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20

Im Krankenzimmer zu Ashby, wo Overbury vom König zur Rede gestellt worden war, ob und woher er jenen »Silvanus, den in Tierfelle gekleideten jungen Waldgott«, kenne, – beschränkte er sich auf eine summarische Auskunft.

»Er heißt Habakuk Loring, seine Schwester war eine Schutzbefohlene Oriana's, mein Lord. Vor Jahren traf ich ihn im Hause seines Vaters, und schon damals war er wunderlich. Seitdem erfuhr ich, daß er sonderbar geworden sei, nachdem ihm seine Braut abhanden kam, und daß er in die weite Welt ging, sie zu suchen.«

»Ich bin doch seine Braut nicht, Thomas«, meckerte James und machte eine Pause, gewohnt, seine Sottisen belacht zu sehn. »Der Silvanus behauptete doch, daß er mich jahrelang gesucht habe – sogar unter Amalekitern! ... Wo wohnen die eigentlich?«

»Am Toten Meer, mein gnädiger Lord.«

»Das über Sodom und Gomorrha flutet ... Huhu! Armes versunkenes Whitehall! Das reimt sich gut mit seiner tollen Botschaft Jehovas!«

»O mein Lord, der bedauernswerte Mensch wußte ja nicht, was er sprach! Gedankenlos plapperte er nach, was ihm andere – weniger Blöde als er – vorgeredet haben.«

»Wer? Die Eichhörnchen, Füchse, Hasen und Wölfe etwa, mit deren Fellen er sein Göttergewand zusammengeflickt hat?«

»Es gibt nicht nur Eichhörnchen und Hasen, – es gibt auch schlimme Füchse und Wölfe im Volke, mein gnädiger Lord.«

»Jetzt hast du es ausgesprochen, Thomas! So also denkt das Volk über seinen König! ... Nein, nein, widersprich nicht, Thomas! Was ich weiß, weiß ich! Cor contritum habemus! Aus allen Bosheiten zusammengesetzt ist mein Volk, eine Meute von Ehrabschneidern ist mein Volk! ... Aber große Augen werden die Kerls machen, wenn ich ihnen die Giftmäuler mit einer concubina stopfe!«

»Mit wessen concubina, mein Lord?«

»Mit meiner! Mit wessen sonst? ...«

»Eine Mätresse ...?«

»Nun ja, so nennt man es ja wohl. Der kleine Spürhund liegt mir immerzu in den Ohren damit. Was hältst du davon, Thomas? Gehört sich's nicht eigentlich für einen König, eine Mätresse zu haben?«

»Wenn schon, mein Lord, müßten es gleich mehrere sein.«

»Eine genügt ... Doch, wer weiß, der Appetit kommt vielleicht beim Essen.«

»Seine allerchristlichste Majestät in Paris hat noch keine Indigestion verspürt trotz dreier Mätressen: Gabrielle d'Estrées, Henriette d'Entragues und die Comtesse de Moret. Gut verdaulich, wahre Leckerbissen waren auch die Mätressen seiner Vorgänger: die Prinzessin Marie de Condé und Renée de Rieux-Châteauneuf; Anne de Pisseleu, Duchesse d'Estampes, und Diane de Poitiers; La belle Feronière und Françoise de Foix, Comtesse de Châteaubriand ...«

»Genug, genug, Thomas! ... Welch ein stupendes Gedächtnis! Hast du die römischen Könige ebenso am Schnürchen? Du scheinst dich für Leckerbissen zu interessieren? Ei, ei, erlaubt das Oriana? ... Ich muß dir wohl auf die Finger passen, wenn ich der staunenden Welt meine concubina vorstelle?«

