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19

Wer nicht sinnlos betrunken in einer Taverne oder krank zu Hause im Bette lag, stürzte herbei, das Wunder zu sehn. Wäre ein ungefüger Iguanodon oder Plesiosaurus, der Drachen gar des braven Ritters Herrn Sankt Georg, durch die Gassen dahergekrochen, das Aufsehn hätte nicht maßloser sein können. Seit Urzeiten hatte noch niemals ein Elefant auf englischem Boden gestanden. Doch auch niemals hatte ein König von Spanien ein derartig kostbares Geschenk geschickt.

Rücken und Flanken des riesigen Tieres deckte ein zinnoberroter Teppich, umschnürt mit schweren Goldketten. Edelsteine zierten die aschgraue, runzlige Stirn. Spangen klirrten an den Füßen oberhalb der gespaltenen Hufe und glitzerten von Juwelen. Ein grün beturbanter Inder in langem, weißseidenem, flatterndem Gewande führte, einen großen Eisenstab schwingend, den Elefanten. Dann folgten zwanzig vornehme Spanier zu Pferde.

Zwischen zwei Mauern dicht zusammengepferchter Menschen schritt gleichgültig der Elefant dahin, schwer und doch federnd, grau, wie belebter, von Sonnenglut rissig getrockneter Sumpfschlamm. Zurückhaltend verhielten sich die Londoner, sie brachen nicht in frenetischen Jubel aus. Und ein Glück war das. Hätte das Tier gescheut, das Unglück wäre unabsehbar gewesen ... Doch die Menge fürchtete kein Unglück, – sie fürchtete Unheil für das Land. Sie schwieg.

Und geradezu beleidigend wurde ihr Schweigen. Da platzte in dieses Schweigen hinein – wie ein Steinwurf in einen spiegelglatten Teich – die Stimme eines presbyterianischen Pastors:

»Timeo Danaos!«

Ein Murmeln folgte dem Ausruf. Das lateinische Orakel wurde übersetzt, gedeutet, kommentiert. Eine grollende Erregung bemächtigte sich der Massen ... Wie? – war etwa beabsichtigt, einer katholischen Königstochter den Weg zu Englands Thron zu bahnen? ...

Der Elefant behielt seine Ruhe, der Inder aber wurde nervös und blickte sich nach allen Seiten um. Plötzlich trat ein junger Mensch mitten auf die Straße und hielt dem Elefanten ein Stück Fleisch hin. Zu spät hatte der Inder es bemerkt und konnte nicht mehr hindern, daß das Tier sich das Fleisch in den Schlund steckte. Der junge Mensch verschwand im Volksgewühl.

Nach wenigen Schritten richtete der Elefant den Rüssel senkrecht empor und ließ einen röhrenden, markerschütternden Trompetenton erschallen. Er taumelte, rannte gegen ein Haustor – die Menschen waren auseinandergestoben – und zerschmetterte einen eisenbeschlagenen Torflügel. Dann blieb er wie angewurzelt stehn. Immer häufiger und heftiger durchzuckte ein Erzittern seinen Körper. Und jählings brach er tot zusammen.


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