine Majestät an jungen Männern gern hat ... Aber wer wie Lord Pembroke phlegmatisch, faul, bequem und gleichgültig ist, erklettert die Sprossen der Himmelsleiter nicht – oder stürzt auf halbem Wege ab ...«

»Wie kommt es aber, daß die Königin ...?« »Ja – da handelt es sich um einen merkwürdigen Pakt zwischen ihr und dem König – gewissermaßen um einen Grenzzaun zwischen zwei Jagdrevieren ... Seine Majestät ist sich über seine Neigungen nicht ganz im klaren. Er ist der Rex Platonicus, – ein stolzer Name, gewiß! ... Doch leider deutet das Volk es anders. Und das weiß er nicht, die Königin aber weiß es ... Bereits in Schottland haben des Königs schönheitsdurstige Augen an Saffianschuhen, Atlaspluderhosen und goldbestickten Wämsern Freude gehabt; – da es aber vorgekommen ist, daß ein Schuft im Flitter steckte, hat die Königin sich vorbehalten, jedesmal erst ihren Segen zu erteilen. Auch in dieser Nacht hat Seine Majestät Ihrer Majestät Einwilligung erbeten und erhalten ...«

Während der letzten Worte war Overbury ins Zimmer getreten. Ernst und ein wenig zurückhaltend beglückwünschte er seinen Schwager. William Fowler empfahl sich.


 << zurück weiter >>