»Sie haben schon gewählt, mein Lord? Wer ist die Glückliche?«

»Dir kann ich's sagen. Sed haec in aurem! Meine Nichte Arbella Stuart.«

»Nicht möglich! ... Lebt sie denn noch?!«

»Das ist's ja – erst vor kurzem erfuhr ich's von Anne Gordon, daß Arbella noch am Leben ist. Ehrlich gestanden, fatal ist mir's, daß sie lebt. Wohin mit ihr? Wo sie ist, kann sie nicht bleiben; – es soll eine Drachenhöhle sein und ein Wunder, daß der Lindwurm sie noch nicht verschmaust hat (so behauptet wenigstens Anne Gordon). Totschlagen kann ich sie doch auch nicht; – dergleichen tat man in früheren Zeiten, aber heutzutage ... Wohin also mit ihr? Heiraten darf Arbella nicht, – das werde ich niemals, niemals erlauben. Stell dir mal vor: wenn sie ein Dutzend eheliche Kinder bekäme! – es gäbe dann ein Dutzend Thronanwärter – meine Nachkommenschaft hätte Tag und Nacht keine Ruhe vor den Erbschleichern! ... Das muß verhindert werden um jeden Preis! Nun sage selbst, Thomas, – ist es nicht ein glänzender Einfall, Arbella zu meiner Mätresse zu machen? Mehrere Fliegen schlage ich so mit einer Klappe: Mein Volk wird seinen Irrtum einsehn; Arbella wird, wenn auch ledig bleibend, gut, honorifice versorgt sein; und die Königin, die es nicht für nötig fand, an mein Krankenbett zu eilen, wird sich grün und gelb ärgern. Non gaudebit nostros! ... Die Voraussetzung natürlich ist, daß Arbella keine Vogelscheuche ist. Als Kind war sie's nicht ... Darum habe ich Lord Seymour nach Cymry Castle geschickt, damit er sie sich ansieht und mir Bericht erstattet ... Du machst ja ein ganz erschrecktes Gesicht, Thomas!«

»Ich kann es noch gar nicht fassen, mein Lord!« stammelte Overbury.

Er war tatsächlich bis ins Mark erschrocken. Ohne Arbella jemals gesehn zu haben, hatte er – gleich vielen aus dem Freundeskreis Sir Walter Raleigh's – einen schwärmerischen Kult mit der unglücklichen kleinen Thronerbin getrieben und ihren vermeintlichen Tod betrauert. Für ihn war Arbella Stuart eine Sagengestalt, unwirklich ihr Los wie ein schöner, wehmütiger Mythos. Keiner Untreue gegen Oriana war er sich bewußt, wenn er diesen Schemen im Herzen hegte. Das änderte sich jetzt, – das Schattenbild inkarnierte sich. Und unter den Gefühlen, die auf ihn einstürmten, waren zwei die stärksten: Angst um Arbella's Zukunft und Eifersucht. Die Vorstellung von einer Prostitution Arbella's durch den königlichen Harlekin würgte ihn. Doch auch dem schönen Weichling Seymour gönnte er es nicht, daß er als Befreier in ihren Kerker trat ... Und eine Ungeduld spannte und zerrte seine Nerven: er wünschte, so schnell wie irgend möglich, in Cymry Castle zu sein, um Arbella ins Ohr zu flüstern, vor welcher Gefahr sie auf der Hut sein müsse. Als so heilig erschien ihm dies Ziel, daß er mit dem Mittel, es zu erreichen, nicht wählerisch war. Er sagte:

»Wie schade, daß Sie noch krank sind, mein Lord, – sonst wünschte ich, Sie wären jetzt in jener Drachenhöhle.«

»Warum?«

»Andromeda hat nur noch Perseus lieben können, nachdem er sie vom Drachen befreit hatte ...«

»Hm, ich verstehe ... Du willst sagen: Sir William sei ein schmucker Pegasusreiter und könnte mit ihr davonfliegen? Und ich soll dich ihm als Aufpasser nachschicken? Nein, guter Freund, so krank sind Wir denn doch nicht! Alles hat seine Zeit – auch das Gesundwerden! ... Geh, laß sogleich die Pferde satteln! Wir reiten nach Cymry Castle!«


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